Martina Bergmann über Zukunftsplanung

Eine bestehende Buchhandlung übernehmen? Wozu?

7. Juli 2016
von Börsenblatt
Für Martina Bergmann sind Personen der entscheidende Faktor in einer Buchhandlung. Deshalb lautet ihre Devise: Wenn schon eigenes Risiko, dann auch mit eigenem Konzept. Wichtiger Aspekt dabei: Regionalität.

Mit den Kunden und mir war es von Anfang an eine große Liebe. Das ist nicht selbstverständlich, weil ich keine "Eingeborene" bin – auch wenn Kunden das inzwischen erzählen. Deswegen stand niemals zur Diskussion, den Laden zu schließen. Es gab 2011 und 2012 hässliche Zerwürfnisse mit Banken, das ja. Um meine schlechte Bonität auszusitzen, habe ich mich damals wieder in der Uni eingeschrieben. Fluchtgedanken? Nein. Aber neue Perspektiven.

Es stellte sich zum Beispiel heraus, dass Kommilitonen gute Mitarbeiter sind. Sie lösen Aufgaben, die bis heute nicht jeder Buchhändler überhaupt als solche angenommen hat. Das Internet ist nicht böse. Blogs sind nicht minderwertig. Allein dieses pseudoironische "Fatzebook". Haben Sie wieder den ganzen Tag in Fatzebook rumgespielt, Frau Bergmann? Studenten ist dieser dumpfe Hochmut fremd.

Der Kontakt mit den jungen Geisteswissenschaftlern ist aber auch deshalb wichtig, weil sie – wie ich – nicht am Ende ihres Berufslebens stehen. Der Buchhandel in der Region ist seit meiner Schulzeit quasi unverändert. Es gibt in annehmbarer Entfernung inhabergeführte Buchhandlungen nahezu jeden Stils. Nur: Ich bin 37. Der nächstältere wird in diesem Sommer 60. In der Stadt, in Bielefeld, sieht es ein bisschen besser aus. Aber so weit fahren Kunden eher nicht.

Die Frage ist also: Was passiert hier in den nächsten drei bis fünf Jahren? Werden die Kollegen Nachfolger suchen und finden? Ich würde keine Buchhandlung übernehmen. Buchhandlungen sind Personenfirmen, und wenn ich als Person der entscheidende Faktor bin: Warum dann Geld für alte Möbel und ein fremdes Profil ausgeben? Wenn schon Risiko, dann mit eigenem Konzept. Ich hätte gern, dass andere Mutige sich neue Buchhandlungen überlegen. Aber es ist nicht wahrscheinlich.

Neugründungen in der Provinz sind selten, und wohl mit Recht. Es ist nicht entschieden, ob der demografische Wandel hier vernünftig verwaltet wird. Es ist unklar, wie die Innenstädte sich entwickeln. Viele Gewerbe-Immobilien gehören ehemaligen Geschäftsinhabern. Mit ihnen kann man gut arbeiten. Aber wie wird es mit deren Erben? Ziemlich sicher ist hingegen, dass Kreditinstitute das verklemmte Geschäftsgebaren beibehalten. Sie sind nicht hilfreich, um es vorsichtig zu sagen.

Wie verhalte ich mich in dieser Lage? Mein Ansatz ist Flexi­bilität. Ich bin überzeugt, dass Menschen auch in zehn oder 20 Jahren stationär Bücher kaufen werden. Und ich kann sicher sein, dass die Anbieterseite sich weiter polarisiert. Amazon wird wachsen und wenigen Spezialanbietern gegenüberstehen. Es mag sogar sein, dass Regionalität, dass das Ladengeschäft vor Ort irgendwann zur Nische wird. Ob das dann in Borgholz­hausen oder doch woanders ist: wer weiß. Ich weiß nur, ich habe auf Filialen keine Lust, weil ich kein Fremdkapital will.

Regionalität hat aber auch einen inhaltlichen Aspekt. ­Kunden suchen nicht nur den Buchladen, sie suchen auch den Content vor Ort. Sie interessieren sich für ihre Landschaft, für Geschichte und Geschichten. Man mag als Sortimenter fluchen, weil diese Titel oft eigenartige Anbieter haben. Aber je regionaler ein Buch daherkommt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kunden es lieben. Kunden finden handgeschriebene Rezepte super, Kunden fragen nach Lebensläufen, nach Dokumentationen und Fotobüchern. Kunden sind ihrer Region meist treuer als die Einzelhändler.

An diesem Punkt habe ich mit den Investitionen der letzten beiden Jahre angesetzt. Ich habe mit dem Bergmann Verlag ein Konzept für regionales Publizieren entwickelt, das Autoren und Kunden gut annehmen. Die Marke ist schlicht und sehr klar. Sie ist kein Regio-Klamauk, nichts Kurzfristiges. Wir haben einen Titelfundus für etwa fünf Jahre und die Vorschläge reißen nicht ab. Insofern bin ich gelassen und schaue mir den Wandel an. Mal sehen, was er für mich bringt.


Weitere Beiträge von Martina Bergmann:

"Provinz ist gut für Kreativität"

Kommentar zur Weltbild-Krise

Umgang mit Umtäuschen

Plädoyer für Zivilcourage

Berufsschulklassen müssen bleiben!