Flaute bei Jugendbüchern

"Immer schwerer zu vermitteln"

11. Februar 2020
Redaktion Börsenblatt
Wie gehen die Verlage mit der schwächelnden Nachfrage nach Jugendbüchern um? Lässt sich die Medienkonkurrenz zurückdrängen? Vier Antworten der Verlegerinnen von Carlsen, Oetinger, cbj/Random House und dtv junior.

Susanne Stark, Programmleiterin dtv junior und bold:

"Alle Forschungen – und auch alle Zahlen, die uns vorliegen – besagen, dass die Jugendlichen, wenn sie lesen, viel lieber gedruckte Bücher lesen als E-Books. Letztere sind für Vielleser attraktiv, wenn sie wenig bzw. gar nichts kosten, etwa Bücher aus dem Selfpublishing-Bereich oder auf Plattformen wie WattPad. Ansonsten besagt meine Erfahrung, dass das Buch auch für Jugendliche etwas Wertvolles ist, etwas Entspannendes, das sie gern in der Hand halten. Aber die Branche weltweit wartet auf ein neues 'echtes' All-Age-Phänomen wie 'Harry Potter', 'Twilight' oder 'Panem'. 'Gregs Tagebuch' ist dies nur bedingt, weil dieser Titel in fast allen Ländern als Upper Middle Grade klassifiziert wird.
Die Schere zwischen gut verkäuflichen Titeln à la 'Greg', bei uns etwa Colleen Hoover und Sarah J Maas, und den Titeln mit niedrigen Auflagen wird immer größer. Es gibt im Jugendbuch, wie auch in der Belletristik, quasi keine Midlist mehr. Wir reagieren, indem wir die Zahl der Jugendbücher, die bei uns erscheinen, leicht reduziert haben – und indem wir alle Jugendbücher, die erscheinen, auf Social Media bewerben."

Renate Herre, Carlsen-Verlegerin:

"Die Medienkonkurrenz lässt sich meiner Meinung nach nicht zurückdrängen. Wer reine Unterhaltung und einen einfacheren Zugang durch Bilder und nicht durch Text sucht, wird immer eher Netflix-Serien gucken als ein Buch zu lesen. Die Faszination des Lese-Erlebnisses an sich wird – gerade auch für die Kinder der jetzigen Digital Natives – immer schwerer zu vermitteln sein, da der Medienkonsum extrem schnell geworden ist und man sich auf das Lesen eines Buches anders einlassen muss, als auf das Ansehen einer Serie. Darin liegt aber auch die große Chance, die im Lesen liegt. Der momentane Trend zur Entschleunigung spielt uns da in die Hände und muss von den Verlagen in der Kommunikation mit den Leser*innen klug genutzt werden.
Wir machen die Erfahrung, dass sich Genre- bzw. Altersgrenzen immer mehr verschieben oder überschneiden. Sowohl Jugendliche als auch junge Erwachsene interessieren sich gleichzeitig für Harry Potter, Manga, Fantasyromane, Liebesgeschichten oder realistische Jugendbücher. Es wird immer wichtiger, dass der einzelne Titel die Leser*innen überzeugt. Das erleben wir gerade wieder mit dem neuen Roman von Susan Kreller, 'Elektrische Fische'."

Susanne Krebs, Verlagsleiterin cbj und cbt:

"Ich glaube, dass 'Zurückdrängen' der falsche Begriff ist und dass die Medien miteinander gedacht werden müssen. Medien wie Film/Serien und Buch lassen sich auch verbinden, etwa im Fall der Serie "Riverdale", zu der wir Jugendromane veröffentlichen, die aber wiederum nicht deckungsgleiche Geschichten erzählen, sondern neuen Content bieten – ein Erfolgsmodell. Es ist ganz sicher wichtig, genau hinzuschauen, wie man die größtmögliche Attraktivität erreichen kann, damit die Bücher wirklich einen 'Nerv' treffen, und dabei ist alles wichtig: die Themen, aber auch die Erzählweise, Figurenzeichnung, Tempo, Covergestaltung. Wir merken, wie durchschlagend das nach wie vor gelingen kann, wenn alles stimmt wie bei Karen M. McManus´ 'One of us is lying', einem der großen Jugendbucherfolge der letzten Zeit, der sich auch international auf alle Bestsellerlisten katapultiert hat und die Jugendlichen mit seinen Coming-of-age-Themen oder einem Thema wie der Macht der sozialen Medien berührt."

Julia Bielenberg, verlegerische Geschäftsführerin der Verlagsgruppe Oetinger:

"Aus unserer Perspektive ist die Medienkonkurrenz nicht zurückzudrängen. Wir sind herausgefordert, uns sinnvolle Wege zu überlegen, wie wir diese möglichst innovativ und vielfältig für die Buchpromotion nutzen können und was wir insgesamt daraus für unsere Arbeit und die Positionierung unseres Mediums ableiten können. Das gedruckte Buch ist nach wie vor oftmals beständiger, nachhaltiger und wertiger als Online-Texte. Häufig nutzen Influencer das Buchformat auch für ihre Botschaften und sind Instanzen für die Jugendlichen von heute. Es muss sich also nicht dagegen behaupten, sondern reagiert auf die Bedürfnisse und Sehnsüchten der LeserInnen und wird zum Lieblingsbesitztum, zu einem besonderen Erlebnisraum.
Insgesamt stellen wir fest, dass Genreartikel gut funktionieren. Was die Zielgruppe betrifft, so nehmen wir einen stärkeren Wandel in Richtung 'all age' wahr, hier wird also eher weniger differenziert. Bei Dressler werden wir uns in diesem Jahr neu ausrichten, hier wird es mehr Titel geben, die aufrütteln, auch mal unbequem sein können und Haltung zeigen."

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