Wie geht es der italienischen Buchbranche aktuell?
Endlich wieder besser. 2016 haben wir mit einem eindeutigen Plus von mehr als zwei Prozent Umsatzsteigerung gegenüber dem Vorjahr abschneiden können, nachdem es bereits 2015 eine positive Tendenz gegeben hatte. Wir fangen an, uns von den Schreckensjahren davor zu erholen. Unsere Unternehmen zeigen sich gesund und wettbewerbsfähig. Das Vertriebssystem erneuert sich, wenn auch noch etwas langsam.
Über welche offenen Fragen wird debattiert?
Diskutiert werden Fragen wie der Umgang mit der Preisbindung. Nachlässe sind im Augenblick bis zu höchstens 15 Prozent vom Festpreis möglich. Es gibt im Verband Stimmen, die das reduzieren möchten. Offen ist nach wie vor das Verhältnis zu Amazon, was aber nicht nur ein italienisches Problem ist. Grundsätzlich müssen wir die Leserbasis erweitern, die im Augenblick im Landesdurchschnitt noch bei nur knapp 41 Prozent der Bevölkerung liegt. Wir investieren einiges in Leseförderung und wünschen uns, dass uns dabei die Politik mehr unterstützen würde.
Zum Beispiel?
Eine Steuerbefreiung könnte etwa hilfreich sein. Bislang beträgt die Umsatzsteuer bei Büchern 4 Prozent des vom Verlag festgelegten Preises. Dem Staat würde eine Befreiung keine wesentlichen Verluste bringen, gleichzeitig würde sie den Anreiz zum Kauf von Büchern erheblich steigern.
In diesem Umfeld hat der Verband eine neue Messe ins Leben gerufen und sich nach 30 Jahren vom Salone del Libro in Turin getrennt. Warum hat die alte Buchmesse nicht funktioniert?
Ich möchte es andersherum sagen: Es gibt eine neue Messe in Mailand. Das ist die Messe der Verleger, organisiert von den Verlegern. Ich mag nicht gern über das Thema Turin reden. Klarstellen möchte ich nur, dass es weniger um die Veranstaltung, um den Salone di Torino ging, sondern um den Veranstalter, also um die Fondazione del Libro, die Turiner Buchstiftung. Wir wollten in Turin weitermachen, wollten aber über den Salone mitbestimmen. Wir waren nicht mit dem Einfluss der öffentlichen Hand und der Politik in der Buchstiftung einverstanden. Wir wollten nicht in die Finanz- und Besitzstandspolitik der Buchstiftung verwickelt werden, die war ein einziges Desaster. Wir hatten sogar angeboten, den Salone finanziell ganz zu übernehmen. Doch man wollte ohne uns weitermachen.
Mailand ist der Sitz der wichtiger Verlagshäuser. Wird das eine Messe für Großverlage?
Ich wünschte, dass es in Italien 437 Großverlage gäbe. Denn so viele Verlage werden an der Mailänder Messe teilnehmen. Die Entscheidung für Mailand fand auf der Grundlage objektiver Kriterien statt. Der Einzugsbereich der Nutzer ist fünf Mal so groß wie in Turin. Mailand ist der Ort, in dem ein bedeutender Teil der Buchbranche operiert. Aber nicht nur wegen der Großverlage. Hier gibt es mehr Kleinverlage als anderswo. Hier hat sich ein herausragendes System von Buchhandlungen und Bibliotheken herausgebildet. Und schließlich gibt es eine international operierende Messegesellschaft.
Der Salone del Libro findet trotzdem statt, und das keine vier Wochen später vom 18. bis 22. Mai. Auf der Mailänder Messe werden 437 Verlage mit einem eigenen Stand vertreten sein, für Turin haben sich 700 Aussteller (teilweise an Gemeinschaftsständen) gemeldet. Machen sich nicht Mailand und Turin unnötig Konkurrenz?
