Konferenz Academic Publishing in Europe 2020

Auf dem Weg ins Open-Access-Ökosystem

15. Januar 2020
Redaktion Börsenblatt
Zum 15. Mal trafen in Berlin Wissenschaftsverleger, Forschungsförderer, Dienstleister und Politiker aufeinander, um über die Entwicklung des akademischen Publizierens zu diskutieren. Beherrschendes Thema war die Transformation der Publikationslandschaft in ein Open-Access-Ökosystem.      

Vor 15 Jahren, als die erste Konferenz Academic Publishing in Europe (APE) in Berlin stattfand, wurde die Befürworter des Open Access noch des "content communism" bezichtigt, so Arnoud de Kemp, Initiator und Organisator der Konferenz, in einer rückblickenden Bemerkung. Heute, im Januar 2020, liegen die Dinge längst anders. Kurz vor Konferenzbeginn gab Springer Nature bekannt, mit dem deutschen Lizenzprojekt DEAL den weltweit umfassendsten Transformationsvertrag für wissenschaftliche Publikationen abgeschlossen zu haben. Und vor einem Jahr war die APE der Ort, an dem Wiley und das Verhandlungsteam des Projekts DEAL den ersten "Deal" unterzeichneten.

Horst Hippler, der ehemalige Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) – und in dieser Funktion Verhandlungsführer des DEAL-Projekts -, zeichnete in einer Präsentation die wesentlichen Punkte und Schritte der DEAL-Verhandlungen nach.

Der ursprüngliche Zeitplan der 2016 begonnenen Gespräche sah zunächst vor, dass mit dem weltweit größten STM-Verlag Elsevier der erste Vertrag ausgehandelt werden sollte. Doch dazu kam es nicht, weil sich die Gespräche sehr schnell festfuhren, und Elsevier offenbar kein Interesse daran hatte, einen Transformationsvertrag zu unterschreiben. Das könnte sich nun, so Hipplers Erwartung, mit der neuen Elsevier-Chefin Kumsal Bayazit ändern, die in Berlin ihren Einstand gab. Ihr wird zugetraut, wieder Bewegung in die Sache zu bringen.

Die Open-Access-Welle, die 2003 durch die Berliner Erklärung der deutschen Wissenschaftsallianz ausgelöst wurde, hat nun die großen STM-Verlage voll erfasst ("STM" steht für Science, Technology, Medicine). Doch was bedeuten die Deals der vergangenen Monate für das akademische Publizieren? Steht jetzt das Ende des klassischen Subskriptionsmodells für Zeitschriften unmittelbar bevor? Oder gibt es Übergangsformen?

Die Verträge beenden nicht abrupt die bisherige Publikationspraxis. Sie sollen Verlage und Autoren beim Übergang in das Open-Access-Ökosystem begleiten. Deshalb, so Guido Herrmann, Geschäftsführer von Wiley in Weinheim, und Dagmar Laging, Vice President Institutional Sales bei Springer Nature, wurde eine sogenannte Publish-and-Read-Gebühr pro Artikel verabredet, die alle Kosten für die Publikation, aber auch für den Übergang in Open Access, finanziert. Sie wird von den teilnehmenden Institutionen getragen. In beiden Verträgen wurde ein Betrag von 2.750 Euro pro Artikel angesetzt. Die Publish-and-Read-Gebühr, kurz PAR-Gebühr, deckt nicht nur die Kosten für Open-Access-Artikel, sondern auch den Zugriff auf die gesamten Ausgaben einer Zeitschrift ab. Sie ist daher nicht mit der sogenannten APC, der article processing charge, identisch, von der heute im Open-Access-Kontext gesprochen wird.

Diskussion um Hybrid-Zeitschriften

Ziel des DEAL-Prozesses soll es sein, alle Forschungsergebnisse so zu publizieren, dass sie der Allgemeinheit in vollem Umfang kostenfrei zugänglich sind. Hybride Zeitschriften, die nur zum Teil Open-Access-Beiträge enthalten, werden daher ebenfalls als Übergangsphänomen betrachtet. Hinter der DEAL-Strategie steht das Ideal einer "Open Science", in der alle Inhalte sichtbar sind und alle Prozesse und Geldflüsse transparent sind.

