Wie würden Sie die Lage der deutschen Buchbranche in einem Satz zusammenfassen?
Skipis: Ich würde sogar nur ein Wort verwenden, und dieses Wort lautet: zukunftsfähig.
Und warum ist die Buchbranche in Ihren Augen "zukunftsfähig"?
Skipis: Um erfolgreich zu sein, kommt es auf zwei Faktoren an. Zum einen müssen die Akteure gut sein, zum anderen brauchen sie die mentale Einstellung für den Erfolg, sie müssen Gewinner sein wollen. Im Jahr der Europameisterschaft sei ein Vergleich mit dem Fußball erlaubt: Die Spieler müssen Tore schießen, und das Team braucht Motivation, Selbstbewusstsein und das richtige Mannschaftsgefühl. Betrachtet man die Buchbranche, sind meiner Meinung nach beide Faktoren erfüllt.
Zum einen die mentale Einstellung: Auf der letzten Frankfurter Buchmesse war deutlich zu verspüren, wie die Branche viel gelassener und souveräner mit Themen umgeht, die ihr früher Sorgen bereitet haben, wie etwa die Digitalisierung, Amazon oder die Zukunft des Buchhandels. Pointiert gesagt: Aus einer "Untergangsbranche", von der man noch vor einigen Jahren gesprochen hat, ist eine Branche geworden, der man etwas zutraut. Durch eine sehr intensive Kommunikation, einerseits durch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, andererseits durch unsere gemeinsame Marketing-Kampagne Vorsicht Buch!, ist es der Branche gelungen, ihr Image in der Öffentlichkeit zu verändern. Das ist auch als Spiegel in die Branche hinein wichtig: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Unternehmen müssen wissen, dass sie nicht einer Branche angehören, die dem Untergang geweiht ist, sondern einer, die Zukunft hat.
Wie gut man ist, hängt also von der eigenen Einstellung ab?
Skipis: Die beste Einstellung hilft nichts, wenn man nicht auch Tore schießt. Auf die Buchbranche übertragen: Wir müssen inhaltlich gut sein. Durch viele Investitionen haben sich Verlage und Buchhandlungen zukunftssicher aufgestellt. Buchhandlungen zeigen inzwischen, dass sie deutlich mehr können als reine Online-Händler. Die Kombination aus den Vorzügen des stationären Handels – also kompetente Beratung, sofortige Verfügbarkeit, Einkaufserlebnis – und des Online-Handels – 24-stündige Verfügbarkeit an sieben Tagen in der Woche – ist genau das "Mehr", das die Kunden wollen. Das hat sich auch in der Umsatzentwicklung der letzten Jahre gezeigt.
Blickt man auf die Verlage, so wird hier heute flächendeckend und ganz selbstverständlich an digitalen Angeboten gearbeitet. Mit der jetzt nahezu vollständig umgesetzten Multi-Channel-Strategie der Buchhandlungen und einer stetigen Innovationskultur bei den Verlagen hat die Branche einen großen Schritt in die Zukunft getan. Die Lernkurve war steil, zum Teil auch schmerzhaft, aber wir waren erfolgreich. Wir konnten zeigen, dass wir diejenigen sind, die "das Buch verstehen", also die Experten rund um Buchherstellung und -vertrieb sind. Ein gutes Beispiel ist der Tolino: Hier hat die deutsche Buchbranche gezeigt, dass sie auch Paroli bieten kann. Und auch das Thema Innovation spielt in der Branche eine wichtige Rolle. Mit Veranstaltungen und Angeboten wie dem startup club, CONTENTshift oder der Eisbrecher-Tour wollen wir da unterstützen und forcieren, wo interessante Entwicklungsmöglichkeiten sind. Ganz unabhängig davon stimmt auch der Blick auf unsere Kundschaft optimistisch: Das Buch ist nach wie vor fest in unserer Gesellschaft verankert. Wir haben knapp 70 Millionen Leserinnen und Leser in Deutschland, jeder Dritte davon liest mehr als 18 Bücher pro Jahr.
