Buchhandel zwischen kulturellem Engagement und Kostendruck: Können sich die Sortimenter den Einsatz für die Literaturförderung überhaupt noch leisten?
Literaturförderung assoziiert, dass hier vom Buchhandel etwas ohne eigenes Interesse geleistet wird. Aber das altruistische Mäntelchen passt nicht. Die kulturpolitische Rolle, die dem Buchhandel zugewiesen wird, stärkt seine Position. Leseförderung gehört zu den originären Aufgaben des Buchhandels.
In ländlichen Gebieten gehört die Buchhandlung zu den letzten verbliebenen sozialen Orten. Ist diese Rolle denn auch lukrativ?
Buchhändler kultivieren auf dem Land einen hohen Anteil des kulturellen Angebots und der Vernetzung. Der Bedarf, literarisch ambitionierte Veranstaltungen zu erleben, ist auch dort groß. Dafür könnten die Buchhändler getrost einen angemessenen Eintritt erheben.
Trotzdem lohnen sich Autorenlesungen nur selten. Hätten Sie Alternativvorschläge?
Als erstes sollten Buchhändler ihre Preispolitik einmal überdenken: fünf bis zehn Euro für Veranstaltungen zu nehmen, ist doch sehr zögerlich. Außerdem gibt es Alternativen zur Wasserglaslesung alter Art, die doch oft aus der Zeit gefallen wirkt. Es geht darum, die Kunden mit Gleichgesinnten zusammenzubringen. Dafür braucht es nur einen kleinen Anlass. Ein schönes Beispiel ist die Reihe Abendbrot der Hamburger Buchhandlung Stories – Buchvorstellungen mit handgeschmierter Schnitte, so einfach und so erfolgreich.
Gute Beratung gehört im Buchhandel zum Service. Wie lange darf ein Beratungsgespräch für ein Taschenbuch dauern?
Wenn Taschenbücher mit Mund- zu-Mund-Beatmung verkauft werden müssen, stimmt mit der Präsentation und mit den Büchern selbst etwas nicht. Das Drama beginnt im Einkauf: Es wird zu viel eingekauft und dadurch entsteht diese drangvolle Enge. Wo finden Sie zum Beispiel im Buchhandel Bilder? Stattdessen werden Streifenplakate mit noch mehr Information aufgehängt. Bücher müssen so präsentiert werden, dass die Beratung quasi miteingebaut ist. Wenn Produkte zur Geltung kommen, werden sie auch gekauft.
Spielt Beratung denn dann überhaupt noch eine tragende Rolle?
Zweifellos ja, aber die Beratungsleistung ist eine andere geworden. In den Köpfen der Buchhändler heißt Beratung immer noch Eins-zu-eins-Beratung. Das ist zu aufwendig und auch intellektuell zu wenig. Die Beratung besteht in der Inspirationsleistung und dazu gehören ständige Inszenierungswechsel. Zum Beispiel jeden Tag einen Büchertisch mit den Titeln, die in den Feuilletons des Tages besprochen wurden – das inspiriert. Die reine Beschaffung von Büchern jedenfalls ist von vorgestern, die Funktion des Buchversorgers ist obsolet. Damit gewinnen Buchhändler keinen Blumentopf mehr.
Hugendubel stattet seine Buchhändler mit Tablets aus – ein Vorbild für alle Sortimenter?
Das ist jedenfalls eine Investition mit hoher Symbolkraft. „Die Buchhändler sind ja doch auf der Höhe der Zeit“, dieser Aha-Effekt dürfte bei den Kunden ausgelöst werden. Buchhändlerempfehlungen präsentieren oder dem Kunden als Wegbegleiter durch den Laden mitgeben – was man mit den Tablets in der Buchhandlung alles anstellen kann, wurde noch längst nicht erschöpfend ausgelotet. Und: Hugendubel ist mit den Tablets nach langer Abwesenheit wieder auf dem Innovationsmarkt angekommen.
Lässt sich auch gegen verödende Innenstädte und den Rückgang der Kundenfrequenz etwas ausrichten?
Das Problem ist riesengroß und schwer zu handhaben. Aber das Thema ist in den Köpfen der Politiker, der Einzelhändler und manchmal auch der Vermieter angekommen. Buchhändler können formulieren, vor Publikum sprechen, kennen Intellektuelle und V.I.P.s, sie müssen als Epizentrum an ihrem Ort wirken. Ihre natürliche Führungsrolle sollte der Handel nutzen, um die Kräfte am Standort zu bündeln. Denn soviel ist klar: Mehr Attraktivität für Kunden ist am Standort kaum im Alleingang zu schaffen.
hier schießen Sie gewaltig über's Ziel hinaus. Was ärgert Sie denn so sehr an den Aussagen des Interviews?
