Buchtage Berlin: Logistikumfrage vorgestellt, neuer Fünfjahresvergleich

Die Remissionsquote bleibt hoch

13. Juni 2017
Christina Schulte
Premiere bei der Logistikumfrage des Börsenvereins: Ein Fünfjahresvergleich zeigt zum ersten Mal, wie sich die Strukturen der Branche verändern – und die Dynamik im Digitalgeschäft langsam abflaut. Die Ergebnisse sind heute bei den Buchtagen Berlin vorgestellt worden, in der Sitzung der Zwischenbuchhändler.

Kurzfristige Trends und längerfristige Entwicklungen: Die Logistikumfrage 2017 bietet beides. Die Erhebung, an der sich neun Verlagsauslieferungen mit einem Gesamtumschlag von 2,503 Milliarden Euro beteiligt haben (print und digital, zu Nettoabgabepreisen), fällt in diesem Jahr umfangreicher aus als sonst – und zeigt die Veränderungen der Branche zwischen den Jahren 2012 bis 2016 auf.

Beim Gesamtumschlag print hat sich in diesem Zeitraum lediglich ein leichter Zuwachs von 1,3 Prozent ergeben. Ein Minusjahr sowie zwei Jahre mit Stagnation ließen kein besseres Ergebnis zu. Eine deutlich größere Verschiebung ist bei der Kundenstruktur zu erkennen: Der Fünf-Jahres-Trend zeigt Verluste des stationären Handels von fast fünf Prozentpunkten auf jetzt ­51,9 Prozent (siehe Grafik 1).

"Die Anteile des Sortiments geholt haben sich der Onlinehandel sowie der steigende Export, bedingt unter anderem durch Amazons polnische Logistik­zentren", lautet die Interpretation Stefan Könemanns, beim Börsenverein Vorsitzender des Ausschusses für den Zwischenbuchhandel. So kletterte die Exportquote von 9,9 Prozent auf 14,8 Prozent, der Online- und Versandhandel inklusive Weltbild pendelte zwischen 9,4 und 8,6 Prozent. Kaum Veränderungen ergaben sich beim zweitwichtigsten Kunden, dem Großhandel (Anteil um die 20 Prozent), bei den End­abnehmern (rund drei Prozent) sowie den Nebenmärkten mit zuletzt 1,7 Prozent.

Ein Blick auf die Rechnungsstruktur/Bündelung zeigt, dass an dieser Stellschraube weitergedreht werden sollte. Standen 2012 durchschnittlich 7,22  Exemplare pro Position auf einer Rechnung, waren es 2016 mit 7,48 ein wenig mehr (siehe ­Grafik 2). "Hier zeigt sich erfreulicherweise ein positiver Trend", sagt Stefan Könemann. Dennoch seien die Sortimenter gefordert, "ihr Bestellverhalten auch künftig zu überprüfen". Die Exemplare und Positionen pro Rechnung verharren annähernd auf den Vorjahreswerten. "Offenbar werden vermehrt die gut ­gängigen Titel über die Auslieferungen bezogen. Dagegen spricht aus Rationalisierungsgründen nichts", meint Könemann.

Ein diskussionswürdiges Thema ist und bleibt die hohe Remissionsquote. Sie pendelte sich im Fünfjahresüberblick bei einem Wert von ca. acht Prozent des Umsatzes ein: "Die Höhe ­dieser Kennzahl bleibt unter Rationa­lisierungsgesichtspunkten weiterhin ka­tastrophal", moniert Könemann. Schließlich würden hierdurch Kosten zulasten der gesamten Branche generiert. Kaum Bewegung verzeichnet auch der Lagerumschlag, der sich zwischen 1,13 und 1,16 bewegte.

Mehr unberechnete Ware 

Die Anzahl der Rezensenten rund ums Buch steigt, vor allem auch durch die Dynamik in den sozialen Medien. Nicht nur Buchhändler und Journalisten, auch zahlreiche Blogger wollen mit Frei- oder Rezensionsexemplaren ausgestattet werden – das schlägt sich in den Berechnungen der aktuellen Logistik­umfrage nieder. Waren 2012 noch 6,51 Prozent aller ausgelieferten Bücher kostenfrei, stieg diese Kennzahl 2016 auf 9,4 Prozent. Will heißen: Fast jedes zehnte Buch geht ohne Rechnung raus.