Sie haben die Stichworte Digitalisierung, Amazon, Buchhandel angeführt – sind das die zentralen Themen der Branche?
Skipis: Nicht nur. Sehr wichtig war es für die Branche, sich wieder verstärkt auf das Thema Meinungsfreiheit zu besinnen. Die schrecklichen Anschläge in Paris Anfang des letzten Jahres haben uns sehr deutlich gemacht, dass die Freiheit des Wortes nichts ist, was man einfach so besitzt. Man muss davon Gebrauch machen und sich täglich neu für sie einsetzen. Dabei ist auch klar geworden, dass unsere Branche nicht allein daran gemessen wird, wie viel Umsatz wir mit Büchern oder E-Books erwirtschaften. Wir werden gemessen an der Frage: Welchen Beitrag leisten wir zum Gelingen einer freien, toleranten und gewaltfreien Gesellschaft? Ich glaube, dass bei der Beschäftigung mit dieser Frage vielen in der Branche klar geworden ist: Natürlich habe ich einen Alltag, der mich vielleicht auch manchmal mürbe macht. Auf der anderen Seite bin ich aber Teil einer Branche, die einen wichtigen Beitrag zu unserer Gesellschaft leistet.
Was waren Ihrer Meinung nach die wichtigsten Erfolge der politischen und rechtlichen Arbeit im vergangenen Jahr?
Skipis: Basierend auf dem Koalitionsvertrag von 2013 haben wir es im letzten Jahr geschafft, wichtige Rahmenbedingungen für unsere Branche durchzusetzen. Durch die Novellierung des Preisbindungsgesetzes konnte einerseits explizit klargestellt werden, dass E-Books preisgebunden sind. Zudem wurde im Gesetz verankert, dass die Preisbindung auch für den grenzüberschreitenden Verkehr gilt. Andernfalls hätte es in diesem Bereich sehr kritisch für den deutschen Buchhandel werden können. Auch beim reduzierten Mehrwertsteuersatz für Hörbücher hat die Bundesregierung ihr Versprechen eingelöst. Eine entsprechende Regelung für E-Books muss zunächst auf EU-Ebene beschlossen werden; auch hier haben wir die Unterstützung der Bundesregierung und inzwischen die klare Aussage der EU-Kommission, sich für eine Veränderung einzusetzen.
Ein großer Erfolg war auch die Erklärung von EU-Kommissarin Cecilia Malmström, dass die Buchpreisbindung bei den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP in keiner Weise angetastet wird. Darauf haben wir lange hingearbeitet. Dennoch verfolgen wir die Verhandlungen selbstverständlich genau weiter. Bestätigt fühlen wir uns dadurch, dass Bundeskartellamt und EU-Kommission auf unsere Beschwerden hinsichtlich der Geschäftspraktiken von Amazon und Audible eingegangen sind und Ermittlungen eingeleitet haben.
Welche Entwicklungen haben Ihnen am meisten Sorge bereitet?
Skipis: Ganz klar bereiten uns die meisten Sorgen die Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Verlegerbeteiligung an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften. Das waren schwarze Tage für die Verlage. Was hier passiert ist, gleicht schon fast einer klassischen griechischen Tragödie. Kaum jemand wollte, dass es so kommt, wie es gekommen ist, auch Teile der Autoren nicht. Fast der gesamte Bundestag und auch die EU-Kommission sind der Meinung, Verlegern stehe ein Teil der Ausschüttungen zu, weil sie einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung von Werken leisten. Auf Bundes- sowie EU-Ebene wird daher gerade geprüft, wie man die gesetzliche Lücke schnellstmöglich schließen kann.
