Die nackte Wahrheit

Ich liebe Gastspiele. Zu meiner Zeit als Kleinkünstler war das Gastspiel die Grundlage meiner Existenz. Und was für ein schönes Wort: Gastspiel. Gast zu sein und spielen zu dürfen. Gibt es Schöneres? Und heute darf ich ein Gastspiel geben in der Buchbranche, im Börsenblatt, ein erlesenes Parkett. Vorhang auf!

Wie kam es zu diesem Gastspiel? Ich habe ein Buch geschrieben, das im März veröffentlicht wurde. Über Kreativität. Es trägt den Titel: »Titel bitte selbst ausdenken« und ist im Gabal Verlag erschienen. Ich hatte zwar noch etwa 172 andere Ideen für den Titel. Aber am Ende dachte ich mir, der Leser kann ja auch mal was tun. Im August meldet sich dann plötzlich das Börsenblatt und fragt mich an: für einen Vortrag auf der Buchmesse. Klar, gern, das ehrt mich. Und ob ich vielleicht einen Beitrag fürs Börsenblatt schreiben möchte? Klar, gern, das ehrt mich.

Und dann sitze ich sieben Stunden vor Skriptabgabe – und wenige Minuten vor Mitternacht – am Rechner und frage mich: Was interessiert denn die werten Leser des Börsenblatts überhaupt? Natürlich die besten Ideen aller Zeiten für den Buchhandel, logisch, aber das ist mit 3 200 Zeichen kaum in den Griff zu kriegen. Da lesen Sie besser mein Buch.

»Kompetenzbeweis« Also schreibe ich hier mal was, was vielleicht nur Sie interessiert – und sonst niemanden auf der Welt. Nämlich warum ein Redner, und das ist mein eigentlicher Job, überhaupt ein Buch schreibt. Die Antwort lautet: »Kompetenzbeweis«. Wenn Sie sich als Keynote Speaker verkaufen wollen, dann müssen Sie im Tagungsbusiness Ihren Expertenstatus glaubhaft machen. Und dazu bedarf es folgender Kompetenzbeweise: Bücher schreiben, einen Lehrauftrag haben, gute Referenzen nachweisen und Preise gewinnen. Das ist die nackte Wahrheit. Außerdem ist ein eigenes Buch ein tolles, kleines Geschenk für anfragende Vortragskunden. Und wenn die dann den Vortrag buchen, verkauft man noch 100 Bücher als Give-away obendrauf. So ist das.

Wenige Redner schreiben aus Liebe zum Schreiben. Die meisten schreiben ja nicht mal selbst. Hauptsache, man besetzt sein Thema und liegt in der Buchhandlung am Flughafen sichtbar aus. Deshalb wollen die Speaker ja auch alle ihr Porträt auf dem Cover. Buch ist Marketing. Klappentext ist Vortragswerbung. Und die begleitende PR natürlich auch. Buchen Sie mich?

Blick auf die Uhr. Gleich halb zwei, mein Gastspiel ist zu Ende. Danke dass ich bei Ihnen sein durfte. Und ganz unter uns: Ich liebe auch das geschriebene Wort. Das Einzige, was mir dabei wirklich fehlt, ist der Blick in Ihre Augen – und ein bisschen Applaus. 

Bernhard Wolff auf der Buchmesse

Sie möchten Bernhard Wolff live erleben? Dann besuchen Sie uns auf der Frankfurter Buchmesse! »Lust auf Ideen – auch im Buchhandel«: Bernhard Wolff bringt Temperament auf die Bühne und liefert Ihnen frische Ideen für eine Punktlandung beim Kunden. Eine Veranstaltung des Börsenblatts für Buchhändlerinnen und Buchhändler (Mittwoch, 19. Oktober, 14 Uhr, Halle 3.1, Stand H 85, Forum Börsenverein).