Über die Dialektik von Theorie und Praxis wäre doch etwas vertiefter nachzudenken, als Sie es hier tun.
Natürlich sollte man für sich selber sprechen. Das tun auch viele Buchhändlerinnen und Buchhändler, ohne dabei ausschließlich im eigenen Saft zu schmoren. Ein Rat mit kenntnisreichem Blick von außen hilft auch Menschen, die selber denken. Und als "Genossenschaftsleitungsberatergestalt" stehe ich unseren Mitgliedern kostenlos zur Verfügung. Was bitte wäre Ihre Expertise?
9.000 Borgholzhausener sind halt nicht die Welt.
Dort, mittig über dem Tisch mit den relevanten Titeln des heutigen Feuilletons (gibt's die eigentlich als vorgepackte Wanne bei Libri), hängt doch ein Bild das sie bei der Entscheidungsfindung inspiriert....Ähem, nein, Cecilia Ahern wurde heute in der FAZ nicht besprochen...Aber wir haben demnächst einen Poetry Slam für neue deutsche Lyrik für 28 € im Vorverkauf...
Es wird in der Branche Zeit für die allgemeine Erkenntnis, dass viele kleine Buchhandlungen weitgehend abseits der hohen Literatur, der Literaturförderung und der Feuilletons existieren - und existieren müssen, denn die Nachfrage nach diesen Titeln ist vielerorts einfach nicht gegeben. Aber die ganze Branche stellt nach wie vor weitgehend auf das Buch Thema "Literaturförderung" und "Das Buch als Kulturträger" ab. In meinen Augen geht das weit an der Realität vorbei, und viele Buchhandlungen mit anderen Spezialisierungen werden in der Branche wenig berücksichtigt.
Prognosen, dass der Buchhandel in absehbarer Zeit als Nahversorger ausgedient habe, habe ich schon vor Jahren gehört. Tatsächlich ist die Versorgung mit Mainstream und die Bestellung von Büchern aber nach wie vor unser Hauptbroterwerb - und wir profitieren von vielen Kunden, die eine bewusste Entscheidung getroffen haben, nicht im Internet, sondern im Einzelhandel vor Ort zu kaufen. Und wenn das Wetter extrem ist (sehr heiß, sehr feucht, sehr kalt), beliebn die Kunden, die Stöbern und Spontankäufe machen sollten, aus, Zielkäufe und Bestellungen gibt es aber auch dann im üblichen Umfang. Das rettet uns über manchen schlechten Tag.
Leider hat ein großer Anteil der Konsumenten jedoch eine andere Entscheidung getroffen und kauft seine Bücher dort, wo es "einfach" zu sein und "schnell" zu gehen scheint.
Und hier sind wir wieder beim leidigen Problem der Kundenfrequenz: Nicht nur sind die Städte leerer als früher, es ist auch weitaus schwieriger geworden, die früher vermeintlich sicheren Bestseller zu verkaufen. Leider wird gerade der Mainstream, der früher ganz selbstverständlich im Buchhandel verkauft wurde, mehr und mehr an anderen Orten (Internet, Verbrauchermärkte u.ä.) umgesetzt.
Und auch, wenn Sie Veranstaltungen jenseits der Wasserglaslesung machen - wir haben einen inhaltlichen Schwerpunkt im spirituell-esoterisch-alternativmedizinischen Bereich und machen mehrmals im Jahr große Veranstaltungen mit in der Szene bekannten Referenten. Da kommen durchaus mal 300 Teilnehmer und bezahlen jeweils 20,- € Eintritt oder mehr - können Sie nicht sicher sein, dass dieselben Kunden ihr nächstes Buch bei Ihnen und nicht im Internet kaufen.
Eines aber ist sicher: Individualität, Servicequalität, Professionalität und der persönliche Kontakt zum Kunden werden den Buchhandel über die nächsten Jahre bringen. Und da darf auch eine Taschenbuch-Beratung (trotz professioneller Warenpräsentation) mal ein paar Minuten dauern.
… wir Berater sind unablässig auf der Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau, sonderlich erfolgreich waren wir dabei noch nie. Buchhandlungen sind immer Gesamtkunstwerke in ihrem Umfeld. Was in Hamburg funktioniert, muss anderswo nicht erfolgreich sein. Bleiben sie sich treu und arbeiten Sie weiter so, wie es Ihre Kunden von Ihnen erwarten. Es gibt kein Rezept für die erfolgreiche Buchhandlung an jedem Ort. Die „blauen Augen“, die sich die „großen Player“ in unserem Gewerbe in den letzten Jahren eingefangen haben, sprechen für sich.
Lassen Sie sich nicht verunsichern, Sie leisten großes, jeden Tag wieder, ohne Sie würde es dieses Gewerbe nicht mehr geben.
Dirk Scholze
Betriebsberater für den Sortimentsbuchhandel