Es zeichnet sich also – mit aller Vorsicht gesagt – ab, dass es für die Zukunft eine Regelung geben könnte – für die Vergangenheit jedoch nicht. Das heißt: Die anfallenden Rückzahlungen werden zahlreiche Verlage in Existenznöte bringen. Deswegen sprechen wir mit der Kulturstaatsministerin über die mögliche Einrichtung eines Darlehensfonds für betroffene Verlage, mit dem die schlimmsten Auswirkungen dieses Urteils abgefedert werden könnten, soweit die VG Wort nicht langfristige Stundungen der Rückzahlung ermöglichen kann. Hierzu gibt es noch unterschiedliche Rechtsauffassungen.
Ein weiteres kritisches Thema war die Änderung des Urhebervertragsrechts. Allerdings sind wir hier auf einem guten Weg. Nach einem anfänglich für unsere Branche sehr negativen Entwurf haben wir im gegenwärtigen Stadium des Gesetzgebungsverfahrens Regelungen, mit denen die Branche leben könnte. Auch beim Thema Allgemeine Wissenschaftsschranke waren wir sehr wachsam. Die Rechte und finanziellen Grundlagen der Verlage würden weiter beschnitten und beeinträchtigt, wenn diese Initiative Erfolg hätten.
Der Börsenverein hat den Einsatz für die Meinungsfreiheit im vergangenen Jahr groß geschrieben. Hatte das Engagement Wirkung, zeigten sich konkrete Erfolge?
Skipis: Hier genaue Kausalitäten zu benennen, ist natürlich schwierig. Ich gehe davon aus, dass wir zusammen mit anderen zumindest einen Beitrag geleistet haben, dass sich in der Politik und im öffentlichen Bewusstsein etwas verändert hat. Nachdem wir auf die schrecklichen Anschläge auf das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" hin die Meinungsfreiheit mit zahlreichen Maßnahmen thematisiert haben, konnten wir durchaus beobachten, wie das Thema öffentliche Aufmerksamkeit erhalten hat. Auch andere Branchen haben das Thema aufgegriffen und sich engagiert.
Daneben erinnere ich mich, zu welchem Aufruhr eine unserer Pressemitteilungen im Auswärtigen Amt geführt hat. Wir hatten darin deutlich gesagt, dass die Bundesregierung ihre Politik Ländern wie Saudi-Arabien oder Katar gegenüber überprüfen müsse, da diese Menschenrechte mit Füßen träten. In einigen konkreten Fällen hat es auch tatsächlich Erleichterungen gegeben – sicherlich war der öffentliche Druck aus vielen Teilen der Welt daran nicht ganz unbeteiligt: Der in Katar lebenslang inhaftierte Dichter Mohammed al-Ajami wurde im März überraschend begnadigt. Das Todesurteil gegen den saudi-arabischen Dichter Ashraf Fayadh wurde aufgehoben.
Kommen wir zu den "harten Fakten": Der Buchmarkt-Umsatz ist rückläufig – wie geht es der Branche?
Skipis: Wir hatten bei den Umsätzen im vorletzten und letzten Jahr jeweils ein leichtes Minus zu verzeichnen. Das ist sicherlich nicht schön. Längerfristig betrachtet haben wir über die letzten zehn Jahre hinweg aber stabile Marktzahlen (Umsatz +0,3 Prozent). Gerade angesichts der in dieser Zeit entstandenen Medienkonkurrenz ist das eine zuversichtlich stimmende Entwicklung. Deswegen sage ich: Es geht der Branche gut, denn sie ist zukunftsfähig. Wir sind inhaltlich gut aufgestellt und von unseren Stärken überzeugt. Sicherlich arbeiten wir auch daran, dass die Umsätze wieder steigen. Die ersten drei Monate in diesem Jahr sind da schon sehr erfreulich. Man kann die Umsatzentwicklung nur schwer voraussagen. Der Buchmarkt funktioniert in diesem Punkt anders als die meisten Konsumgüter-Märkte, er ist relativ unabhängig von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung. Maßgeblich ist oft, ob es in einem Jahr einen oder mehrere Mega-Bestseller wie "Shades of Grey", "Harry Potter" oder "Darm mit Charme" gibt oder nicht.
