Untätig konnte die Schriftstellerin Annika Reich nicht bleiben. Einige Male hat sie Wasser und Brezeln zum LaGeSo, dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales in Moabit, gebracht, wo die Flüchtlinge Schlange standen. Im August war das. Und schon zu jener Zeit dachte Annika Reich darüber nach, dass sie vielleicht mehr tun könnte, als Brezeln und Wasser zu verteilen. „Ich wollte etwas Nachhaltigeres machen", sagt sie. Irgendwann kam dann der Anruf einer Freundin: „Hier geht nichts mehr. Komm doch bitte, und hole eine Familie ab!" Annika Reich hat die junge irakische Familie mit dem zweijährigen Sohn, die Frau schwanger, erst bei Freunden untergebracht. Schließlich fand sie ein Hostel im Grunewald und noch später eine Wohnung für die Neuankömmlinge in der Husemannstraße, im Prenzlauer Berg. „Das hat alles geändert", sagt sie. „Wenn man einmal drin ist, kann man nicht mehr aufhören."
Gemeinsam machen
Sie wusste jetzt aus eigener Beobachtung und Erfahrung, wie schwierig der Weg, einmal in Deutschland angekommen, für Flüchtlinge weiterhin ist: „Diese Menschen bekommen Zettel mit Hinweisen in die Hand, die ich selbst kaum verstehe." Im September hat sie beschlossen, ein Jahr nicht mehr zu schreiben und sich stattdessen für die Neuankömmlinge zu engagieren. „Dann war schnell klar, dass mein Umfeld und ich andere Dinge besser können als Wohnungen zu organisieren." Das Umfeld, das waren zunächst 100 Frauen – Künstlerinnen, Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen – die sich vor drei Jahren zu dem Bündnis „Wir machen das" zusammengetan hatten. Daraus ist jetzt eine Bewegung mit noch weit mehr Unterstützern hervorgegangen. Sie alle verbindet ein Ziel: „Wir wollen mit den Leuten, die hierherkommen, zusammen leben und zusammen arbeiten. Wir wollen, dass sie, in unseren Häusern wohnen und nicht in irgendwelchen Containerdörfern. Und wir wollen, dass sie die Ausbildung bekommen, die wir bekommen."
Die Gegner von Angela Merkels „Wir schaffen das" seien mit großer Lautstärke auf den Straßen unterwegs und würden die Richtung der Politik mehr und mehr bestimmten, meint Annika Reich. Die vielen anderen, die in Turnhallen arbeiteten und Suppe brächten, hätten weniger Zeit. „Aber wir wollen auch gehört werden." Seit gestern sind die Chancen dafür gestiegen. Das Bündnis präsentiert sich mit der Website www.wirmachendas.jetzt im Netz. In mehreren Sprachen (Deutsch, Englisch, teils Arabisch) ist zu erfahren, wofür die Beteiligten stehen: „Wir verschließen die Augen nicht vor den Herausforderungen, die damit verbunden sind, Deutschland als Einwanderungsgesellschaft neu zu erfinden, aber wir freuen uns auf das Leben mit den neu Hinzugekommenen. Wir öffnen uns dieser neuen Wirklichkeit. Wir schreiben dieses Kapitel gemeinsam. Wir schaffen das nicht nur; wir machen das!"
Buchhandlungen als Orte der Begegnung
Zu diesem gemeinsamen „Machen" sind auch Buchhändler eingeladen. „Buchhandlungen sind wie dafür geschaffen, ihre Räume zu öffnen. Menschen, die in Buchhandlungen gehen, wollen Geschichten von anderen Menschen entdecken, und Buchhändler haben die Vermittlung der Geschichten anderer Menschen zu ihrem Beruf gemacht. Es könnte also nicht besser sein", sagt Annika Reich. Unterstützt von den Münchner Verlagen Hanser und Kunstmann sowie dem Börsenverein lädt „Wir machen das.jetzt" daher Buchhandlungen in ganz Deutschland dazu ein, zu den Orten zu werden, an denen sich Menschen voneinander erzählen. Zum Auftakt der Veranstaltungsreihe unter der Überschrift „Wir reden nicht über Flüchtlinge, sondern mit ihnen" hatte am Mittwochabend die Berliner Tucholsky-Buchhandlung eingeladen: Ein junger Pakistaner, der seinen Namen nicht öffentlich gemacht haben will, erzählte von einem Leben in der Hölle – seine Kinder wurden gefoltert, ihm nahe Menschen umgebracht. Dem Mann gelang die Flucht, seine Familie lebt noch immer bedroht und versteckt in Pakistan.
„Ich habe in die gebannten Gesichter der Zuhörer geschaut, es war eine ungeheure Spannung im Raum", sagt der Buchhändler Jörg Braunsdorf. Er hat schon die nächsten Veranstaltungen in der Reihe geplant, eine mehrsprachige Lesung für Kinder soll es im Februar geben. „Buchhandlungen sind der Raum, um auch über gesellschaftspolitische Fragen zu diskutieren", sagt Braunsdorf: „Für mein Bild vom Buchhandel gehören solche Veranstaltungen schlichtweg dazu."
Informationen zum Begegnungsort Buchhandlung und der Veranstaltungsreihe unter www.wirmachendas.jetzt
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