Urheberrecht

Wissenschaftliches Publizieren unter Druck

31. März 2016
Redaktion Börsenblatt
Wissenschaftlichen Verlagen droht die Ausplünderung, wenn sie sich nicht gegen Piraterie, extensiven Artikeltausch und ein laxes Urheberrecht wehren.

Das Geschäftsmodell Wissenschaftliches Publizieren gerät von mindestens drei Seiten unter Druck:

  • Plattformen, die eine radikale Open-Access-Lehre vertreten, schöpfen im Internet illegal wissenschaftliche Artikel ab, um sie kostenlos jedem zur Verfügung zu stellen.
  • Forschernetzwerke verbreiten Artikel ihrer Mitglieder über einen Radius, der erheblich größer ist als der übliche Kreis der Empfänger oder Nutzer.
  • Die in der Digitalen Agenda der Europäischen Kommission geplante Schranke für Text & Data Mining birgt die Gefahr, dass Datenbanken der Wissenschaftsverlage ausgeschlachtet und Datenbestände zum Aufbau neuer Angebote genutzt werden.


Die Journalknacker 
Der krasseste Angriff auf wissenschaftliche Verlags­inhalte geht derzeit von der Onlineplattform Sci-Hub aus, die im September 2011 von der kasachischen Neurowissenschaftlerin Alexandra Elbakyan gegründet wurde. Sie ist Anhängerin der sogenannten Guerilla-Open-Access-­Bewegung und vertritt die Auffassung, jedem Nutzer stehe der barrierefreie, kostenlose Zugang zu allen wissenschaftlichen Inhalten zu, die veröffent­licht werden. Dieses Recht basiere auf Artikel 27 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Na­tionen aus dem Dezember 1948: "Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben." Dass dies auf Kosten der Produzenten oder Vermittler dieser Inhalte und unter Missachtung des Urheberrechts geschehen darf, geht aus diesem Text allerdings nicht hervor.
Deshalb war es nur eine Frage der Zeit, bis einer der größten Wissenschaftsverlage der Welt, Elsevier, Sci-Hub verklagte und im Oktober 2015 eine einstweilige Verfügung gegen die Plattform erwirkte. Den Forschungs­piraten war es gelungen, sich in Server von Universitätsbibliotheken einzuschleichen und dort auf die Angebote von Verlagen – darunter auch die Elsevier-Plattform "Sciencedirect" – zuzugreifen. Mehr als 48 Millionen wissenschaftliche Artikel soll Sci-Hub auf diese Weise gesammelt haben. Die Anordnung des New Yorker Gerichts hatte zwar die Sperrung von Sci-Hub-Domains zur Folge – doch das hielt die Betreiber nicht davon ab, neue Domains zu be­siedeln.
In einem Schreiben an den United States District Court in New York beklagte der Anwalt von Elsevier, dass die Beklagte (Sci-Hub) bisher zu keinem Gesprächs- oder Prozesstermin erschienen sei. Elsevier habe eine Reihe zusätzlicher Internet-Domains entdeckt, über die Sci-Hub unbeeindruckt von der Sperrungsverfügung seine urheberrechtsverletzenden Aktivitäten fortsetze und mithin fortwährend gegen die Anordnung des Gerichts verstoße. Richter Robert D. Sweet hat den nächs­ten Verhandlungstermin nun für den 27. April angesetzt.

Soziale Forschernetzwerke 
Mit Interesse betrachten wissenschaftliche Verlage die in jüngster Zeit populär gewordenen Forschernetzwerke – im englischen Sprachraum als Scholarly Communication Networks oder abgekürzt SCN bezeichnet. Die bekanntesten sind Research Gate (mit Sitz in Berlin), Academia.edu (San Francisco) und Mendeley, das 2013 von Elsevier übernommen wurde. Academia.edu hat nach eigenen Angaben weltweit mehr als 34 Millionen registrierte Nutzer, die knapp elf Millionen wissenschaftliche Arbeiten (Paper) eingestellt haben.

