Meinungsbeitrag von Lorenz Borsche

Tolino - eine verpasste Chance?

21. Oktober 2015
von Börsenblatt
Die Buchhändler sollten alle zusammenstehen, und den Tolino als Chance begreifen − um gegen Amazon ein Zeichen zu setzen. Noch sei es nicht zu spät, so die persönliche Meinung von Lorenz Borsche.

Man mag von Michael Busch (Thalia) halten, was man will − und für unabhängige Buchhändler ist er ja oft genug ein rotes Tuch − aber mit dem Tolino hat er etwas geschaffen, das unserer Branche im Wettstreit mit amazon noch nie gelungen ist: gegen amazons Kindle eine Marke mit hohem Bekanntheitsgrad zu etablieren. Dafür muss man ihm Respekt zollen, unbedingt. Wenn Kunden eine kleine Buchhandlung betreten und dezidiert einen "Tolino" verlangen − und das haben wir von unseren Buchhändlern mehrfach gehört − dann ist das der Beweis, dass dem Kunden der Name einer Kette offenbar völlig egal ist, Thalia, Hgendubel oder was, hier ist eine Buchhandlung und die muss doch einen Tolino haben?
Zudem ist der Tolino tatsächlich ein funktionierendes Ökosystem, man kann seine Titel in der Telekom-Cloud nicht nur auf einem Tolino-Reader, sondern auch auf dem Tablet, dem Laptop oder dem Smartphone lesen. Bis zu sechs Geräte sind möglich, und will man eine neues anmelden, muss man nur ein altes de-registrieren. Und anders als beim Kindle ist auch der Umzug auf einen anderen Reader möglich, bei DRM-freien Titeln sowieso, aber auch die DRM-geschützen Titel kann man, mithilfe der eigenen Adobe-ID umziehen, Hans-Peter Kübler von Libri hat es auf der Messe zeigen können.
Ein offenes Ökosystem mit Cloud also, das funktioniert, im Gegensatz zu der seit einem Jahr versprochenen PocketBook-Lösung, die immer noch nicht realisiert wurde. Und auf das nicht nur Thalia und Hugendubel-Filialen, sondern auch unabhängige Buchhändler Zugriff haben.

Als vor gut zwei Jahren die MVB eine Koalition der Tolino-Willigen vesuchte zusammen zu bringen, haben wir das alle wohl nicht so recht verstanden, auch erschienen die Eintrittshürden, technisch wie finanziell, doch sehr hoch. Dann hat Libri den Schritt gewagt, und wir von der eBuch sind dafür sehr dankbar. Wenn ein Händler, der etwa einen Tolino pro Monat eingeplant hatte, auf Anhieb fünf verkauft, dann zeigt das, wie gut die Marke positioniert ist.

Bis zur Messe sollten noch drei wichtige Partner hinzukommen, KNV, Umbreit und eine österreichische Verbundgruppe. Die Verhandlungen sind leider erfolglos geblieben, und das kann wohl kaum an den Eintrtittshürden liegen, denn Osiander und die Mayersche haben sich entschlossen, den Schritt zu wagen. Ja, wenn man mit spitzem Bleistift rechnet, dann ist das immer noch ein gewagtes Engagement, vielleicht sogar selbst auf lange Sicht ein Nullgeschäft. Aber was die meisten übersehen ist, dass es sich um die beste Branchenwerbung handelt, die man sich denken kann, denn sie wirkt indirekt, plötzlich ist es "der Buchhandel", der gegen amazon bestehen kann. Und gute Werbung kostet halt. Die geringen Gewinne, die ich mit der deutlich billigeren PocketBook-Variante machen kann, auf die kann man leicht verzichten, die können den Tolino-Werbeeffekt niemals aufwiegen.

Haben Sie jemals ein Brötchen mehr beim Bäcker gekauft statt im Supermarkt, weil der Bäcker-Verband so hübsche ganzseitige Anzeigen schaltet? Ein Steak mehr gegessen, weil der Verband der Fleischwarenhersteller im "Spiegel" versichert, wie gut das Fleisch seiner Mitglieder ist? Seien wir ehrlich, diese Art von Werbung langweilt den Kunden, wenn sie nicht gar als ärgerlich empfunden wird. Und so könnte man sagen: das Geld für die "Vorsicht-Buch Kampagne" wäre, "versenkt" in einer Tolino-Partnerschaft der MVB, ganz sicher erfolgreicher und nützlicher gewesen, als die gelb-schwarze Kampagne, auch wenn diese sicher weniger langweilig war, als die genannte Brot- und Fleisch-Werbung. Ein Produkt, das zur Marke wird, wirbt mehr für unsere Buchhändler, groß oder klein, als jedes Plakat. Es sei denn, es wäre ein Tolino-Aufkleber in jedem Schaufenster jeder Buchhandlung.

Verpasste Chance also? Nein, das muss nicht so sein, noch ist es nicht zu spät. Wir sollten alle zusammenstehen, und den Tolino als die Chance für alle Buchhändler begreifen, gegen amazon ein Zeichen zu setzen. Und jetzt muss ich sofort den Kopf einziehen, denn ich habe, in den Augen der unabhängigen Buchhändler getan, was man nicht darf: Herrn Busch gelobt. Aber was wahr ist, muss wahr bleiben.