Ob "full" Open Access die alleinseligmachende Lösung ist, war aber in Berlin auch umstritten. Jürgen Hogrefe, Verleger des Hogrefe Verlags in Göttingen, verteidigte das Modell hybride Zeitschrift. Deren Open-Access-Beiträge seien nicht weniger "Open Access" als in einer ausschließlichen OA-Zeitschrift. Dies gelte umso mehr, als Forschungsbeiträge ohnehin auf Artikelebene wahrgenommen würden. Hogrefes Einwand berührt die Frage nach dem Veröffentlichungsrecht des Urhebers. Jeder Autor kann selbst bestimmen, wie und wo seine Artikel publiziert werden sollen. Es darf nicht irgendein Zwang auf ihn ausgeübt werden, sich einem bestimmten Publikationsmodell oder einem Publikationsort zu unterwerfen.

Auf diesen Punkt zielte auch eine Frage von Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang. Welchen Beitrag leisteten die DEAL-Verträge für die verlegerische Vielfalt, wenn Autoren nicht die Wahl hätten, anderswo genauso kostenfrei und unaufwändig Open Access zu publizieren. Horst Hippler wies das zurück und sagte, die Publikationsfreiheit werde durch die "Deals" nicht beschnitten. Jeder Autor habe die Wahl, wo er seine Beiträge publiziert.

Strukturell besteht allerdings das Problem – darauf ging Hippler naturgemäß nicht ein -, dass Autoren und Herausgeber ein Interesse daran haben, in den Programmen der DEAL-Partnerverlage vertreten zu sein, um sich so die größtmögliche Verbreitung für ihre Beiträge zu sichern. Viele Bibliotheken könnten dazu übergehen, sich aus Kostengründen auf die großen Verlage zu fokussieren und die kleineren und mittleren außen vor zu lassen. Andererseits verbindet die Wissenschaftsallianz mit dem DEAL-Projekt auch das Ziel, die Kosten für wissenschaftliche Zeitschriften zu senken. Ob die Rechnung aufgeht, wird sich erst noch zeigen.

"Ein sehr komplexer Change-Management-Prozess"

Tatsache ist, dass sich die Publikationslandschaft verändert, wie auch Guido F. Herrmanns Vortrag deutlich machte. Wiley hat nicht nur in Deutschland einen Transformationsvertrag abgeschlossen, sondern auch in den Niederlanden, in Österreich, in Ungarn und jüngst in Schweden. Hierzulande haben nun 705 wissenschaftliche Institutionen, darunter die Wissenschaftsbibliotheken, die Möglichkeit, Zugänge zu allen Artikeln aus den 1.600 Wiley-Journals rückwirkend bis 1997 einzurichten – unabhängig davon, ob sie in einer Abonnements-, einer Hybrid- oder einer reinen Open-Access-Zeitschrift erschienen sind.

Um den "sehr komplexen Change-Management-Prozess" zu bewältigen, treibt Wiley einen großen Aufwand. So gibt es Campus-Tage an Universitäten, im Dezember beispielsweise in Freiburg, bei denen Wissenschaftler, Herausgeber und Bibliothekare anhand von Trainings-Materialien über das künftige Prozedere informiert werden. Unterstützt wird Wiley zudem von den Partnergesellschaften, so etwa von der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG), die ein Symposium zum Thema DEAL veranstaltet hat. Mit rund 62.000 Mitgliedern ist die DPG die größte physikalische Fachgesellschaft der Welt.

Insgesamt, so Herrmann, sei das Echo auf den DEAL-Vertrag „überwältigend positiv“. Die Nutzung der Journal-Inhalte von Wiley sei 2019 um 25 Prozent gestiegen.

Dagmar Laging, für die der Transformationsprozess bei Springer Nature erst begonnen hat, sieht den Verlag vor einer nicht minder komplexen Ausgangslage. "Es wird keine Lösung geben, die auf alles passt", so Laging. Springer Nature habe es mit 209 globalen Konsortien zu tun, und es gebe weltweit schon etwa 25 große Transformationsvereinbarungen, vor allem in Europa. Der Deal in Deutschland, das weltweit fünf Prozent aller Forschungsartikel produziert, habe einen nicht unerheblichen Einfluss auf die gesamte Entwicklung des akademischen Publizierens. Nach entsprechenden Vereinbarungen in anderen Ländern sei der Anteil reiner Open-Access-Publikationen (sogenannter Gold Open Access) stark gewachsen – beispielsweise in Großbritannien auf 77 Prozent und in Schweden auf 90 Prozent.

Einen weiteren Schritt in Richtung Open Access könnte Springer Nature demnächst tun: Man wolle auch für die bisher vom DEAL-Vertrag ausgenommenen "Nature"-Titel (mehr als 40 verschiedene) Open-Access-Optionen prüfen, so Laging.