Positiv entwickelt sich die Bestellstruktur. 82 Prozent aller Aufträge sind im vergangenen Jahr elektronisch erfasst worden (siehe Grafik 3), 2012 lag dieser Wert bei knapp 78 Prozent. Die Bestellungen, die händisch weiterverarbeitet werden müssen ("Steinzeitübermittlungen", wie Könemann sie nennt), sind von 22 Prozent auf 18 Prozent gesunken.

Für die Vertreter sind die Zeiten nicht einfacher geworden. Der Anteil der Reiseaufträge an den Bestellungen betrug 2016 nur noch 18,84 Prozent (2012: 21,35 Prozent). Könemann schreibt das mehreren Faktoren zu:

  • Klassische Reisekunden verschwinden weiterhin vom Markt,
  • Filialisten und Onlinehändler bestellen ohne Vertreterbesuche,
  • stationäre Buchhändler reduzieren ihre Besuchstermine.

Diese Entwicklung zeige das chronische Dilemma der Vertreter und "warum wir dringend eine Anwendung wie das Titelinformationssystem VLB-TIX brauchen", bilanziert der Vorsitzende des Ausschusses für den Zwischenbuchhandel.

Weniger Kleinkram 

Wie schicken die Logistiker die Bücher zu den Empfängern? In etlichen unrentablen Kleinstsendungen unter zwei Kilogramm oder als Pakete, die mehr als 20 Kilogramm wiegen? "Glücklicherweise geht der Anteil der Kleinstsendungen zurück", so Könemann. Sie machen mit 34,4 Prozent zwar immer noch den Löwenanteil aus, jedoch mit abnehmender Tendenz (siehe Grafik 4). "Auf einem guten Weg sind auch die portoseitig rentablen und gut zu bewältigenden Packstücke im Bereich zwischen fünf und 20 Kilo", urteilt der Zwischenbuchhändler. In summa ist fast die Hälfte der Sendungen in dieser Gewichtsklasse unterwegs. Sein Fazit: "Der für alle Handelsstufen und Marktteilnehmer unrentable Kleinkram ist auf dem Rückzug – zusammen mit den unhandlichen Schwerstpaketen."

Bei den Transportwegen hat immer noch der Büchersammelverkehr die Nase vorn (43,4 Prozent aller Packstücke), wenngleich er Federn lassen musste (rund zwei Prozentpunkte seit 2012). Verloren hat auch die Post (Bücher, Warensendung, Briefe): 2012 stand sie bei 26 Prozent, 2016 beinahe drei Prozentpunkte darunter. Die Marktanteile geschnappt haben sich die Paketdienste mit jetzt 19,5 Prozent sowie die Frachtunternehmen, die jetzt 11,1 Prozent der Packstücke auf den Weg bringen.

Digitales bringt Umsatz 

In die Logistikumfrage sind natürlich auch die Digitalgeschäfte der vergangenen Jahre eingeflossen, die bei der Erhebung seit 2014 erfasst und analysiert werden. Für einige Kennzahlen liegt eine Fünf-Jahres-Auswertung vor, für andere ist das nicht der Fall.

Der digitale Gesamtumsatz der neun Teilnehmer betrug 2016 zu Nettoabgabepreisen 143,5 Millionen Euro, das entspricht seit 2012 einem Zuwachs von 213 Prozent.

"Wir haben ein großes Wachstum gesehen, insgesamt flacht die Wachstumskurve jedoch ab", resümiert Jens Klingelhöfer, Digitalexperte und Mitglied im Ausschuss für den Zwischenbuchhandel. Die Anzahl der direkt belieferten Händler je Teilnehmer liegt mittlerweile bei 31,3 (2015: 28,2).

Im Schnitt hat jeder Umfrageteilnehmer 120 Verlage in der E-Book-Auslieferung. Dieser Wert nimmt seit Jahren weiter zu, "es steigen also immer noch Verlage in die Digitalisierung ein", so die Schlussfolgerung Klingelhöfers. Auch die Anzahl der digital lieferbaren Titel geht kontinuierlich hoch, wenngleich mit abgeschwächter Dynamik. Diese erklärt Klingelhöfer damit, dass viele Backlistkataloge bereits in den vergangenen Jahren digital veröffentlicht worden sind. 19.182 E-Books wurden im Jahr 2016 gezählt (siehe Grafik 5), ein ­Zuwachs je Teilnehmer von 333,1 Prozent im Vergleich zu 2012. Damals waren 4.429 elektronische Titel lieferbar.

