Am Ende war fast kein Durchkommen mehr, der Geräuschpegel bemerkenswert, so angeregt unterhielten sich die zahlreichen Gäste aus Politik, Verlagen, Kulturinstitutionen und natürlich aus den beiden Gastländern Niederlande und Flandern. Viele Jahre Vorbereitungen stecken hinter jedem Gastlandauftritt auf der Frankfurter Buchmesse, da darf auf der Zielgeraden auch mal ein bisschen gefeiert werden.
Begonnen hatte alles mit einem Konzept, wie Bas Pauw, Projektleiter des Gastlandauftritts, erzählte. Dieses schickte er vor etwa drei Jahren an Buchmessen-Direktor Juergen Boos. Pauw erinnerte sich gut gelaunt: „Zu unserer Freude war er begeistert, und zu unserem Glück hatten sich nicht die USA im selben Jahr beworben!“. Mit der Zusage ging die Arbeit natürlich erst richtig los. Denn wie stellt man Literatur auf einer Bühne vor? Einig war man sich darin, die ganze Breite der niederländischsprachigen Literatur und vor allem die junge Generation vorstellen zu wollen. Weil niederländische und flämische Autoren sich eine Leserschaft teilen, so Pau, machte nur ein gemeinsamer Auftritt Sinn. Und natürlich gab und gibt es eine klare wirtschaftliche Zielsetzung: Die Steigerung der Neuerscheinungen.
Das hatte schon 1993 funktioniert. Die Niederlande waren damals bereits Ehrengast der Buchmesse. Für alle ein Riesenerfolg, das findet auch Juergen Boos. „Der Auftritt der Niederlande war einer der tollsten Auftritte.“ Die Generation der Schriftsteller, die dadurch in Deutschland bekannt wurde, ist heute um die 70 Jahre. Vielen großen Autoren wie Cees Nooteboom, Leon de Winter oder Margriet de Moor wurde dadurch zum Durchbruch auf dem deutschen Markt verholfen. Aber natürlich wird die Wahl des Ehrengastes nicht durch wirtschaftliche Gründe bestimmt, so Jürgen Boos. „Denken Sie nur an Island. Die Warteliste ist relativ lang, zudem hat die Buchmesse auch einen Unterstützungsauftrag.“ Die Grenzüberwindung, der europäische Gedanke – auch das war mitentscheidend für die Wahl des Duos Flandern und Niederlande.
Schon 1993 im Organisationskomitee dabei war Monique Ruhe. Sie ist Botschaftsrätin für Kultur und Kommunikation an der niederländischen Botschaft und für die Durchführung der internationalen Kulturpolitik der Niederlande in Deutschland verantwortlich – für die Organisatoren daheim sozusagen „der Spion in Deutschland“, wie sie lachend erzählt. Monique Ruhe hat zahlreiche Verbindungen aus dieser Zeit. Die kommen ihr nun zugute, um interessierte Verlage zu finden, Lesungen zu organisieren oder Festivals ausfindig zu machen.
Neben ihr steht der Generaldelegierte der Regierung Flanderns aus der belgischen Botschaft, Botschaftsrat Koen Haverbeke. Durch den gemeinsamen Gastlandauftritt arbeiten sie eng zusammen. Auch er erinnert sich an den Erfolg von 1993. Auf die erneute Wahl als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse haben „alle Institutionen begeistert reagiert“. Auch dieses Mal, so Haverbeke, hofften alle auf einen erneuten ökonomischen Erfolg durch die Vergrößerung des Verkaufsmarktes. Denn der Heimatmarkt allein ist zu klein. Er nennt zwei erstaunliche Zahlen: Vor 1993 gab es gerade einmal sechs Übersetzer vom Niederländischen ins Deutsche – heute seien es über 60. Inzwischen gebe es fast 500 neue Übersetzungen ins Deutsche, davon rund 350 literarische. „Normal“ sind 80.
Ohne Zweifel: Erst eine gute Übersetzung macht ein Buch auch außerhalb der Heimat zum Erfolg. Daran hat ganz sicher auch Birgit Erdmann Anteil. Sie hat die niederländische Autorin Hella Haasse übersetzt, „die größte niederländische Schriftstellerin“. Aus dem Roman Das indonesische Geheimnis (Transit Buchverlag) der 2011 verstorbenen Autorin las die Schauspielerin Claudia Michelsen beeindruckende Passagen vor. Zwei Monate hat Birgit Erdmann zusammen mit Andrea Kluitmann an der Übersetzung gearbeitet. Sie ist eine gefragte Übersetzerin, dennoch spürt auch sie seit rund anderthalb Jahren die besondere konjunkturelle Belebung, die der Gastlandauftritt mit sich bringt.
Auch Gudrun Fröba, die Verlegerin des Transit Buchverlags, ist glücklich über die Entdeckung der Autorin Hella Haasse, auf die sie ein Mitarbeiter des Niederländischen Literaturfonds aufmerksam gemacht hat. „Auf Teufel komm raus“ mache man aber keine Bücher, nur damit das Programm Bezug zum jeweiligen Buchmessen-Gastland habe, manchmal fände sich einfach nichts. In diesem Fall habe aber alles gepasst, und Gudrun Fröba freut sich, Das indonesische Geheimnis auf der Veranstaltung vorstellen und noch mehr ins Gespräch bringen zu können.
David Van Reybrouck hat wie vielleicht kaum ein anderer Autor die Kolonialgeschichte Belgiens aufgearbeitet. Für sein vielfach ausgezeichnetes Werk Kongo. Eine Geschichte (Suhrkamp) recherchierte er ausgiebig im Kongo, redete mit über 100-Jährigen. Das Buch ist bereits 2013 erschienen, nun liegt die dritte Auflage vor. Für Tanja Postpischil, Leiterin Presse bei Suhrkamp, hat die Auswahl des Gastlandes schon Einfluss auf das Programm, schließlich sei das ein wichtiger Schwerpunkt in der Literatur. Aber auch bei ihnen findet sich nicht immer etwas Passendes.
Ob ein Land Gastland wird, entscheidet die Frankfurter Buchmesse in Abstimmung mit dem Aufsichtsrat des Börsenvereins. Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins und auch Mitglied des Aufsichtsrats, hatte in diesem Fall übrigens keinerlei Einfluss – die Diskussionen darüber fanden außerhalb seiner Amtszeit statt. Er genoss entspannt den von Birgit Reuß, Kristina Kramer und dem Berliner Team perfekt vorbereiteten Abend. Sein Ergebnis für diesen Abend: Riethmüller will ganz bald Van Reybroucks Buch über den Kongo lesen.
Ein schönes Fazit formulierte der Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien im Deutschen Bundestag, Siegmund Ehrmann. Mit dem Motto der flämischen und niederländischen Ehrengäste, „Dit is wat we delen – Dies ist, was wir teilen“, würden die Künstler beider Länder demonstrieren, was wirklich zählt: „Die Sprache, und nicht die Politik, die sie trennt.“