Ein scheuer junger Mann erkundigt sich, ob er die Folie entfernen dürfe. Das gefällt mir; endlich fragt mal einer. Gern, sage ich. Er sinkt in unser Sofa, er freut sich - mein Arzt meint, ich soll mir jeden Tag etwas Gutes tun. Er blättert ein bisschen, springt dann auf und hüpft beschwingt davon. Das Buch bleibt hier. Andere Situation: Wir hatten ja dieses Buch bestellt. Damit wir was in der Hand haben, unterm Baum. Wir bringen das jetzt wieder. Ach, sage ich. Ja, meint die Frau, Sie dürfen das nicht persönlich nehmen. Aber wir hatten uns die anderen Sachen schon liefern lassen. Bei Ihnen, das ist dann auf die letzte Minute. Den Service lob ich mir. Und wie geht's Ihnen sonst so? Wie war das Weihnachtsgeschäft?
"Man muss schauen, welchen Aufwand man für wen betreibt"
Also: Mein Weihnachtsgeschäft war in Ordnung. Ich habe ungefähr denselben Umsatz gemacht wie 2016, und ich habe etwa mehr verdient. Ich habe ähnlich eingekauft, außerdem war mein Barsortiment in diesem Jahr Spitze. Ich habe aber bestimmte Erwartungen gezielt nicht mehr erfüllt. Ich habe geschaut: Wer sind die Kunden? Kunde wie: Kauft Bücher, lässt Geld hier. Ist einigermaßen regelmäßig zu sehen, benutzt uns nicht nur als Ausputzer. Wie die Kundin schon sagte: Man muss nicht alles persönlich nehmen, man muss schauen, welchen Aufwand man für wen betreibt.
Ich hatte im Sommer begonnen, mich neu zu organisieren. In unserem Regionalverlag ist viel zu tun, und ich bin in häusliche Pflege eingebunden. Das rare Gut in meinem Leben ist Zeit. Erster Schritt: Unarten abmoderieren. Beratungsklau, Tagedieberei auf meinem Sofa, Ansichtsbestellungen, bei denen man von vornherein weiß, da wird einmal geblättert, und dann geht das zurück. In solchen Fällen habe ich gesagt - bitte, schauen Sie auch hier. Dieser Titel ist am Lager. Oder: Verweilen Sie gern, aber ich gehe zurück an den Schreibtisch. Eine Kundin hatte ich länger beraten, sie hatte sich Notizen gemacht und kehrte drei Tage später strahlend zurück: Das war so super. Ich hab das alles sofort bei Amazon bestellt. Da habe ich gesagt, ok. Sie nehmen meine Arbeit nicht ernst, und deswegen ist dieses Gespräch beendet.
"Höfliche Klarheit kommt gut an"
Ich habe mir Mühe gegeben, diese Absagen freundlich zu formulieren. Diplomatie ist nicht meine erste Tugend; ich bin oft zu direkt. Das Verblüffende: Höfliche Klarheit kommt meistens gut an. Es gab nicht viele Beschwerden, eher ein Erstaunen: Ach ja, stimmt. Zweiter Schritt: Außentermine reduzieren. Das war schwieriger. Die Leute meinen tatsächlich, man ist dankbar, seine Freizeit an einem Büchertisch und 30 Euro Umsatz abzusitzen. Am besten im zugigen Halbdunkel, und gegen Ende des Vortrags ruft einer zu Mitleid mit der Buchhändlerin auf, mit unserer Buchhändlerin. Wir unterstützen den Einzelhandel vor Ort! Es verblüfft Menschen, wenn man in solchen Situationen sagt - ist nett, danke. Kaufen Sie zu den Ladenöffnungszeiten Bücher oder bestellen in meiner Abwesenheit über einen der Digitalkanäle. Das wirkt wie frische Luft in einem zugemieften Wohnzimmer an Weihnachten. Dieser herablassende Gestus des sich bewusst gebenden Konsumenten ist nicht nur ökonomisch irrelevant, er ist auch unhöflich. Warum dazu schweigen? Ich habe das im Spätsommer und Herbst durchgehalten. Klar sein, verbindlich sagen, was machbar ist und wo ich mich nicht zuständig oder auch veralbert fühle.
"Es spricht nichts dagegen, scheinrelevante Geschäftskontakte auslaufen zu lassen"
Dann kam Weihnachten. Und ich musste mich sehr wundern, im Guten. Ich war nicht so erschöpft wie in anderen Jahren. Ich habe mich weniger geärgert. Ich hatte sehr nette Kunden, der Umsatz pro Bon ist deutlich gestiegen. Eine Freundin, die länger nicht hier gewesen war, saß am 3. Adventssamstag auf dem besagten Sofa. Sie fragte nach Ladenschluss: Hast Du andere Kunden? Ich konnte sagen, nein. Ein paar Neukunden, aber etliche Besucher weniger. Viele, bei denen unterm Strich rote Zahlen standen. Umsatz weniger Warenaufwand weniger Rücksendegebühr weniger Zeitaufwand. Unterm Strich: Minusgeschäft. Und dabei ist noch nicht eingerechnet, wieviel Energie der heimliche Ärger frisst, dieses innere Augenrollen, wenn einer den Einzelhandel unterstützt, indem er einen fünf Jahre alten Gutschein hervor nestelt, um damit den Lektüreschlüssel für Goethes "Faust" zu bezahlen.