Research Gate hat inzwischen rund neun Millionen Mitglieder und bietet  diesen unter anderem die Möglichkeit, ihre Publikationen in virtuellen Forschergruppen zu teilen, mit anderen Worten: auszutauschen – etwa durch das Zu­mailen eines Links oder eines PDFs. ­Sören Hofmeyer, Mitbegründer von Research Gate, hat dessen Mission einmal so beschrieben: "Das Ziel von Research Gate ist die Wissenschaft 2.0: Durch Vernetzung und Interaktion profitiert nicht nur der einzelne Forscher, sondern auch die Wissenschaft selbst." Relevante Informationen überschritten "die Grenzen von Fakultäten, Ländern und Kontinen­ten". Dass dabei schnell die Grenzen zwischen erlaubtem Informationsaustausch und unlizenzierter Nutzung von Publikationen überschritten werden können, ist in den Augen der Wissenschaftsverleger das Problem.
Um solchem Missbrauch vorzubeugen, hat beispielsweise der Verlag Wiley, der ebenfalls die Zusammenarbeit von Forschern als essenziell für den wissenschaftlichen Fortschritt erachtet, Sharing-Richtlinien formuliert, die genau festlegen, in welcher Version ein wissenschaftlicher Artikel einem definiertem Nutzerkreis zugänglich gemacht werden darf. Der Verlag folgt damit den Prinzipien, auf die sich die Vertretung der naturwissenschaftlichen Verlage, die STM Association, geeinigt hatte. So ist es etwa unproblematisch, wenn eine an ein ­Journal eingesandte Version in einem Forschernetzwerk online gestellt wird, das die Prinzipien der STM Associa­tion anerkannt hat.

  • Eine akzeptierte Artikelversion, die das Peer-Review-Verfahren durchlaufen hat, darf in einem solchen Fall auch in privaten Forschungsgruppen geteilt werden, wenn die vom Verlag vorgeschriebene Embargofrist (zwölf bis 24 Monate) abgelaufen ist.
  • In abonnierten Wissenschaftszeitschriften veröffentlichte Artikel dürfen nur in privaten Forschungsgruppen ausgetauscht werden.
  • Artikel, deren Publikation vom Autor respektive einer Forschungseinrichtung finanziert wurden, sind jederzeit frei zugänglich ("Golden Open Access").
  • Nutzer von Forschungsnetzwerken, die die Sharing Policy der STM-­Vereinigung nicht unterschrieben haben, dürfen Artikel nur teilen, wenn der Verlag ihnen die Zustimmung erteilt. So verfährt auch Wiley.

Text- und Datamining 
Sorgen bereitet vielen Verlagen auch eine Computer­technologie, die Text- und Datensammlungen automatisch analysiert, Informationen extrahiert und so neues Wissen generiert: das sogenannte Text- und Datamining (Kürzel: TDM). "Prinzipiell ist Text- und Datamining etwas sehr Sinnvolles, das wir auch seitens des Verlags anbieten", sagt Albrecht Hauff, Verleger der Thieme Verlagsgruppe. Ziel sei es, den Kunden die Inhalte der Autoren in technisch optimaler Form anzubieten. Damit würden die Auffindbarkeit, die Nutzung und somit der Wert der pub­lizierten Inhalte für die Forscher ­erhöht. Firmen hätten die Möglichkeit, im Rahmen von Lizenzverträgen die Verlagsdaten nach ihren Bedürfnissen zu recherchieren.

Die von der Europäischen Kommis­sion geplante Urheberrechtsausnahme (eine sogenannte Schranke) für das Text- und Datamining sieht Hauff allerdings kritisch. Sie soll zwar in erster Linie für den nicht-kommerziellen Bereich gelten – also vor allem für Universitäten und Forschungseinrichtungen. Es müsse aber "definitiv verboten" bleiben, diese Datenbestände anderen Interessenten zur Nachnutzung zur Verfügung zu stellen oder in abgeleitete Werke zu überführen und damit einem größeren Nutzerkreis zugänglich zu machen, so Hauff. "Die Schranke darf auch nicht dazu führen, dass Unternehmen wie Google, Microsoft, Amazon oder Apple dadurch ein Einfallstor haben, um Datenbestände, die sie nicht lizenziert haben, zu nutzen und daraus neue Informationsangebote zu entwickeln", warnt der Verleger und bekräftigt den auch in anderen Urheberrechtszusammenhängen missachteten Grundsatz, dass angemessene Verlags-angebote immer Vorrang vor Schrankenregelungen haben sollten.
Bei der Formulierung der Urheberrechtsausnahme wird es in den kommenden Beratungen auf europäischer Ebene darauf ankommen, wie die erlaubte nicht-kommerzielle Nutzung von Text- und Datenbeständen genau gemeint ist. Der britische Verlegerverband Publishers Association äußerte sich zuletzt optimis­tisch, dass die EU-Kommission der britischen Ausnahmeregelung für das Text- and Datamining folgt: Sie setzt die rechtmäßige Nutzung, die Kontrolle durch den Verlag sowie eine nicht-kommerzielle Absicht voraus. Die nächsten Monate werden zeigen, ob eine Formulierung gelingt, die die Interessen der Inhalteproduzenten, der Verlage, wahrt.