"American Psycho" von Bret Easton Ellis

Irre Tour de Force eines Yuppies

6. Dezember 2019
Redaktion Börsenblatt
Ein Fortsetzungsabdruck im Börsenblatt, der Sie inspirieren könnte: Wie wäre es mit einem Skandal-Bücher-Tisch in Ihrer Buchhandlung? Clemens Ottawa hat die öffentlichen Diskussionen von 61 "Skandalbüchern" nachgezeichnet, zehn daraus lesen Sie hier!

»Snuff this book!«, also »Würgt dieses Buch ab!«, forderte Roger Rosenblatt, im New York Times Book Review, und das, noch bevor der Roman überhaupt erschienen war. Bret Easton-Ellis’ (1964) dritter Roman, nach Less than Zero (1985) und The Rules of Attraction (1987), hatte ihn gemeinsam mit Jay McInerney, Tama Janowitz, Mark Lindquist und Jill Eisenstadt zu einem wichtigen Bestandteil der losen Gruppe junger US-amerikanischer Autoren und Autorinnen der 80er Jahre gemacht, die als »Brat Pack« (frei übersetzt etwa: ein Rudel voll Gören) bekannt wurde.

Nur verhältnismäßig kurz durfte American Psycho am deutschsprachigen Markt nicht erscheinen – jedenfalls verglichen mit anderen literarischen Klassikern, die zunächst verboten waren oder zurückgehalten wurden. 1991 erschien das Buch in den USA und wurde prompt zu einem Skandal. Die detaillierte, manchmal auch ästhetisierte Schilderung von Sex, Gewalt, Folter und Sadomasochismus, die teilweise grausam beschriebenen Morde durch den jungen Wallstreet-Yuppie Patrick Bateman, der die Hauptfigur in dieser Gesellschaftssatire ist, waren vielen ein Dorn im Auge. Die National Organization of Women ging schon kurz nach dem Vorabdruck im Time-Magazine auf die Barrikaden. Die im Buch explizit beschriebene Gewalt gegen Frauen ging der Organisation definitiv zu weit. Es wurde eine Hotline eingerichtet, auf der Frauen anrufen konnten, die sich von American Psycho-Textstellen verletzt fühlten.

Dennoch konnten die Gegner des Buches kein bundesweites Verbot erwirken, aber einige Zeitungskritiken ließen schon vermuten, wie zwiegespalten die Öffentlichkeit in den Staaten war. Rosenblatts Aufruf zur Vernichtung hatten wir ja schon am Beginn dieses Kapitels.

»Ein verächtliches Stück Pornografie, das literarische Äquivalent eines Snuff-Films. (...) American Psycho ist ein abscheuliches Buch (...) ein schmutziges Buch von einem schmutzigen Schriftsteller. (...) Als jemand, der dies aus Pflicht gelesen hat und der sich durch die Erfahrung gründlich beschmutzt fühlt, kann ich nur beten, dass sich alle anderen freiwillig weigern«, schrieb Jonathan Yardley in der Washington Post.

Ganz anders sah es Fay Weldon vom Guardian: »Dieser Bret Easton Ellis ist ein sehr, sehr guter Schriftsteller. (...) American Psycho ist ein wunderschön kontrollierter, vorsichtiger und wichtiger Roman, der die dunklen Seiten in jedem von uns beleuchtet. Brillant.«

Als es um die Veröffentlichung der deutschen Version ging, sprang Ellis’ bisheriger Hausverlag, Rowohlt, ab, offiziell, weil ihm das Buch nicht gefiel. Ob das die wahren Beweggründe waren, bleibt dahingestellt. 1995 kam der Roman schließlich bei Kiepenheuer & Witsch in deutscher Übersetzung heraus und verkaufte sich gut, bevor die Bundesprüfstelle aktiv wurde. Man gab zwei Gutachten bei Experten in Auftrag, die die Jugendgefährdung dieses Buches bestätigen sollten, was sie allerdings nicht taten. Die beiden Experten distanzierten sich von einer möglichen Indizierung, dennoch wurde das Buch durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, die sich über das Ergebnis der Gutachten erhob, indiziert. In der Stellungnahme der Behörde hieß es etwa: »Die Einzelheiten blutgierender Gewalt, die dem Leser vermittelt werden, sind zwar manchmal erstaunlich, aber übersteigen nicht jedwede Vorstellungskraft, und immerhin will Ellis zu diesem Teil seines Romans reihenweise Akten von Serienkillern studiert haben, so daß der akribischen Schilderung von Verstümmelung und Mord Realitätsnähe beigemessen werden darf.« Der Verlag klagte gegen die Indizierung, bekam recht und immerhin doch sechs Jahre nach dem Verbot hob das Oberverwaltungsgericht für Nordrhein-Westfalen dieses auf. American Psycho durfte nun wieder erscheinen.

