Kunden wünschen sich eine bessere Orientierung beim Buchkauf. Das war ein zentrales Ergebnis der umfassenden Studie "Buchkäufer, quo vadis?", die der Börsenverein 2018 präsentiert hat (mehr dazu hier). Wie lässt sich dieser Wunsch erfüllen – auch um abgewanderte Buchkäufer zurückzugewinnen? Darauf sucht die Taskforce "Orientierungssystem" beim Börsenverein seit Herbst 2019 nach einer umfassenden Branchenantwort (mehr dazu hier).
Was bietet den Lesern und Käufern eine bessere Orientierung als die klassische Warengruppensystematik – die ja nicht für die Kunden, sondern für die logistischen und bibliografischen Bedürfnisse der Branche entwickelt wurde? Das ist die Kernfrage. Das neue System soll online und offline, für Verlage und Händler nutzbar sein. Und es soll mit den Datenbanken und Standards der Branche korrespondieren und diese ergänzen (VLB, VLB-TIX, Thema-Klassifikation).
Es geht bei der Suche nach einem besseren Orientierungssystem also keineswegs darum, die bisherige Warengruppensystematik zu ersetzen. "Ziel ist es vielmehr, bestehende Klassifikationen wie die Warengruppen oder den internationalen Thema-Standard mit den Erkenntnissen der Tiefenpsychologie zu unterfüttern" – das macht Vertriebsberaterin Stephanie Lange deutlich. Sie leitet das erste Teilprojekt, das "Bedürfniskategorien" der Kunden herausfiltern soll.
Stephanie Lange, Projektleiterin:
"Unser Projekt 'Orientierungssystem' sorgt für ein besseres Verständnis der Kaufmotive. Die vielfältigen Handlungsfelder, die sich daraus für die Kundenansprache ergeben, sind wirtschaftlich absolut relevant für unsere Branche."
Mit der Durchführung wurde die Gruppe Nymphenburg Consult AG beauftragt. Das Münchener Beratungsunternehmen untersucht die Motive und Bedürfnisse der Buchleser und -käufer zum ersten Mal tiefenpsychologisch mit ihrer neurowissenschaftlichen Methode Limbic. Hintergrund: Menschen treffen 90 Prozent aller Entscheidungen weitgehend unbewusst, dabei sind immer auch Emotionen im Spiel.
Ziel der Marktforschung ist es, diese emotionalen Treiber und Barrieren für Buchlektüre und Buchkauf herauszufiltern – im Dreieck zwischen den drei großen Emotionssystemen "Stimulanz" (Exploration, Entdeckung), "Dominanz" (Konkurrenz, Verdrängung) und "Balance" (Sicherheit, Stabilität). 30 tiefenpsychologische Einzelinterviews mit Konsumenten hat die Gruppe Nymphenburg dafür in den vergangenen Wochen geführt, zusätzlich wurden 32 Personen in sogenannten Fokusgruppen befragt, darunter Buchkäufer wie "Abwanderer".
Bücher zu lesen, das ist für die Befragten vor allem mit folgenden Kernwerten verbunden: Leistung, Neugier, Entspannung, Abwechslung, Sicherheit, Träumen, Fantasie. Aber auch Motive wie Freiheit, Logik, Leichtigkeit, Fürsorge und Spaß spielen eine Rolle. Bücher decken dabei alle drei Felder Stimulanz, Dominanz und Balance ab. Fach- und Sachbücher zahlen vor allem auf die Dominanz-Instruktion ein, Belletristik und Ratgeber auf Stimulanz und Balance.
Aus den Interviews haben sich sogenannte Motivcluster als Grundlage für ein neues Orientierungssystem herauskristallisiert, mit denen die Taskforce weiterarbeiten will. Sie werden nun in zwei repräsentativen Onlinebefragungen mit insgesamt 1 500 Personen validiert und gewichtet.
Beispiel Familien-AnkerEin Beispiel für ein solches Motivcluster stellen Projektleiterin Stephanie Lange und Sören Ott vom Vorstand der Gruppe Nymphenburg am heutigen Donnerstag (23. Januar) bei der Jahrestagung der IG Belletristik und Sachbuch in München vor: den "Familien-Anker".
Unter diesem Begriff versammeln sich einzelne Werte, die von den Befragten mit der Buchlektüre im übergeordneten Sinn verbunden werden. Ordnet man diesem Cluster Bücher zu, stehen diese für den Zusammenhalt, für das Gemeinschaftsgefühl, für Erinnerungen in einer Familie oder Gruppe – vom Kochbuch bis zum Vorlesebuch.
Um Missverständnissen vorzubeugen: "Familien-Anker" ist keine Zuordnung, die später im Buchhandel am Regal stehen soll, sondern ein Bündel von Motiven, in dem Leser und Käufer einen Treiber für den Buchkauf sehen.
Ihren detaillierten Vorschlag für neue, kundenfokussierte Bedürfniskategorien wird die Taskforce auf den Buchtagen Berlin im Juni präsentieren. Danach stehen dann die nächsten Stufen des Projekts an – nämlich die Kategorien für alle Titel in die bestehenden Datenbanken zu übernehmen und die Ergebnisse auch auf Bewertungs- und Empfehlungssysteme für Bücher zu übertragen.
Sören Ott, Vorstand Nymphenburg Gruppe:
"Für uns ist das Projekt mit dem Börsenverein ausgesprochen spannend. Die Antriebsfedern, ein Buch zur Hand zu nehmen und zu lesen, sind vielfältig. Mit unserer neurowissenschaftlichen Methode Limbic werden unbewusste Kundenbedürfnisse sichtbar."
- Die Suche nach einem Orientierungssystem für Bücher, das die Kunden in den Mittelpunkt stellt, gliedert sich in mehrere Teilprojekte.
- Das erste Teilprojekt läuft seit Herbst 2019. Es analysiert das Informations- und Such-verhalten der Kunden und leitet daraus »Bedürfniskategorien« ab (Auftraggeber: MVB).
- Detaillierte Ergebnisse dazu werden auf den Buchtagen Berlin vorgestellt (15. – 17. Juni).
Die Köpfe dahinter
Projektleiterin ist Vertriebsberaterin Stephanie Lange.
Als Dienstleister analysiert die Gruppe Nymphenburg Consult AG die Kundenbedürfnisse mit ihrer neurowissenschaftlichen Methode Limbic. Verantwortlich: Sören Ott und Bernd Werner vom Vorstand der Gruppe.
Expert*innen aus Buchhandlungen, Verlagen und der Börsenvereinsgruppe begleiten das Projekt inhaltlich:
- Sandra Becker, Bastei Lübbe
- Detlef Büttner, Lehmanns Media
- Kyra Dreher, Börsenverein
- Robert Duchstein, Buchhandlung Reuffel
- Susanne Hellmann, Dussmann
- Robin Kottenhoff, Hugendubel
- Jana Lippmann, Börsenverein
- Melanie Michelbrink, Random House
- Dorette Peters, Random House
- Ronald Schild, MVB
- Alexander Skipis, Börsenverein
- Tobias Streitferdt, Holtzbrinck
- Judith Tuttas, Cornelsen