Ist das deutsche Bibliothekswesen auf dem Weg, sich in eine Monokultur zu verwandeln, die nur noch von einigen wenigen Großverlagen dominiert wird? Diese Frage wurde in der vergangenen Woche bei der gemeinsamen Sitzung der Fachausschüsse des Börsenvereins aufgeworfen. Sie stellte sich, nachdem bekannt geworden war, dass die drei großen Wissenschaftsverlage Elsevier, Springer Nature und Wiley derzeit mit der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) über den Abschluss von Bundeslizenzen für E-Journals in Bibliotheken verhandeln.
Dies sei aus drei Gründen problematisch, so die Position von Verlegern und Fachsortimentern:
- Kleinere Verlage blieben bei Lizenzverhandlungen unberücksichtigt; ihre Titel wären in Bibliotheken unterrepräsentiert; Herausgeber und Trägerverbände von Zeitschriften könnten darauf drängen, die Zeitschrift an einen der drei Verlage zu verkaufen.
- Mittlere und kleinere Bibliotheken mit geringeren Budgets müssten Titel einstellen, die nicht ihrem Plan zum Bestandsaufbau oder ihrer Spezialisierung entsprechen. Etatmittel für Sondersammelgebiete fehlten.
- Das Ausschalten des Buchhandels entzieht diesem Deckungsbeiträge, die für den Fortbestand zahlreicher Buchhandlungen und damit der kulturellen Infrastruktur wichtig sind.
Wer gab die Initialzündung für die Verhandlungen? Offenbar nicht die drei genannten Verlagsgruppen, sondern die Projektgruppe "DEAL – Bundesweite Lizenzierung von Angeboten großer Wissenschaftsverlage", die bereits im Herbst 2014 eingesetzt wurde und von Antje Kellersohn, Leitende Direktorin der Universitätsbibliothek Freiburg, geführt wird. Auftraggeber von DEAL ist die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen, vertreten durch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Deren Präsident, der emeritierte Ordinarius für Chemie an der Universität Karlsruhe, Horst Hippler, ist Sprecher des Projektlenkungsausschusses, der den Projektverlauf begleitet und, wie Kellersohn auf Anfrage erläutert, insbesondere in der Verhandlungsphase die wichtige Aufgabe habe, "über gegebenenfalls notwendige Eskalationsschritte zu entscheiden und diese gegenüber den Einrichtungen zu vertreten".
Neue Verhandlungsposition
Aus Präsentationsunterlagen der Herbsttagung 2014 des Deutschen Bibliotheksverbands geht die Zielsetzung von DEAL hervor: Es geht um "signifikante Änderungen des gegenwärtigen Status Quo bei der Verhandlung, den Inhalten und der Preisgestaltung", heißt es darin. In der Präsentation werden zudem Stimmen aus Bibliothekskreisen zitiert, die die Initiative nachdrücklich unterstützen und sich davon "einen verbesserten Zugang zu fachwissenschaftlichen Artikeln für Studium, Lehre und Forschung versprechen". Ein Hauptargument für DEAL dürfte die Preisgestaltung sein. Wie aus dem Kreis der verhandelnden Verlage zu erfahren ist, werden bei solchen Lizenzverhandlungen schon lange nicht mehr die Listenpreise für Journals aufgerufen, die für den Einzelbezug gelten.
Außerdem scheint die Verhandlungstaktik der Projektgruppe darauf angelegt zu sein, zunächst Angebote der Verlage zu sondieren und dann dem günstigsten Lizenzanbieter den Zuschlag zu erteilen. Der dann erzielte Deal hätte eine Präzedenzwirkung für Folgeverhandlungen – auch mit weiteren Verlagen.
Der Börsenverein will die Diskussion um die Bundeslizenzen mit der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verlage (AwV) und der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Sortimentsbuchhandlungen (AWS) fortsetzen. Danach will sich die Branche in der Sache an die Politik wenden, unter anderem an Kulturstaatsministerin Monika Grütters – und es sollen Gespräche mit den Projektverantwortlichen sowie den dahinterstehenden Wissenschaftsorganisationen und -ministerien geführt werden. Dabei, so Matthias Ulmer, Vorsitzender des Verleger-Ausschusses, müsse geklärt werden, ob die Politik die Vision eines Systems wissenschaftlicher Informationsversorgung ohne privatwirtschaftliche Beteiligung, das den Wissenschaftsorganisationen vorzuschweben scheine, teilt – oder nicht.