Doch nun zum Plot, der die Gemüter dermaßen erhitzte: Der Endzwanziger Patrick Bateman ist ein junger, erfolgreicher Wallstreet-Yuppie zu Zeiten der 80er Jahre. Er kommt aus reichem Haus, absolvierte die Harvard Business School. Er bewohnt ein Luxus-Appartement, trägt nur die angesagteste Kleidung, geht gerne in Szenelokale, konsumiert allerlei Designerdogen und sieht sich gern abartige Pornofilme an, die er sich auf Video ausborgt. In seinem riesigen Büro sitzend, überkommt ihn zunehmend Leere. Er ist weder fähig, eine normale Beziehung zu führen, noch, wirkliche Gefühle für irgendjemanden zu entwickeln, und so kompensiert er diese Leere mit nächtlichen Sexorgien und Gewaltexzessen, die schließlich regelmäßig in brutalen Morden bis hin zum Kannibalismus enden. Bateman nennt sich selbst einen »fucking evil psychopath«.

Immer mehr verliert er den Bezug zur Realität. Als er am Ende im Appartement eines Arbeitskollegen ein Blutbad anrichtet, das er nicht mehr verheimlichen kann, wie er glaubt, verständigt er seinen Anwalt und beichtet alles, mit dem Ergebnis, dass dieser an einen schlechten Scherz glaubt und Bateman noch dazu mit einem anderen verwechselt. Dies verdeutlicht noch einmal drastisch die Oberflächlichkeit der Schickeria-Gesellschaft.

Easton Ellis bedient sich in dem postmodernen Roman, der in Ich-Form geschrieben ist, einer Sprache, die sehr filmisch ist. Alles ist sehr technisch, die Beschreibungen von Menschen, Räumen und Gegenständen ist vollkommen oberflächlich und soll den Eindruck, dass Bateman einfach alles egal ist, noch verdeutlichen. Viele Protagonisten werden gar nicht beim Namen genannt, sondern nur mit den Firmen oder Designermarken, in denen sie arbeiten oder die sie tragen, definiert. Einzig bei Musik scheint Bateman aufzublühen. Er spricht gerne mit anderen, die aber nie sein profundes Wissen teilen können, über Bands und Solokünstler. Am Ende die Worte: »This is not an exit!« (Das ist kein Notausgang) – es gibt keinen Weg mehr aus dieser oberflächlichen, ausgehöhlten Welt.

Die Vorwürfe gegen das Buch waren vor allem gegen die exzessiven Gewaltbeschreibungen gerichtet, aber auch jener der Pornografie wurde erhoben. Fast am schwersten wog aber American der Vorwurf der Frauenfeindlichkeit. Darüber schrieb auch Irvine Welsh (siehe nächstes Kapitel) in einem Zeitungsartikel, in dem eine Freundin sagte: »Wenn du als Frau Gewalt und Misogynie durch das Patriarchat ausgesetzt bist, dann ist dieses Buch wohl die falsche Kritik daran, genauso, wie der Kapitalismus nicht damit kritisiert wird, dass man die Misshandlung von Frauen als Metapher verwendet.« Welsh antwortete damals, dass der Roman eben eine »breite Diskussion der Grenzen von Fiktion« zuließe. Die schon zitierte Fay Weldon schrieb zu den Vorwürfen der Feministinnen zudem: »Feministinnen – und ich bin auch eine – betrachten Ellis’ Buch als frauenfeindlich. Und so ist es. So ist die Welt, zunehmend.«

Dessen ungeachtet, wurde Easton Ellis mittlerweile als neuer Shooting-Star der US-Literaturszene gefeiert, einer, der sowohl literarischen Wert, als auch die Kontroverse beherrschte.

Im Jahre 2000 wagte sich die Filmemacherin Mary Harron an die Verfilmung des Stoffs heran. Die Rolle des Patrick Bateman spielte Christian Bale sehr überzeugend. Ein zweiter Teil, mit Mila Kunis als irre Tochter Batemans hat nichts mehr mit der literarischen Vorlage zu tun.

Literarisches Genre: Roman (1991)
Herkunftsland: USA

Dieser Text stammt aus dem Buch "Skandal. Die provokantesten Bücher der Literaturgeschichte! von Clemens Ottawa. 

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