Ich meine, man soll als Händler wirklich nicht alles persönlich nehmen. Ein guter Kunde ist keiner, der übermäßige Aufmerksamkeit einfordert, um dann doch nur ein Schnäppchen zu schlagen. Das ist unfair. Ein guter Kunde weiß, dass Qualität ihren Preis hat. Wir können schlecht eine Beratungsgebühr erheben, wie das manche Spielwarenhändler inzwischen tun. Dafür sind die Ladenpreise zu niedrig und ich glaube, es wäre auch das falsche Signal. Ich meine aber, es spricht nichts dagegen, scheinrelevante Geschäftskontakte auslaufen zu lassen. Warum sollen wir nicht auch an uns denken? Die Kunden tun nichts anderes, tagein, tagaus.
Beziehung zu den Kunden/-innen.
Und ihr Text ist deshalb einmal dafür zu loben, weil er genau so Abläufe
beschreibt, die so ab und an in den Buchhandlungen passieren.
Dies ist doch intensives Leben mit den Leser/-innen, die täglich in die
Buchhandlungen kommen. Und genau dies beschreibt Frau Bergmann
in einer tollen Art und Weise.
Frau Bergmann erklärt auch, dass sie ihre Zeit genau einteilen muss.
Dies ist alles gelebter Alltag in ihrer Buchhandlung und man kann
staunen, wie ihr dies doch alles so gut gelingt.
Sie berichtet wirklichkeitsnah und vor allem ist ihr Text deshalb auch
so lesenswert.
Frau Bergmann geht mal aus sich heraus und berichtet so, wie es
jeden Tag bei Ihr in der Buchhandlung zugeht.
Und Leser/-innen als Kunden/-innen zu behalten, ist ihr dabei sehr
wichtig.
Ich finde, dass Frau Bergmann da einen sehr aufschlussreichen Text
über ihre Buchhandlung, so wie das Geschehen dort ist, verfasst hat.
Das ist kein "Kundenbashing", sondern betriebwirtschaftlich gesehen Notwehr.
Hier kann man das nachlesen:
https://www.akademie-marketing.com/marketing-lexikon/abc-analyse-der-kunden
herzlichen Dank für Ihren Artikel, den wir in allen Punkten gerne unterschreiben und der uns mächtig zum Lachen gebracht hat - genau so isses!
Sie sollten in Ihrem zweiten Leben Buchhandelsberaterin werden - endlich weht mal frische Luft durch die zugemiefte Buchhandelslandschaft!
Herzlich, das Team von Proust
Eine Lesung zu veranstalten ohne die Möglichkeit, die Literatur auch vor Ort zu erwerben, ist einigermaßen sinnlos.
Als Händler kritisch den Alltag mit Lieferanten und Kunden zu beleuchten sollte grundsätzlich adäquat und respektvoll durchgeführt werden.
Zum Jahresanfang liegt es nahe Betriebsabläufe und Regelungen neu zu bedenken.
Wir werden von den Verlagen auch als Kunden in A, B oder C Kategorien geführt, welche unterschiedliche Service- und Konditionamodelle aufzeigen.
Da finde ich es probat ebenfalls für sich zu klären, was kann ich leisten und rechtet sich das?
Kunden zeigen durchaus Verständnis wenn gewisse Wünsche von uns nicht erfüllt werden;
es ist in jedem Falle wichtig im gegenseitigen Respekt es freundlich zu erklären.
Auch der 'Nachfragemarkt' ,sollte er sich nicht nur digital exisitieren, hat mit Menschen und Emotionen, mit direktem Austausch und Meinungen zu tun.
Würden wir rein uns über 'Preis & Ware' definieren, wäre der unabhängige Sortimentsbuchhandel schon längst gestorben. Doch zeigt der hohe Anteil an Stammkunden das Gegenteil.
Sowohl'Die Klage ist des Kaufmanns Gruß' als auch 'Der Kunde ist König' sind heute beides keine Leitsprüche mehr.
Wir begegnen uns auf Augenhöhe.
Das ist in meinen Augen eine Hybris des stationären Handels und wird ihm keine neuen oder verlorenen Kunden zuführen. Falls das aber ohnehin gewollt ist, da diese Kunden Ihren Service ohnehin nicht zu schätzen wissen und daher des stationären Buchhandels als "C" nicht würdig sind, ist ja allen Seiten gedient.