Wir wollten nicht, dass es dazu kommt. Als Kulturminister Dario Franceschini versucht hatte zu vermitteln, haben wir eine Reihe von Vorschlägen gemacht, die aber leider von Turiner Seite abgelehnt wurden. Die beiden Messen sind zudem nicht so identisch, wie es vielleicht erscheinen mag. "Tempo di Libri" − die Messe, die wir auf die Beine stellen - wird sich wie die von Turin auch ans Publikum wenden. Aber es ist, wie der Untertitel lautet, die "Fiera dell'editoria italiana", die "Messe der italienischen Buchbranche". Es geht also um alle Sektoren der Branche, um berufsspezifische Fragen des Buchhandels, etwa auch um Schulbücher − alles Themen, die bislang in Turin gefehlt hatten.
Wie international wird die Messe sein?
Natürlich wollen und können wir nicht Frankfurt Konkurrenz machen. Aber wir haben ein "Milan International Rights Center" aufgebaut, das internationale Kontakte nach und aus Italien heraus fördern soll. Wir wünschen uns für die Zukunft, Zusammenarbeit mit Messen wie Frankfurt. So wie wir als AIE auch in Frankfurt bei der Buchmesse selber auftreten. Im vergangenen Jahr etwa mit einem viel beachteten neuen Konzept für Italien als einheitliches System von Verlagen und Regionen. Und schließlich zeigt auch die Wahl einer unserer Kuratorinnen den internationalen Anspruch: Nina Klein, die frühere Pressesprecherin der Frankfurter Buchmesse und europäisch agierende communications and buisiness consulant, verantwortet das Programm der digitalen Themen der Mailänder Messe.
Viele Autoren und Teile der Öffentlichkeit zeigen eine gefühlsmäßige Bindung an den Salone del Libro. Wird das nicht zum Nachteil von "Tempo di Libri" ausschlagen?
Innerhalb von nur vier Monaten haben wir mit einer ungeheuren intellektuellen und organisatorischen Anstrengung mehr als 400 Aussteller gewonnen. Es wird 720 Veranstaltungen geben. An die 2000 italienischen und ausländischen Autoren werden auftreten. Die Buchmesse ist frei von politischen Einflüssen und wird allein von der Gesellschaft getragen, die der Verband der Verleger zusammen mit der Mailänder Messegesellschaft gegründet hat. Gerne nehmen wir aber die Unterstützung der Kommune Mailand an, etwa mit Räumlichkeiten für zahlreiche Abendveranstaltungen im Stadtgebiet. Wir glauben an dieses Projekt und daran, dass es eine Zukunft haben wird.
Trotz der Spannungen, die innerhalb des Verlegerverbandes wegen der Mailänder Messe aufgebrochen sind?
Es hat eine Diskussion innerhalb der AIE gegeben, wie es bei solchen Themen und Entscheidungen notwendig ist. Dann hat sich eine Mehrheit für den Standort Mailand ausgesprochen und dafür zusammen mit der Messe Mailand eine eigene Gesellschaft zur Durchführung zu gründen. Nicht nur eine Mehrheit der Großverlage, sondern die Entscheidung lief quer durch alle Reihen. 10 Verlage haben daraufhin den Verband verlassen. Mir tut es leid um jeden Verlag, der nicht mehr dabei ist, aber man kann nun wirklich nicht sagen, dass sich die AIE gespalten habe. Jeweils im Dezember findet seit 15 Jahren in Rom die Messe "Più libri, più liberi" ("Mehr Bücher, mehr Freiheit") statt. Das ist die einzige landesweite Messe in Europa für kleine und mittlere Verlage. Sie wurde von der AIE ins Leben gerufen und wird von unserem Verband Jahr für Jahr veranstaltet. Wenn sich jemand um die kleineren Verlage kümmert, dann ist das die AIE.
Am Anfang des Gesprächs haben Sie die dünne Leserbasis in Italien beklagt. Während der Norden des Landes im Vergleich zu Mitteleuropa mithalten kann, hängt der Süden weit hinterher. Wird das ein Thema der Zukunft sein?
