Tipps fürs Verkaufsgespräch: Interview mit Jörg Winter

"Zeitgemäß ist eine eher unaufdringliche Form der Aufmerksamkeit"

22. Dezember 2015
von Börsenblatt
Im Verkaufsgespräch steckt viel Musik – sagt Coach und Trainer Jörg Winter. Er empfiehlt einen entspannten, fröhlichen Umgang mit den Kunden. Die Frage "Kann ich Ihnen helfen?" ist dabei ein Fall für die Mottenkiste.

Magic Moments im Verkaufsgespräch – unter diesem Motto bilden Sie Buch- und Spielwarenhändler in Seminaren weiter. Was sind denn solche Magic Moments?

Dazu gehört, ganz klar, der erste Eindruck. Was passiert, wenn der Kunde den Laden betritt? Heißt ihn der Händler willkommen, freut er sich darüber, dass der Kunde da ist – und zeigt er ihm das auch? Das Kundengespräch wird heute oft auf Fragetechniken reduziert, doch das greift viel zu kurz. Um das den (Buch-)Händlern auch deutlich zu machen, muss man sich manchmal Begriffe wie die "Magic Moments" einfallen lassen. Dann kommt das Thema "Verkaufen" nicht so dröge daher.

Sind Buchhändler im Verkaufsgespräch oft zu passiv?

Das ist wirklich oft zu beobachten. Der Fachhandel steht heute im Wettbewerb zum Internet, es geht um die Frage nach dem Mehrwert des stationären Einkaufs. Und der beschränkt sich eben nicht nur auf Atmosphäre und Warenpräsentation, sondern hängt vor allem von der Einstellung, der Haltung des Verkaufenden ab. Der Umgang mit Kunden ist im Einzelhandel genrell viel zu oft von Passivität geprägt. In einem eher gleichgültig, manchmal auch langweilig wirkenden Händlerumfeld können sich Buchhändler schon dann einen Namen machen, wenn sie nur die Grundformen der Höflichkeit und Aufmerksamkeit beachten. Menschen wollen Wertschätzung erfahren. Dort wo Inhaber und Mitarbeiter aufgeweckt sind und "Bock" auf Kunden haben, kann Kundenbindung gestärkt werden. Die Sache ist geradezu erschreckend einfach.

Woran macht ein Kunde Wertschätzung fest?

Das beginnt beim Blickkontakt, wenn der Kunde den Laden betritt. Kunden wollen gesehen werden, werden aber stattdessen oft übersehen – natürlich auch deshalb, weil viel zu tun ist im Buchhandel. Verwaltungsarbeit muss erledigt, Ware bestellt und eingeräumt werden. Das heißt: Dem Kunden Beachtung zu schenken, steht in Konkurrenz zu den anderen zentralen Abläufen im Laden. Und das ist ein deftiger Zielkonflikt. Denn auch diese Arbeiten müssen erledigt werden.Wenn der Kunde das Gefühl hat, nicht willkommen zu sein, geht er wieder und kauft zuhause am Computer ein. "Kunde vor Kiste" ist dafür ein griffiger Merksatz für den Alltag und zugleich auch eine Verpflichtung. Für den Kunden wird alles andere stehen und liegen gelassen.

Aber wollen denn wirklich alle Kunden "gesehen" werden, so wie Sie es beschreiben? Sind die meisten Menschen nicht eher genervt, wenn der dritte Mitarbeiter mit der Frage ankommt: "Kann ich Ihnen helfen?"

Diese Frage ist in der Tat ein absolutes "No-Go", denn der Kunde gerät in Erklärungsnot und fühlt sich unwohl. Zeitgemäß ist eine eher unaufdringliche Form der Aufmerksamkeit. Wenn der Kunde kommt, muss der Verkäufer signalisieren: Ich hab dich wahrgenommen, es liegt jetzt an Dir, ob Du mit mir Kontakt aufnimmst. Ein freundliches Nicken, ein kurzes Hallo und natürlich ein Lächeln, ein "Wenn Sie mich brauchen, sprechen Sie mich bitte an" – das ist für viele Kunden eine passende Kontaktaufnahme.

Und was ist mit der klassischen Empfehlung, dem Kunden zur Begrüßung eine offene Frage zu stellen?

