Leipzig ohne Buchmesse

Ausnahmsweise

16. März 2020
Redaktion Börsenblatt
Mehr Absagen als man braucht – da macht Leipzig eine Ansage: Einige Veranstaltungen finden auch ohne das übliche Buchmesseumfeld statt, andere Formate werden gerade neu erfunden. 

Volker Arndt, bei der Leipziger der Universitätsbuchhandlung Schweitzer Fachinformationen zuständig für Geisteswissenschaften, tritt hinter das Schaufenster und aktualisiert die Info-Tafel mit einer weiteren Absage einer Veranstaltung, die während der Leipziger Buchmesse hätte stattfinden sollen.
„Dieses Jahr wären es 25 Veranstaltungen gewesen, mit Joschka Fischer, Sigmar Gabriel und viele anderen“, sagt Arndt. Er hatte sich gut mit Titeln eingedeckt, die er zum großen Teil wieder zurückschicken wird: „Was wir bei den Lesungen verkauft hätten, das holen wir hier in der Buchhandlung nicht mehr auf - andererseits muss man für die Situation Verständnis aufbringen“, so Arndt.

Einige kleinere Veranstaltungen finden mit etlichen Programmänderungen statt. Die Lyrikbuchhandlung beispielsweise, ein Pop-Up-Store zur Messe im Tapetenwerk wird sehr gut besucht. Das Virus beeinträchtigt nicht die Stimmung, die Szene freut sich auf den alljährlichen Treffpunkt. Niemand begrüßt sich mit Ellbogen oder Fist-Bumps. Herzliche Umarmungen und soziale Nähe bei Bier und Wein sind eine Selbstverständlichkeit.

Manche der großen Veranstaltungen, die schon Wochen im Voraus ausverkauft waren, finden am Donnerstag noch statt. Im großen Saal im Haus des Buches soll Ingo Schulze lesen. Vor der Kasse bilden sich lange Schlangen - die Lesung ist mit 300 Plätzen ausverkauft – und eine große Flasche Desinfektionsmittel steht bereit, von der rege Gebrauch gemacht wird. Auf die einleitende Ankündigung, dass im Verlauf des Abends kein Wort über Corona fallen wird, wird mit heftigem Applaus reagiert. Am Ende der Veranstaltung signiert Schulze noch geduldig und lange viele Bücher.

Eigentlich ist der Kinderbuchstabensuppen-Abend bei Klett Kinderbuch am Mittwoch als warming-up zur Messe gedacht. Nun kam es anders, und deshalb wurde die Party für die rund 70 Leute, die den Weg zur Villa Kunterbuch trotzdem fanden – von Verleger-Freunden wie Markus Weber (Moritz) oder Michael Stehle (Urachhaus) bis zu Dutzenden Illustratorinnen und Illustratoren wie Anke Kuhl und Axel Scheffler – eine ganz besondere. Auch der Einladung, am Donnerstag und Freitag statt zum Messestand in die Verlagsräume zu pilgern, wurde rege gefolgt. Für Monika Osberghaus waren die vibrierenden Leipziger Nichtmesse-Tage so etwas wie ein produktiver Ausnahmezustand: „Bücher sind Lebensmittel, gerade jetzt wird das so klar wie die Brühe von Thomas’ Markklößchensuppe.“ 

 

Buchmessesalon: Jacqueline Simon und Ansgar Weber von der Buchhandlung SeitenBlick am Lindenauer Markt hatten sich, wie viele ihrer Kollegen, für die eigenen Messe-Veranstaltungen mit überdurchschnittlich vielen Büchern aus Indie-Verlagen wie Guggolz, Jung und Jung oder Nautilus verproviantiert. Und nun? Lud das Buchhändlerpaar für Samstagnachmittag zum „Buchmessesalon“ ein: Mit Büchern sonder Zahl, Verlagsprospekten, Give-Aways, gewöhnlichen Warmgetränken, kleinen Kuchen und einer original Schweizer Lesebank. Und mit spontanen Gästen wie Mark Lehmstedt, Sebastian Wolter (Voland & Quist) oder Marc Reichwein (Die Welt), die den Besuchern ihre aktuelle Produktion vorstellten oder hinter die Kulissen des Preises der Leipziger Buchmesse blicken ließen.

Statt die Messe zu besuchen, gehen die Leipziger in die Buchhandlungen, vor allem Jugendliche suchen sich ihren Manga-Stoff in diesen Tagen im stationären Handel. Die Meldung über die Schließung von Kitas und Schulen führen zu hohen Umsätzen vor allem im Bereich Kinderbuch - vergleichbar mit denen vor Beginn der Sommerferien.

Harald Raithel, Leiter der Filiale Zweitausendeins, versucht im Desaster das Positive zu erkennen: „Heute waren schon einige Leute da, die Bücher gekauft haben, die sie schon immer mal lesen wollten. Es sind auch Buchmessekunden da, die ihre Reisen und das Hotel nicht abgesagt haben. Er beobachtet, dass sich die Leute Lesestoff für die Zeit besorgen, die sie im messefreien Leipzig verbringen.

Die Buchhandlung Wörtersee wird gut besucht während der „Messetage“, so Peter Hinke, Geschäftsführer der Connewitzer Buchhandlung. „Es kommen Buchhändler nach Leipzig, die Urlaub genommen haben. Denen wollen wir was bieten“, so Hinke. Aber auch bei Hinke kommt Enttäuschung zum Ausdruck: Gerade trifft die Nachricht ein, dass die Schulen ab Montag geschlossen werden: „Vielleicht herrschen hier bald Zustände wie in Italien. Es ist absurd. Schulzes Verleger Oliver Vogel bei S. Fischer Berlin erzählte mir von seinen Lektoratskollegen bei Thor in Frankfurt. Die sagen: 'Wir machen schon immer die Bücher, die dieses Szenario beschreiben.‘

Hinke reagiert schnell. Seine neue Postkarte kommt bei der Kundschaft gut an. „Hamsterkäufe für die Quarantäne, die können wir jetzt gut gebrauchen. Es werden wohl die Bibliotheken schließen. Man sollte sich jetzt also wirklich mit Büchern eindecken“, so Hinke. Er kann noch nicht prognostizieren, was dieses Szenario für seine Umsätze bedeuten wird, aber er spricht auch von der „Corona-Chance“: „Als Selbstständiger wird man von bürokratischen Dingen ja regelrecht stranguliert. Hier könnte ein Umdenken stattfinden“, so Hinke.

Und ein Messegerücht ohne Messe macht die Runde: Angeblich könne manch begehrter Titel von den Verlagen derzeit nicht geliefert werden, weil Amazon hamstere. „Bizarr“ nennt Hinke diese Tage und Arndt fasst zusammen: „Das Wichtigste ist, dass alle gesund bleiben.“