Es ist etwas ruhiger geworden um Amazon – ist der Online-Händler noch eine Bedrohung für den Buchmarkt?
Skipis: Von einer "Bedrohung" würde ich nicht sprechen. Allerdings ist bei Amazon die Abschaffung der traditionellen Buchbranche praktisch im Business-Plan festgeschrieben, Stichwort von Jeff Bezos: "Verlage muss man jagen wie kranke Gazellen". Das heißt: Amazon möchte alleiniger Intermediär zwischen Autor und Leser werden. Wer so ein Geschäftsmodell weiter verfolgt, ist eine Gefahr für den Buchmarkt und damit für Qualität und Vielfalt der Buchkultur. Deswegen werden wir weiterhin in aller Härte aufzeigen, wo und wie Amazon agiert und alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen, um diesen Praktiken einen Riegel vorzuschieben. Das entbindet uns nicht davon, uns auf unsere Stärken zu besinnen und uns weiterzuentwickeln, um letztlich im Wettbewerb zu gewinnen.
Die Strukturreform des Börsenvereins läuft nun seit über einem Jahr. Wie geht es voran?
Skipis: Die Verbandsreform war dringend notwendig. Die Situation in unserer Branche hat sich verändert, die Grenzen zwischen reinem Sortiment und reinem Verlag sind mehr und mehr verwischt. Deshalb war die Entscheidung richtig, auch im Verband diese bisher sehr getrennten Tätigkeitsbereiche näher zusammenzuführen. Kernpunkt der Reform ist die Schaffung von Interessengruppen, die für Mitglieder aller Sparten offen sind. Das wird bereits erfolgreich umgesetzt.
Besondere Höhepunkte waren für mich die gemeinsamen Sitzungen der Fachausschüsse. Sie waren enorm fruchtbar und weiterführend, weil hier endlich genau die miteinander gesprochen haben, die miteinander sprechen müssen. Die Sitzungen waren für mich ein Zeichen, wie gut die Spartenzusammenarbeit funktioniert. Es gab auch schon einige Vorschläge für neue Interessengruppen aus der Mitgliedschaft. Das zeigt, dass es gelungen ist, die Initiative der Mitglieder zu stimulieren und das Engagement zu fördern.
Auch auf der Seite des Hauptamts ist schon einiges in Bewegung: Wir haben die Geschäftsstellen der Fachausschüsse zusammengelegt, die hauptamtlichen Mitarbeiter werden künftig nicht mehr nur getrennt für Sortiment, Buchhandel oder Zwischenbuchhandel zuständig sein, sondern für mehrere Bereiche. Da wir die Reform als iterativen Prozess durchführen, gehen wir Schritt für Schritt vor. Wir überprüfen kontinuierlich, ob die eingeführten Neuerungen leistungsfähig sind und welche Auswirkungen sie haben. Auf Basis der gemachten Erfahrungen können wir den Prozess dann nachjustieren.
Nachfragen anderer Verbände zu unserer Reform haben uns gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Alle beschäftigt derzeit die Frage, wie man es erreichen kann, dass bei der Bearbeitung eines Themas immer diejenigen miteinander sprechen, die etwas dazu beizutragen haben. Unsere Antwort darauf ist die spartenübergreifende Zusammenarbeit, die sich zunächst in den Interessengruppen manifestiert.
Gleichzeitig treiben wir sehr intensiv unsere Bemühungen voran, neue Mitgliedsgruppen zu definieren und anzusprechen. Denn es ist wichtig, dass im Verband nicht nur die Buchhändler, Verleger und Zwischenbuchhändler miteinander reden, sondern wir in diesen Kreis auch Menschen aufnehmen, die mit der Branche eng zusammenarbeiten und Inspirationen, neue Ideen und Geschäftsmodelle mitbringen. Mit dem startup club und der Schnuppermitgliedschaft haben wir niedrigschwellige Einstiegsmöglichkeiten in den Verband geschaffen, die sehr gut angenommen werden.
