Kann eine Praxis, die über Jahrzehnte ohne Einwände geübt worden ist, gleichwohl von Gerichten als rechtswidrig eingestuft werden? Wie man sieht: Sie kann. Im Rückblick mag es als politisch leichtfertig erscheinen, dass mehrere Justizminister das Ausschüttungsverfahren der VG Wort für überlebensfähig hielten, obwohl bereits deutliche Zweifel daran laut geworden waren. Das Prinzip »Wo kein Kläger, da kein Richter« funktionierte nur, bis ein Kläger kam, sah und siegte. Nun ist in der Politik höchste Eile geboten, jener Praxis, die ja von breitem Konsens getragen wird (Monika Grütters, Heiko Maas, Günther Oettinger!), endlich ihre solide rechtliche Basis zu verschaffen.
Mit Hochdruck müssen Berlin und Brüssel gesetzlich nachbessern und festlegen, dass Verleger an den Ausschüttungen von Verwertungsgesellschaften beteiligt werden können. Über den elegantesten Weg dahin gibt es noch unterschiedliche Vorstellungen. Manche favorisieren ein eigenes Verlegerrecht, andere sprechen sich für klarstellende Formulierungen seitens der nationalen und europäischen Gesetzgeber aus. Jedenfalls hat die Politik nun Gelegenheit, zu belegen, dass neben inhaltlichem Wollen auch ein Umsetzungswille waltet. Verfahrensverlängerungsvirtuosen, die in großen Verwaltungen optimale Lebensbedingungen vorfinden, sind gerade mal nicht gefragt.
Die Praxis der VG Wort unterstellt ein Solidarverhältnis zwischen Autoren und Verlagen. Erst durch den Kläger, der selbst Autor ist und sich hier erstaunliche Realitätsferne leistet, wird das Solidarische pauschal bestritten – mit einiger öffentlicher Resonanz. Das gibt zu denken. Offenbar gehört es zu den nicht enden wollenden Aufgaben von Verlagen, immer wieder darzutun, welch essenziellen Anteil sie am Zustandekommen von Wortwerken haben. Was aus Sicht der Branche jedermann einleuchten sollte, wird draußen vielfach nicht gesehen. Oder aus anderen Gründen in Abrede gestellt.
Am Scheideweg - alles zum aktuellen Urteil
Es wird viel zu selten darauf hingewiesen, dass der Kläger (Dr. Martin Vogel) nicht nur Autor, sondern auch Jurist ist und an der Neufassung des Urheberrechts, auf dessen Grundlage nun dieses Urteil des BGH ergangen ist, mitgewirkt hat. Von Realitätsferne kann man bei dieser Art des Lobbyismus in eigener Sache wohl eher nicht sprechen! Nicht allzu viele sind in der beneidenswerten Lage, sich die Gesetze zum eigenen Nutzen selbst zu machen.
Zum ersten Satz dieses Artikels möchte ich anmerken: Wenn eine jahrzehntelang geübte Praxis gegen geltende Gesetze verstösst bleibt den Gerichten keine andere Wahl, als diese Praxis als rechtswidrig einzustufen. Richter sind an die geltende Rechtsordnung gebunden.
Es liegt an der Politik, diese zu ändern und an den Verlagen/dem Börsenverein, das zu fordern.
Das Versäumnis, ich möchte das nochmals betonen, liegt hier ganz klar bei den Verlagen/dem Börsenverein.
Ich wünsche mir, dass das Urteil die Verlage zum denken animiert, wie sie für Autoren attraktiv bleiben können und wie sie ihr Geschäftsfeld erweitern können. Vielleicht liegt die Zukunft der Verlage ja - neben dem klassischen Verlagsgeschäft - auch im Angebot von Dienstleistungen für Autoren gegen Bezahlung.