Berlin: "Fragen Sie!"
Seit das Business der Selfpublisher blüht, sind Verlage unter Rechtfertigungsdruck geraten. Was tun die Häuser eigentlich, mal davon abgesehen, dass sie Bücher auf den Markt bringen und damit Geld verdienen, dass doch zuerst den Autoren zustehen sollte, ganz so scheint ein Teil der Öffentlichkeit zu denken. Der Landesverband des Börsenvereins Berlin-Brandenburg lud zu Aufklärungszwecken im Vorjahr das Publikum ein, Verlage in der Hauptstadt und im Umland zu besuchen. Wegen des Premierenerfolgs wurde die zweite Runde von #verlagebesuchen zu einem deutschlandweiten Angebot rund um den Welttag des Buches ausgedehnt. In Berlin öffneten diesmal 28 Verlage ihre Türen.
"Ask us anything" hatte der Hanser Berlin Verlag über seine Einladung geschrieben, Verlagsleiter Karsten Kredel und Autorin Jackie Thomae ("Momente der Klarheit") saßen bereit, um Antworten zu geben – und das zahlreiche Publikum ließ sich nicht lange bitten:
"Kann man vom Schreiben leben?" – wurde gefragt. "Es wird schwieriger", antwortete Thomae. "Man sollte sich jedoch ohnehin nicht für die Schriftstellerlaufbahn entscheiden, weil man wohlhabend werden möchte, sondern weil es einen zum Schreiben drängt." Und Karsten Kredel fügte hinzu: "Als Verlag ist man beruhigt, wenn Autoren noch andere Jobs haben." Nächste Frage: "Welche Stationen durchlaufen Praktikanten?" Kredels Antwort: "Praktikanten machen alles, was anfällt. Es ist auf jeden Fall nicht so, dass man morgens um halb neun erst einmal für alle Kaffee kocht."
Die Verlagsarbeit hat sich nach Karsten Kredels Einschätzung gravierend verändert. "Renommierte Verlage mussten früher nur gute Bücher machen, dann waren sie auch erfolgreich. Das genügt heute nicht mehr. Ein Großteil der Arbeit ist darauf gerichtet, Aufmerksamkeit zu erzeugen und selbst Geschichten über Bücher zu erzählen", sagte er. Zudem sei es schwieriger geworden, Bücher über saisonale Zyklen hinaus im Gespräch zu halten. Lektoren, so klärte Kredel weiter auf, seien zu Produktmanagern geworden. Zum konzentrierten Lesen sei in erster Linie an Wochenenden Zeit, 60 bis 70 Stunden kämen so pro Woche schnell zusammen. Da sollte sich wohl keiner der Zuhörer Illusionen hingeben.
Das Publikum erhielt mithin nicht immer die vielleicht erhofften Antworten, aber die Neugier wurde vollumfänglich befriedigt. Karsten Kredel wich keiner Frage aus, sprach über sinkende Verkaufszahlen und die zunehmende Bedeutung von Literaturagenten. Aber eine Frage schien ihn dann doch zu überfordern: "Welches ist Ihr Hanser Berlin-Favorit?" Sollte er von seiner gewiss nicht alltäglichen Begeisterung für "Ein wenig Leben" von Hanya Yanagihara sprechen? Der Schriftsteller Robert Seethaler ("Ein ganzes Leben") war mit seinem Sohn zwar schon früher gegangen, aber neben Karsten Kredel saß ja schließlich noch immer Jackie Thomae. Und also zog er sich auf die Antwort aller Verleger zurück: Jedes Buch ist ein Lieblingsbuch.
So ähnlich formulierte das auch Christian Ruzicska – der sein gesamtes Programm auf einem großen Tisch ausgebreitet vorzeigte. Auch der Secession-Verleger wurde deutlich: "Viele wollen schreiben, aber sie landen oft nur bei einer Plattitüdenhaftigkeit." Zack! Mit der harschen Einschätzung hat sich der Verleger womöglich einige Manuskripte vom Hals gehalten. Er schob dann noch nach: Ein Verlag, wie er ihn verstehe, sei verantwortlich dafür, Literatur zu veröffentlichen, die eine Tiefenschärfe entwickele.