Das Interview ist in ganzer Länge im Jahresbericht des Börsenvereins nachzulesen, den Alexander Skipis und Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller am Freitag, 24. Juni, im Leipziger Haus des Buches auf der Hauptversammlung des Börsenvereins vorstellen.
Warum spricht offiziell niemand über die dramatischen Umsatzrückgänge bei kleinen und mittelgroßen Verlagen im hohen zweistelligen Bereich? Greift jemand in der Position wie Herr Skipsis tatsächlich nur auf das eine Mittel des Branchenmonitors zurück, um zu solchen Beurteilungen zu finden? Warum nicht einfach mal im Banger recherchieren und ein paar dutzend Verlage und Buchhandlungen durchtelefonieren, um sich ein Bild davon zu machen, wie schlecht die Zahlen wirklich ausschauen?
Wieso erkennt keiner, dass die großen Buchhandelsfilialisten ihre Probleme bei der Schaffung existentiell notwendiger Rahmenbedingungen in den letzten Jahren bestenfalls nur kaschieren konnten und von echten, langfristig tauglichen Lösungen noch meilenweit entfernt sind?
Weshalb bedarf es offenbar keiner Erwähnung, dass Jahr für Jahr tausende Arbeitsplätze in der Branche, insbesondere im stationären Buchhandel (Paradebeispiel Weltbild/Lesensart), verloren gehen und der Ausbildungsberuf des Buchhändlers an Unattraktivität im Einzelhandelssektor kaum noch zu toppen ist, was sich auch ganz schlicht und eindeutig am Aussterben der entsprechenden Berufsschulklassen ablesen lässt?
Wer bitte glaubt ernsthaft, dass die Branche aktuell gelassener ist? Die Gelassenheit zahlreicher existentiell bedrohter Verlage zeigt sich wenn überhaupt darin, dass sie sich die imensen Kosten für eine Teilnahme an der Buchmesse einfach komplett sparen und so wenigstens einen Kostenfaktor weniger in der tiefroten Buchhaltung ertragen müssen. Ebenso ist kaum zu glauben, dass die Vorsicht Buch-Kampagne einen öffentlichen Imagewechsel bewirkt hat oder auch nur zu einem solchen beigetragen hat und ferner spürbare Auswirkungen für das Umsatzvolumen der Branche gehabt hat. Nur weil man ein Streichorchester an Deck spielen lässt, vermehren sich die Rettungsbote auch nicht auf wundersame Weise.
Wo ist der tragfähige Konsens in der Frage, wie die fragwürdigen Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften zu beurteilen sind? Sich blind auf die Seite der Verlage zu stellen nutzt rein gar nichts, wenn sich die Autoren doch faktisch und übrigens auch juristisch belegt klar im Recht befinden. Natürlich kann man den Verlagen eine gerechte Beteiligung aufgrund ihrer Leistungen in seiner Meinung zum Sachverhalt zubilligen, erzwingen kann man diese real jedoch in Bezug auf das geltende Recht nicht.
Insofern ist die ungeschminkte Wahrheit doch, dass zahlreichen Verlagen aufgrund der Rückforderungen, wenn auch teils selbst verschuldet, der Stecker gezogen wird. Und zu allem Überluss wird durch die Haltung des Verbandes und der Politik zusätzlich noch ein Keil zwischen Verlage und Autoren getrieben. Wie das von Herrn Skipsis beschworene positive Gesamtbild angesichts solcher Prognosen untermauert werden soll, ist mir ein Rätsel.