In Süditalien liest man weniger, es gibt weniger Buchhandlungen und weniger Bibliotheken. Das Gewebe, das den Buchmarkt südlich von Rom stützt, ist äußerst schwach und der Bruch zwischen Nord- und Süditalien bleibt ein fundamentales Problem. Wir haben kürzlich angekündigt, verstärkt in Süditalien aufzutreten. Das werden wir auch umsetzen. Es versteht sich, dass es unsere Kräfte übersteigen würde, noch in diesem Jahr tätig zu werden. Aber bereits ab dem kommenden Jahr wird es eine Messe, besser: eine wichtige Veranstaltung im Süden geben. Wir sind da bereits in Kontakt mit verschiedenen Partnern etwa auf Sizilien, in Apulien und in Kampanien.
Federico Motta führte in Mailand in dritter Generation ein eigenes Verlagshaus bis 2008, als er und die Familie Motta sich aus dem Unternehmen zurückzogen. Seitdem ist der 62-Jährige für verschiedene Verlage tätig. Als Präsident stand er dem italienischen Verlegerverband Associazione degli Editori Italiani (AIE) von 1997 bis 2009 vor und steuert die AIE erneut seit September 2015. Von 2008 bis 2010 war er auch Vorsitzender des Europäischen Verlegerverbandes (FEE).
Info zum Buchmarkt Italien:
Es gibt rund 4.600 Verlage, die pro Jahr mindestens ein Buch veröffentlichen. Der Gesamtumsatz der Branche betrug 2016 rund 2,5 Milliarden Euro und stieg gegenüber 2015 um 2,3 Prozent − in 2011 wurden aber noch 3,1 Milliarden Euro umgesetzt. Es gibt 63.000 Neuerscheinungen (74.000 E-Books) pro Jahr. E-Books machen 5,1 Prozent des Handels aus, Tendenz steigend. Der wichtigste Verkaufskanal bleiben die Buchhandlungen mit 72,2 Prozent vor dem E-commerce mit 13,9 Prozent.
Verlegerverband AIE (Mailand): www.aie.it
Vereinigung der Buchhändler ALI (Rom): www.libraitaliani.it
Verband der Bibliotheken AIB (Rom): www.aib.it
Info zur Buchmesse "Tempo di Libri"
Messe Mailand/Rho: 19. bis 23. April, tgl. 10−19.30 Uhr. Veranstalter: La Fabbrica del Libro (Gesellschaft gegründet vom Verlegerverband AIE zusammen mit der Messe Mailand/Rho) in Zusammenarbeit mit der Buchhändlervereinigung ALI und dem Bibliothekenverband AIB sowie der Stadt Mailand und der Region Lombardei.
35.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, 17 Konferenzräume und ein Auditorium mit 1.000 Plätzen. Erwartet werden rund 420 Aussteller (Verlage, Bibliotheken, Vereinigungen und start up der Buchbranche, Zeitschriften u.a.). Es gibt 720 Veranstaltungen mit 2.000 Autoren und Fachleuten. MIRC (Milan International Rights Center) im Pavillon 1 mit 350 Teilnehmern aus 32 Ländern. Leitung Gesamtprogramm: Chiara Valerio. Weitere Programmkuratoren: Nina Klein (digitale und technologische Themen), Giovanni Peresson (Branchenprofessionelle Themen), Pierdomenico Baccalario (Themen für Kinder- und Jugendliche 0−18).
www.tempodilibri.it, Kontakt zum Organisationsbüro: alessandra.primo@tempodilibri.it
Info zum Buchmarkt-Standort Mailand
352 Verlage (20 Prozent aller in Italien aktiven) veröffentlichen rund 22.300 Titel im Jahr (35 Prozent der in Italien veröffentlichten Titel und 51 Prozent der Gesamtauflage). Der Großraum Mailand deckt 19,7 Prozent des Umsatzes des gesamten italienischen Buchmarktes und 19,9 Prozent der gesamten Leserschaft des Landes ab (18,5 Prozent aller E-Book-Leser). Hier finden sich 27 Prozent aller italienischen Bibliotheken.