Der Secession Verlag hat seine Büros seit einiger Zeit in der Galerie P98a in Schöneberg, wo der Gestalter und Typograf Erik Spiekermann Andruckpressen und Satzschriften untergebracht hat. Kein Wunder also, dass in den schönen Räumen einer ehemaligen Mädchenmalschule auch viel über Gestaltung gesprochen wurde. Man wolle alte Technoligen bewahren und sie auch für die Gegenwart nutzbar machen, sagte der Typograf Ferdinand Ulrich zum Konzept der Galerie. Suhrkamp-Klassiker sollen etwa ab Herbst in kleinen, hochwertigen Auflagen in einer Kombination aus digitalen und analogen Druckverfahren produziert werden.
Christian Ruzicska erklärte einem hie und da erstaunten Publikum, warum die Cover der Sesession-Bücher anders aussehen als die der meisten Verlage; die von Spiekermann gestalteten Titel setzen auf typografische Lösungen, Bilder kommen selten zum Einsatz: "Wir wollen die Leser nicht bevormunden und durch Bilder keine emotionale Vorentscheidung provozieren." Durch die Typografie werde nur "ein Hauch" von Aufmerksamkeit erzeugt. Die zurückhaltenden Umschläge entsprechen dem Literaturideal des Verlegers: Bücher sollen Denkräume öffnen.
Womöglich ist das – pathetisch formuliert – auch mit #verlagebesuchen gelungen. Rund 700 Besucher zählten die Veranstalter, fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Für den Geschäftsführer des Landesverbands Berlin-Brandenburg Detlef Bluhm ist daher klar: "Wir machen auf jeden Fall im kommenden Jahr weiter."
Holger Heimann
Normal 0 21 false false false DE X-NONE X-NONE /* Style Definitions */ table.MsoNormalTable {mso-style-name:"Normale Tabelle"; mso-tstyle-rowband-size:0; mso-tstyle-colband-size:0; mso-style-noshow:yes; mso-style-priority:99; mso-style-parent:""; mso-padding-alt:0cm 5.4pt 0cm 5.4pt; mso-para-margin-top:0cm; mso-para-margin-right:0cm; mso-para-margin-bottom:8.0pt; mso-para-margin-left:0cm; line-height:107%; mso-pagination:widow-orphan; font-size:11.0pt; font-family:"Calibri","sans-serif"; mso-ascii-font-family:Calibri; mso-ascii-theme-font:minor-latin; mso-hansi-font-family:Calibri; mso-hansi-theme-font:minor-latin; mso-fareast-language:EN-US;}
München: Wohnzimmer, Flaggen und Podien
Die Initiative #verlagebesuchen wurde mit großem Engagement umgesetzt. Der kleine Susanne Rieder Verlag hatte im Vorfeld um Anmeldung gebeten und war dann überrascht, dass doch mehr Familien, Autoren und Illustratoren ihr Haus im Westen Münchens besuchten und viel länger blieben als geplant. Susanne Rieder und ihr Bruder Johannes Rieder hatten das Wohnzimmer mit Verlagsprodukten ausgestattet und erzählten von ihrer Arbeit. Bemerkenswert ist die Orientierung des Verlages an das jeweilige Gastland der Frankfurter Buchmesse. Schon 2012 veröffentlichten die Rieders das Buch "Wir sechs aus Neuseeland" von Esther Glen und führen seither diese Tradition fort, jährlich ein zum Ehrengast passendes Buch zu veröffentlichen. Rechtzeitig zur Messe wird deshalb in diesem Jahr ein außergewöhnlicher Western für Kinder von Simon Roussin erscheinen. Der Bildband "Der Bandit mit dem goldenen Colt" wurde mit Filzstiften vom bekannten französischen Comic-Künstler spektakulär illustriert und die Rieders rechnen fest damit, dass Roussin nach Frankfurt kommen wird, um dort das Buch vorzustellen.
Am Eingang zur dtv Verlagsgesellschaft machten eigens hergestellte Flaggen auf diese besonderen Tage der offenen Tür aufmerksam. Dass bei dtv gute Bücher erscheinen steht außer Frage, und doch überraschte das allgegenwärtige Motto: "Wir sind die Guten". Fast alle dtv-Mitarbeiter trugen entsprechende T-Shirts: "Wir sind nicht größenwahnsinnig geworden und haben auch kein Ego-Problem", versicherte die Verlagsleiterin Claudia Baumhöver schmunzelnd im überfüllten Konferenzsaal im Erdgeschoss des Verlages und rasch wurde dem Publikum klar, dass es sich um den Buchtitel des neuen Romans von Dora Heldt handelt.