Und wie bitte kann es sein, dass man ausgerechnet Amazon mit seinem nahezu lückenlosen Angebot und den zahlreichen Indie- und Einsteiger-Autoren im Self-Publishing-Sektor abspricht, einen Beitrag zur Qualität und Vielfalt der Buchkultur zu leisten und diesen gleichzeitig im immer selektiver und insbesondere im Filialbuchhandel trivialer aufgezogenen stationären Sortiment zu erkennen glaubt?
Stattdessen beruht die Grundhaltung gegenüber Amazon trotz vorgeblicher Entspannung in der Ausseinandersetzung weiterhin auf der infantilen Prämisse, dass es Amazons vorrangiges Unternehmensziel sei, in erster Linie der klassischen Buchbranche schaden zu wollen.
Kann man diese albern-emotionalisierte und mutmaßlich neidgetriebene Sichtweise in Bezug auf Amazon nicht endlich mal aufgeben und sich professionell und objektiv mit dem Faktum arrangieren, dass Amazon wie jeder engangierte Teilnehmer in einer freien Marktwirtschaft lediglich nach der bestmöglichen Optimierung von Umsatz und Marktanteilen strebt?
Natürlich profitiert Amazon dabei von grundlegend anderen Voraussetzungen als reiner Online-Händler der ersten Stunde und nutzt diese bisweilen auch agressiv aus. Aber trotzdem ist es doch völlig unzweifelhaft, dass der Handel mit dem Medium Buch durch Amazons Reichweite und Leistungsfähigkeit nachhaltig befeuert wird und dieses Medium sehr wahrscheinlich schon längst mausetot wäre, wenn es in den letzten 15 Jahren nur auf den Schultern des stationären Sortimentes getragen worden wäre.
Nicht zu vergessen, dass vor allem das Verlagswesen mit ziemlicher Sicherheit die Beine breit gemacht hätte, wenn sich Absatzmärkte wie Amazon nicht so stark entwickelt hätten und Vertreter weiterhin mit kaufmännisch hoffnungslos überforderten Buchhändlern um jedes Partiestück und jedes 90-Tage-Valuta für die nächste Kleckerbestellung feilschen müssten.
Schließlich werden auch ganz sicher von zehn nicht-verkauften Büchern im stationären Handel mindestens 7-8 Bücher deshalb nicht gekauft, weil es einfach ein Desinteresse am Produkt an sich und am point of sale gibt und nicht etwa weil diese Bücher stattdessen bei Amazon gekauft werden.
Echt traurig, das mal wieder gerade am Beispiel Amazon deutlich erkennbar wird, wie viel Augenwischerei in dieser Branche betrieben wird. Statt bei sich selbst die Schuld zu suchen und die Probleme vor der eigenen Tür klar und vollumfänglich auszusprechen, zeigt man mit dem Finger auf andere und lügt sich selbst und der Öffentlichkeit etwas vor.
Es ist ganz gewiss nicht alles schlecht, aber allein schon aus Respekt gegenüber den im Rahmen der Umstrukturierung der Branche auf die Straße gesetzten Arbeitnehmern und den Kollegen, die es aufgrund unausweichlicher Problemstellungen noch treffen wird, sollte man doch zur Abwechslung auch mal darauf eingehen, was in unserer Branche nach wie vor schief läuft.
Und statt einer lediglich punktuellen Wahnehmung sollte man sich erheblich mehr um eine Sichtweise bemühen, die ein wenig umfassender ist und auch den Buchhändler/Verlagskaufmann/Was auch immer an der Basis mit einbezieht und nicht nur die mehr oder weniger gehaltvollen Phrasen und (stets dem eigenen Vorteil genügenden) Einschätzungen von Leuten wie Herrn Busch, Herrn oder Frau Hugendubel, Herrn von Holtzbrinck oder Herrn Dohle.
Diese Branche braucht als allererstes erheblich mehr Selbstreflektion und Integrität, erst dann kann es eine tatsächlich zukunftsfähige Entwicklung geben!