EPUB dominiert 

Bei den Formaten war von Beginn an EPUB das Mittel der Wahl, gefolgt von Mobipocket und PDF. "Proprietäre und interaktive Formate werden im Verhältnis zu den Standardformaten wenig genutzt", sagt Klingel­höfer. Bemerkenswert sei jedoch der Zuwachs bei KF8 sowie Fixed Layout, der jeweils bei rund 53 Prozent liegt – wenngleich auf niedrigem Niveau.

In Zahlen ausgedrückt sieht das folgendermaßen aus:

  • EPUB hat einen Anteil von 78,3 Prozent (2012: 81,2 Prozent),
  • PDF lag bei 43,1 Prozent und liegt jetzt bei 23,4 Prozent,
  • Mobipocket kletterte von 29,5 auf 38,7 Prozent,
  • KF8 verbesserte sich von 15,5 auf 23,6 Prozent,
  • Fixed Layout konnte sich von einem auf 2,2 Prozent vorarbeiten.

Verleihmodelle im Plus 

Wichtigster Abnehmer der E-Books ist seit Beginn der Auswertungen der digitale Handel (pay per Download / Stückverkauf). Er dominiert ganz klar mit 89,4 Prozent – ist allerdings schon fast zehn Prozentpunkte entfernt von seiner Spitzenmarke (98,1 Prozent) im Jahr 2012.

Seine Anteile hat er vor allem an digitale Verleihmodelle (Bibliotheken, Verleihplattformen) verloren, die mittlerweile 9,6 Prozent des Markts ausmachen. 2012 betrug ihr Marktanteil erst 1,8 Prozent. "Es ist ein sich fortsetzender Trend hin zu Verleih- und Subskriptionsmodellen zu erkennen", konstatiert Jens Klingelhöfer. Insbesondere scheine der Bib­liotheksmarkt für diese Steigerung verantwortlich zu sein. Auch das Geschäft mit Endabnehmern (Privathaushalte, Institutionen, Unternehmen) konnte ausgebaut werden: Von 0,1 Prozent auf ein Prozent im Fünf-Jahres-Verlauf.

Beim Verhältnis zwischen berechneten und unberechneten E-Books schneiden der digitale und der Printbereich ungefähr gleich ab. Etwa jedes neunte Buch wird digital gratis abgegeben. "Die Verlage machen hier von der Möglichkeit Gebrauch, Bücher zu Marketingzwecken zu verteilen. Anders als bei der Printproduktion entstehen hierbei im digitalen Segment jedoch so gut wie keine Kosten", rechnet Klingelhöfer vor.

Höhere Remissionen 

Aufschlussreich ist immer wieder der Blick auf die Remissionsquote. 2016 belief sie sich im digitalen Bereich auf 0,89 Prozent vom Umsatz – ein leichter Anstieg auf niedrigem Niveau (2015: 0,71 Prozent). "Die Gesetzesänderung hin zu einer ver­braucherfreundlichen neuen Rückgabe­regelung aus dem Jahr 2014 hatte bisher keine extremen Auswirkungen auf die Remissionsquote", lautet die Bilanz des Digitalexperten. Fraglich bleibe, ob der Anstieg durch eine höhere Kulanz der Händler oder durch häufigere Rückgaben auf Basis der neuen Gesetzeslage verursacht werde.

Analog zu der Entwicklung bei den gedruckten Büchern zeigt sich auch bei den E-Books eine Zunahme des Auslandsgeschäfts. Etwa 60 Prozent der Umsätze wurden 2016 in Deutschland generiert, rund 40 Prozent stammen aus dem Ausland – mit steigender Tendenz. 90 Prozent der Auslandsumsätze wiederum werden mit dem deutschsprachigen Ausland getätigt. Maßgeblich für die Länderzuordnung ist dabei der Sitz des Endkunden, der das Buch kauft, und nicht der Standort des Shop-Betreibers.

Nimmt man den Anteil der fakturierten Exemplare als Kennzahl, so finden rund 65 Prozent der Einheiten ihre Leser im Inland, 35 Prozent werden von Käufern im Ausland erworben. Hierbei kommen mehr als 80 Prozent der Auslandsabsätze mit dem deutschsprachigen Ausland zustande. "Weiterhin lässt sich vermuten", so Klingelhöfer, "dass der Export in andere, nicht deutschsprachige Märkte ein wachsendes, moderates Zusatzgeschäft für deutsche Verlage darstellt."