Auf sechs Etagen arbeiten 130 dtv-Mitarbeiter daran, dass jährlich rund 450 Titel erscheinen (für deren Umschläge etwa 1.500 Vorschläge gemacht werden) und eine Backlist mit großen Namen wie Böll, Grass und Lenz gepflegt wird. Baumhöver stellte das vielfältige Programm vor, wies auf die vielen Neuübersetzungen bei dtv hin oder auch auf Alexander von Humboldt: "Wenn Sie ein reines Wirtschaftsunternehmen wären, würden Sie folgendes nicht tun: Einen Autor, der seinen 250. Geburtstag hat und ein Werk hinterlässt, das 24 Millionen Zeichen beherbergt mit 15 Bänden in die Welt bringen. Das macht man, weil man als Verlag möchte, dass dieses Werk genutzt wird und Wirkung tut." Baumhöver bezeichnete die Lektorate als die Herzkammern des Verlages und die Autoren als diejenigen, um die sich alles dreht, worauf sie Dora Heldt interviewte, die ihrerseits das Publikum mit Höhepunkten ihrer Lebensgeschichte und einer Lesung aus "Wir sind die Guten" begeisterte.
Auch im Piper Verlag waren Mitarbeiter aller Abteilungen anwesend und auf dem Podium saßen gleich drei Autoren: Georg M. Oswald, Pierre Jarawan und Su Turhan. Verlagsleiterin Felicitas von Lovenberg unterhielt sich mit ihnen und verdeutlichte dem dicht gedrängten Publikum, wie eng die Zusammenarbeit zwischen Lektorat, Herstellung, Presse, Vertrieb, Buchhaltung, Lizenzen und auch Marketing sein muss, damit eine effiziente Verlagsarbeit möglich ist und die Autoren gut aufgehoben und erfolgreich sind. "Wir sind auf alle unsere Autoren stolz", betonte von Lovenberg und wies auf den oft harten Wettbewerb um einzelne Autoren und Titel hin. Sehr selten komme es vor, dass bei Entscheidungen für oder gegen eine Veröffentlichung Uneinigkeit im Hause herrsche. Allerdings müssten manchmal Grundsatzentscheidungen getroffen werden, wie beispielsweise beim ersten Thriller für Erwachsene der Twilight-Autorin Stephenie Meyer: "Das wird dann so schnell so teuer, dass Klarheit herrschen muss, ob und wie das in unser Programm passen könnte", so Lovenberg, die sich letztlich gegen den Titel entschied. Auf #verlagebesuchen hielt von Lovenberg fest: "Wir sind alle zuerst Leser. Das ist für mich so schön an Manuskripten im Verlag. Wir lesen in der Gruppe."
Während der sehr lebhaften Diskussion live und den Hashtag-Anmerkungen im Netz wurden viele Aspekte der Verlagsarbeit angesprochen. In einem Nebenraum hatten die Besucher auch die Möglichkeit, verworfene Coverentwürfe mit den letztlich verwirklichten zu vergleichen. Eva Brenndörfer, Pressesprecherin bei Piper fand die Resonanz des Publikums toll: "Wenn wir gewusst hätten, dass so viele Leute kommen, hätten wir noch mehr Stühle aufgestellt. Vielleicht brauchen wir künftig größere Räume", sagte Brenndörfer angesichts des überfüllten Saals. Auch Petra Büscher, Pressesprecherin bei dtv war begeistert: "Sonntag ist ideal für eine solche Aktion: Da haben die Leute Zeit und sind entspannt."
Für leichte Unsicherheit sorgten bei der #verlagebesuchen-Premiere die Büchertische. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen war zwar frei und es gab von Kaffee über Butterbrezen bis zu Eis viele Extras kostenlos, aber Bücher gebe es grundsätzlich nicht umsonst, so der Tenor. Da #verlagebesuchen jedoch als Pendant für Verlage und erwachsene Leser der Buchhandelsaktion für Kinder "Ich schenk dir eine Geschichte" konzipiert ist, fehlte den Veranstaltungen für die "Großen" das entsprechendes Geschenkbuch, was manche Besucher irritierte und manche Verlage durch (Buch-)Geschenke auszugleichen versuchten. Die meisten aber verkauften an großen Büchertischen ihre Novitäten und die anwesenden Autoren signierten gerne und ausdauernd.
Nicola Bardola