Die Diskussion am Stand der "Süddeutschen Zeitung", moderiert von Franziska Augstein, war selbst ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, sondern ernsthaft in die Debatte einzusteigen, Informationen zu sammeln und in die Tiefe zu argumentieren. Als Augstein ihre Mitdiskutanten vorstellte, führte sie Wolfgang Ferchl, früher Knaus-Verleger, heute Publisher at large in der Verlagsgruppe Random House, mit den Worten ein, er verlege linke, aber auch rechte Literatur. Auf Ferchls Frage, wie sie darauf komme, dass er rechtslastige Bücher publiziere, antwortete Augstein, dass ihr das jemand gesagt habe. Aber: Wie zuverlässig ist das, was wir gehört haben - oder zu wissen glauben? Und eignet sich diese gefühlte Wirklichkeit als Basis für inhaltliche Auseinandersetzungen?
Einen grundsätzlichen Verlust an Debattenkultur in der Gesellschaft beklagte Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, auf dem Podium. "Wir haben verlernt, außerhalb unserer eigenen Echokammern miteinander zu reden". Im Moment werde viel über rechtes Gedankengut und auch über rechte Verlage auf der Messe gesprochen - aber die wenigsten, die darüber reden, dürften auch ein entsprechendes Buch gelesen haben: "Es fehlt an Menschen, die überhaupt in der Lage sind, fundiert in die Diskussion mit rechts einzusteigen," so Skipis.
Fehlendes Vertrauen in die Kraft des Arguments beklagte der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Er verwies dabei auf den Satz "Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen", mit dem Alexander Gauland den AfD-Erfolg bei der Bundestagswahl kommentiert hatte. Palmer stieg nach dieser Äußerung auf seiner Facebook-Seite in die inhaltliche Diskussion darüber ein, was das denn nun konkret bedeuten solle. Wer ist das eigentlich - "unser Volk". Alle, die einen deutschen Pass haben? Gehe man bei solchen Fragen ins Detail, würden AfD-Anhänger schnell ins Schleudern kommen, so seine Erfahrung in der Begegnung mit Wählern und Social-Media-Nutzern.
Für sein eigenes, im August bei Siedler erschienenes Buch "Wir können nicht allen helfen" musste Palmer viel Kritik einstecken, auch von Parteifreunden - obwohl er das Flüchtlingsthema darin durchaus differenziert beleuchtet und gerade rechtsorientierten Lesern nicht unbedingt das bietet, was das Cover verspricht.
Warum lässt er zu, dass der Titel für Missverständnisse sorgt? Palmer argumentierte auf der Buchmesse selbstbewusst: "Das ist das Problem mit unserem öffentlichen Diskurs: Es reichen schon fünf Wörter aus, damit alle Pegida rufen." Auch diesen Mechanismus habe er aufzeigen wollen. Und: Hätte er das Buch "Sicht eines Oberbürgermeisters auf die Flüchtlingsproblematik unter besonderer Berücksichtung der Universitätsstadt Tübingen" genannt - "dann hätte es keiner verkauft," weiß Palmer. So hat er die Hoffnung, dass es auch den einen oder anderen Leser findet, der nach der Lektüre von mehreren Seiten auf das Thema blickt.
Die Debatte streifte ebenfalls die Frage, ob der "Spiegel" richtig gehandelt hat, als er den Titel "Finis Germania" aus dem Kopp Verlag im Juli von der Bestsellerliste strich - und ob rechte Verlage auf der Buchmesse ausstellen sollten. Einhellige Meinung: Ein Ausschluss von Bestsellerlisten oder Buchmessen befördere letztlich nur Verschwörungstheorien und rücke die umstrittenen Bücher und Verlage erst recht ins Rampenlicht. "Wir müssen selber vorleben, dass wir die Regeln des demokratischen Diskurses beherzigen," mahnte Palmer. Alexander Skipis betonte, dass gerade Buchmessen und Buchhandlungen Orte der Auseinandersetzung und der Diskussion sein sollten. Das Fazit lieferte Wolfgang Ferchl: "Demokratie hält vielleicht mehr aus, als wir ihr manchmal zutrauen."
cro