Es gibt Buchhandlungen, die diese Form der Kundenansprache sehr entschieden praktizieren und sie sogar im Pflichtenheft der Mitarbeiter festhalten. Der moderne Klassiker lautet: "Was kann ich für Sie tun?" Aber ganz ehrlich: Welcher Kunde will das denn? Auch den alten Satz "Der Kunde ist König" können Sie getrost in die Mottenkiste verbannen. Ich plädiere entschieden dafür, den Kunden als Gast zu sehen und sich selbst als (entspannten) Gastgeber. Denn daraus ergeben sich wunderbare Analogien: Ein Gastgeber räumt vor der Party auf, ist vor den ersten Gästen da und richtet das Buffet appetitlich an. Nicht zuletzt kommt bei diesem Vergleich eine gewisse Leichtigkeit ins Spiel – und genau dann stimmt auch die Atmosphäre.

Neben der Atmosphäre muss aber am Ende des Tages auch der Umsatz stimmen. Ist offensives Verkaufen im Buchhandel eher verpönt?

Nicht verpönt, aber auch nicht wirklich populär. Umsatz zu machen und das auch aktiv anzugehen, kollidiert für viele immer noch mit buchhändlerischen Werten. Viele sind dafür einfach nicht gestrickt, weil die Identifikation mit dem Beruf eher über das Produkt geschieht und weniger über den wirtschaftlichen Erfolg. Gleichzeitig gilt: Die Anzahl der Kunden geht zurück, nicht nur im Buchhandel. Deshalb ist es wichtiger denn je, mit den vorhandenen Kunden mehr Umsatz zu machen. "Fit im Verkauf" ist deshalb der passendere Seminartitel als "Magic Moments im Kundengespräch".

Ein Votum für die berühmten Zusatzverkäufe?

Der Begriff Zusatzverkäufe ist negativ besetzt. Das kennen wir alle: Beim Bezahlen der Tankfüllung wird noch ein Snickers angepriesen. Keiner möchte das, der Kunde nicht und der Verkäufer auch nicht. Weil es aufdringlich ist. Diese Erfahrungen törnen einfach die Lust aufs aktive Verkaufen ab. Allein mit anderen Begriffen wird ein positiver Zugang zum Thema geschaffen: Kunden werden inspiriert, es wird für sie mitgedacht, sie erhalten wichtige Zusatz-Informationen. Beispiel: Ein Schüler kauft ein Reclamheft für die Schule – und der Buchhändler weist ihn auf die passende Lektürehilfe hin, mit der sich die Vorbereitungszeit verkürzen lässt. Das zeigt, dass der Händler für den Kunden mitdenkt. Auf dieser Klaviatur kann man, mit der gebotenen Unaufdringlichkeit, alle Warengruppen durchspielen. Gerade beim Empfehlungsmarketing kann man übrigens von Amazon unendlich viel lernen. Die große Datenmaschine macht, was sich viele Buchhändler nicht trauen – obwohl sie den Job, dem Kunden weitere Empfehlungen an die Hand zu geben, sehr viel besser erfüllen könnten als der Rechner.

Thema Zeitdiebe: Der Laden ist voll, ein Kunde hält mich fest. Wie kommt man aus solchen Situationen elegant wieder raus?

Von solchen Kunden müssen Sie sich lösen – und die alte Überzeugung und vermeintlich gute Erziehung über Bord werfen, dass man Menschen nicht unterbricht. Bei manchen Kunden geht das einfach nicht anders. Der passende Satz könnte lauten, unterstützt von einem Lächeln: "Wenn ich Sie kurz unterbrechen darf: Was genau kann ich jetzt noch für Sie tun", um die Initiative in der Hand zu haben und sich  dann aus dem Gespräch zurückzuziehen. Der Verkäufer darf hier durchaus auch als Autoritätsperson auftreten.

Welche Rolle sollte der Verkaufspreis im Kundengespräch spielen?

Sehr oft gar keine. Buchhandel ist Fachhandel und hier ist der Preis für den Kunden nicht das zentrale Thema. Nur wenige Kunden denken, dass Bücher zu teuer sind. Der Branche mangelt es da manchmal an Selbstbewusstsein. Wichtig ist im Kundengespräch, dass man erst die hochwertigen, höherpreisigen Ausgaben zeigt – und sich dann nach unten vortastet. Umgekehrt funktioniert das nicht, denn dann wird sich der Kunde immer für das erste, das preiswerte Buch entscheiden. Solche und andere konkrete Tipps helfen dabei, ein Kundengespräch souverän zu führen.

Interview: Sabine Cronau