1,5 Millionen Besucher der Buchmesse in Algier

Bücher für alle

19. November 2015
von Börsenblatt
Unter dem Motto "Vingt ans à la page" (20 Jahre von Seite zu Seite) fand die 20. SILA (Salon international du livre d‘Alger) vom 29. Oktober bis 7. November auf dem Expo-Gelände Pins maritimes in Algier statt. Ein Bericht der Mainzer Verlegerin Donata Kinzelbach, deren Verlag auf Literatur aus dem Maghreb spezialisiert ist und die die Messe seit Jahren besucht.

970 Aussteller wies der offizielle Messekatalog aus, jedoch waren insbesondere die französischen Verlage oft nicht wirklich präsent, vielmehr wurden die Stände vom algerischen Verkaufspersonal betreut. Mit stattlichen 1,5 Millionen Besuchern, so der Kulturminister Azzedine Mihoubi, rangiert die Messe im internationalen Vergleich ganz weit vorne. Das Messegelände liegt zwar etwas außerhalb, ist aber mittlerweile mit Metro und Tram sehr gut und preiswert (umgerechnet etwa 40 Cent Fahrpreis) zu erreichen. Außerdem erspart man sich so den alltäglichen algerischen Stau.

Ehrengast war in diesem Jahr Frankreich. Das Institut français in Algier wartete mit einem breiten Portfolio an Lesungen, Debatten und Filmvorführungen auf.

Ein Highlight war die Verleihung des Preises "Assia Djebar". Djebar, die im Jahr 2000 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden war, gilt als Verfechterin der Rechte von Frauen. Ausgezeichnet wurden je ein arabophones, ein berberophones und ein frankophones Buch. Die Festivität fand im Zelt neben dem Hilton Hotel statt, Zutritt hatten lediglich geladene Gäste. Als "die Deutsche" – seit zehn Jahren besuche ich immerhin die Messe und bin selbst beim Kaffee-Stand bekannt – durfte auch ich teilnehmen. Am Pressetisch saß ich mit algerischen Fotografen, die mir die Lachs-Röllchen und Kaviar-Kanapees zuschoben: Algerier äßen keinen rohen Fisch, erklärten sie mir. Heftig kritisiert wurde, dass der nach der Frauenrechtlerin Djebar benannte Preis ausschließlich an männliche Schriftsteller verliehen wurde. Feministinnen wie die algerischen Autorinnen Maïssa Bey und Nadia Sebkhi protestieren lautstark in der Presse und via Facebook. An Kandidatinnen hätte es nicht gefehlt, denn die algerische Literatur ist reich an hochkarätigen Schriftstellerinnen.

Gedränge herrschte auf der Messe überall. Auch die Stände mit religiöser Literatur − meist mit prachtvollen Hardcover-Ausgaben des Korans oder Auszüge davon − locken mit Schnäppchenpreisen. Die Bücher wurden vom Stapel abverkauft, gingen weg wie warme Semmeln. Ebenfalls gefragt: Koran-Ausgaben im Miniformat, für die Handtasche sozusagen.

Abschlüsse habe ich (noch) keine gemacht, mir aber interessante Bücher mitgenommen, die erst einmal gelesen sein wollen. Bei zwei Verlegern − Livresq und Chihab − durfte ich mein Algerienbuch ("Algerien − ein Land holt auf!") am Stand präsentieren, meine mitgebrachten deutschen Bücher gingen weg wie nichts. In einer algerischen Zeitung stand ein Bericht über mein Buch − und die Redaktion bekam daraufhin über 1.000 Mails! Bei meinen Autoren und Freunden war auch die Flüchtlingskrise in Europa ein Thema. Einhellige Meinung war: Dass Deutschland hilft ist gut, aber müsst ihr immer von einem Extrem ins andere fallen? Mal seid ihr fremdenfeindlich, mal applaudiert ihr, wenn täglich fast 10.000 neue Flüchtlinge kommen.

Der algerische Buchmarkt kennt keine Preisbindung; außerdem werden die moderaten Preise (Taschenbücher für umgerechnet etwa 4 Euro) am letzten Messetag bei den meisten Ständen nochmals um bis zu 30 Prozent reduziert. Diese Tatsache und das Fehlen einer funktionierenden Distribution führen dazu, dass sich Familien oft für das nächste Jahr bevorraten, insbesondere wenn sie aus ländlichen Regionen kommen, wo Buchhandlungen rar sind.

Ein breites Rahmenprogramm wartete in verschiedenen Veranstaltungsräumen auf Zuhörer. Die jeweilige Räumlichkeit erst einmal zu finden, war bereits die erste Hürde. Problem Nummer zwei für den europäischen Besucher: Selbst wenn der Titel der Veranstaltung auf Französisch angegeben war, konnte es passieren, dass die Veranstaltung ausschließlich auf Arabisch stattfand. Immerhin gab es – das war neu in 2015 – einen Simultanübersetzer Arabisch-Französisch via Headset.

Von exzellenter Qualität war das publizistische Begleitmaterial, das kostenlos auslag. Man hat sich offenbar von der Frankfurter Messe inspirieren lassen, denn erstmals gab es eine tägliche Messezeitung, wurden Schulklassen von ihren Lehrern mit einem Fragenkatalog herumgeschickt. Zudem gibt es die öffentliche Diskussion darüber, ob man im nächsten Jahr Fachbesuchertage einrichten solle.

Vom kostenlosen Eintritt will man aber nicht Abschied nehmen. Er sei schließlich Garant dafür, dass die Messe jedem zugänglich gemacht wird. In der Presse fand ich dann auch einen verwunderten Beitrag über die Preise an den Fachbesuchertagen in Frankfurt: "Angeblich soll der Preis bei 58 Euro liegen", schrieb der Journalist vorsichtig, glauben mochte er diese Zahl wohl nicht so recht. Wenn man weiß, dass der Mindestlohn in Algerien bei 280 Euro liegt, wird diese Skepsis verständlich.

Offensichtlich orientiert man sich stark am Westen: So gab es auf dem Vorplatz der Messe fast ausschließlich Stände von amerikanischen Fast-Food-Ketten. Algerische Fladen – köstlich und obendrein mit umgerechnet 40 Cent spottbillig – blieben der kulinarische Geheimtipp.

Eine Hüpfburg wartete vergeblich auf junge Besucher. Vielmehr zog es die zahlreichen Kinder in die teils aufwendig gestaltete Kinderbuchabteilung. Hier wurde geblättert, gelesen, interaktiv agiert, Mama oder Oma oder Tante zum Kauf überredet, notfalls mit Geschrei und Quengelei. Und im Gespräch mit Eltern höre ich immer wieder, wie wichtig ihnen die Bildung der Kinder ist. Was ebenfalls auffällt: Der Krimi- und Kochbuch-Hype hat auch Algier erreicht. Und es gibt eine Manga-Abteilung!

Donata Kinzelbach

Der Verlag Donata Kinzelbach mit Sitz in Mainz wurde 1987 gegründet. Er ist auf Literatur aus dem Maghreb spezialisiert.