Lesensart hat auch in Friedberg geschlossen

Mitarbeiterin berichtet: „Das Arbeiten unter diesen Bedingungen ist unmöglich“

10. August 2015
von Börsenblatt
Am 4. August ist die Filiale der insolventen Buchhandelskette Lesensart nach bekanntem Muster geschlossen worden: „Innerhalb weniger Minuten wurde uns der Schlüssel abgenommen und wir wurden aus dem Laden geschickt“, berichtet eine Mitarbeiterin gegenüber boersenblatt.net. Inventur oder Übergabeprotokoll? Fehlanzeige.

Das Kapitel Lesensart ist für das fünfköpfige Buchhändlerteam im hessischen Friedberg beendet. Trotz aller Zukunftsängste: Dem Unternehmen und seiner Geschäftsführung werden die Mitarbeiter nach eigener Aussage keine Tränen nachweinen – denn die gab es im letzten halben Jahr unter Lesensart für die früheren Weltbildler genug: „Ich habe meinen Beruf geliebt, aber das Arbeiten unter diesen Bedingungen ist unmöglich", sagt die Mitarbeiterin, mit der boersenblatt.net gesprochen hat.

Unklare Informationen aus Ahaus

Vor allem die letzten Wochen waren laut Bericht der Buchhändlerin eine „Katastrophe und ein Wechselbad der Gefühle": Erst sei die Filiale von der Lesensart-Homepage verschwunden, die Mitarbeiter seien daraufhin von der Lesensart-Führung beruhigt worden, dass es sich um einen Fehler handele. Eine Aussage, die auch boersenblatt.net vor wenigen Wochen erhalten hatte. Dann sei unvermutet der Vermieter aufgetaucht und habe geäußert: „Mich wundert es, dass Sie noch hier sind. Weltbild vermietet den Laden doch weiter."

Nach drei Wochen widersprüchlicher Aussagen habe am 15. Juli festgestanden: Die Friedberger Filiale schließt wirklich. Diese Information soll zuerst von Weltbild verbreitet worden sein. Erst am 20. Juli soll die anstehende Räumung auch von Lesensart gegenüber der Filialleitung bestätigt worden sein. „Ein Wechselbad der Gefühle, schrecklich", so die Mitarbeiterin. Vor den Kunden, die sich seit Monaten über nicht einlösbare Weltbild-Gutscheine und leere Bücherregale beschwert hätten, hätten die Mitarbeiter gute Miene zum bösen Spiel gemacht.

Am nächsten Tag habe der Ladenbauer des Nachmieters ohne Ankündigung im Laden ausmessen wollen – von Lesensart sei niemand gekommen, dann habe es die telefonische Ansage eines Lesensart-Mitarbeiters aus der Zentrale gegeben, man solle den Laden weiter aufsperren. „Wir hatten noch nicht einmal Wechselgeld, weil alle Einnahmen abends immer überwiesen werden mussten", sagt die Mitarbeiterin.

Keine Ware - leere Regale

Bereits seit Monaten sei ein vernünftiges Arbeiten nicht mehr möglich gewesen: Die Friedberger Filiale habe zu Weltbild-Zeiten, wie boersenblatt.net erfahren hat, rund 20.000 Euro pro Woche umgesetzt und habe damit zu den hessischen Top-3-Filialen gezählt. Unter Lesensart sei der Wareneinkauf dann auf 1.000 Euro gedeckelt worden – für zwei Wochen. Ware habe es nur noch über Libri gegeben, oft sei unklar gewesen, wie hoch das Budget für Bestellungen überhaupt gewesen sei, man habe in Ahaus förmlich um neue Ware betteln müssen. Einmal seien die Mitarbeiter erschrocken, als ein Postkartenständer angeliefert wurde, dessen Kosten noch nicht offiziell abgesegnet waren. Niemand habe sich getraut, die Ware auszupacken. In Ahaus seien die Mitarbeiter daraufhin ausgelacht worden.

„Wir konnten noch nicht einmal die Regale füllen, einer unserer Tische hätte bei vernünftiger Platzierung die gesamte Bestellung geschluckt", ärgert sich eine Buchhändlerin. Es sei zu keinem Zeitpunkt erkennbar gewesen, dass es ein Konzept für Lesensart gebe. Man habe die früheren Weltbildplus-Filialen einfach abwickeln wollen. Keine Ware, keine Inventur, keine Aktionen, es soll noch nicht einmal Plastiktüten für die Einkäufe der Kunden gegeben haben.

Die Mitarbeiter fühlen sich alleine gelassen

Unangenehm sei den Friedberger Mitarbeitern Lesensart-Berater Bernhard-Ludwig Winkelhaus aufgefallen, berichtet die Buchhändlerin. Wie gemeldet, soll er auch andernorts den Filialleitern Übernahmeverträge aufgedrängt haben. Auf dieses Angebot soll kein Filialleiter nach einer Warnung des Lesensart-Gesamtbetriebsrats eingegangen sein. Anschließend seien die Schließungen losgegangen, wie der Betriebsrat jüngst in einem offenen Brief mitteilte. „Die Lesensart-Mitarbeiter tauschen sich in verschiedenen WhatsApp-Gruppen aus", sagt die Friedberger Lesensart-Buchhändlerin. „Unter Weltbild ging es den Filialen gut, was hier passiert, ist eine Schweinerei". Inzwischen studierten viele Lesensart-Mitarbeiter morgens erst einmal die Branchenpresse, um zu erfahren, ob es beunruhigende Nachrichten gebe.

Das letzte Gehalt kam von Weltbild

Am Tag der Schließung sei ein Techniker vorgefahren und habe die Schlüssel eingesammelt. Ein Protokoll, eine Inventur oder weitere Informationen habe es nicht gegeben, sogar die Freistellung hätten die Mitarbeiter erst später erhalten. Das Juli-Gehalt soll nicht Lesensart, sondern Weltbild überwiesen haben.

Dieses Muster, vermutet die Lesensart-Mitarbeiterin, stehe auch anderen der 54 Filialen in den nächsten Wochen noch bevor. „Zuletzt werden die Filialen in den Centern schließen. Denn jede Stunde Leerstand wird teuer für Weltbild, das Centermanagement steht sofort auf der Matte", glaubt die Mitarbeiterin.