"Angst vorm Fliegen" von Erica Jong

Eine Bibel der sexuellen Revolution

2. Dezember 2019
Redaktion Börsenblatt
Ein Fortsetzungsabdruck im Börsenblatt, der Sie inspirieren könnte: Wie wäre es mit einem Skandal-Bücher-Tisch in Ihrer Buchhandlung? Clemens Ottawa hat die öffentlichen Diskussionen von 61 "Skandalbüchern" nachgezeichnet, zehn daraus lesen Sie hier!

Der große John Updike setzte den Roman kurz nach seinem Erscheinen mit Philip Roths Portnoys Beschwerden gleich und zeigte sich begeistert, dass ein solches Buch von einer selbstbewussten jungen Frau stammte. Erica Jong, eine dreißigjährige Autorin, die zuvor gerade einmal zwei schmale, unbedeutende Gedichtbändchen veröffentlicht hatte, wurde über Nacht zum Weltstar. Dreißig Millionen verkaufte Exemplare, übersetzt in 43 Sprachen – die Superlative, die ihren Debüt-Skandalroman Angst vorm Fliegen betreffen, lassen sich lange weiterführen.

Diese ungezügelte Geschichte über sexuelle Befreiung und freie Liebe war seinerzeit ein handfester Skandal, zumal die Autorin andeutete, dass sich durchaus autobiografische Teile darin befanden. Die »Sexualsprache« des Romans war vollkommen neu für eine weibliche Autorin. Das Buch gilt heute als Schlüsselroman in der Geschichte der Frauenbewegung der 1960er und 1970er Jahre und zählt zu den weltweit bestverkauften Büchern seiner Zeit. Erica Jongs Debütroman ist heute ein Klassiker der US-amerikanischen Literatur.

Jong wurde 1942 als Tochter des Geschäftsführers Seymour Mann und der jüdischen Künstlerin Eda Minsky geboren. Der Vater war vermögend, die Mutter angesehen, Erica genoss die beste Ausbildung. Sie besuchte das Barbard College und danach die renommierte Columbia-University in New York. Früh begann sie mit dem Schreiben, wobei die zentralen Themen zu Beginn die Depressionen der Mutter, die sich stets als gescheiterte Existenz empfand, und ihre eigene jüdische Identität waren.

Aber widmen wir uns jetzt dem so skandalträchtigen Inhalt des Romans, der solch ein Weltbestseller wurde. Im Zentrum steht Isadora Wing, gutaussehend, blond, jüdisch – klar nach Vorbildern einer Mary Wollstonecraft und einer Virginia Woolf geschaffen –, verheiratet und sexuell alles andere als zufrieden in ihrer Ehe mit einem US-chinesischen Psychia ter, lernt während einer Psychiater-Konferenz in Wien (mit dem Flug nach Österreich beginnt das Buch – 117 Psychiater an Bord einer Maschine), der ihr erfolgreicher Ehemann beiwohnt, einen Mann kennen, den sie sofort anziehend findet. Sie beginnt eine heiße Affäre mit ihm und reist schließlich mit ihm quer durch Europa.

Sie haben hemmungslosen Sex, dennoch fühlen sie sich irgendwann schuldig. Isadora verlässt ihren Liebhaber und reflektiert die vergangenen Ereignisse. Ihre Conclusio führt sie am Ende zurück zu ihrem Ehemann, den Feminismus und ihre Befreiung aus ihrer Ehe kann die Protagonistin also nicht ganz zulassen. Jong behandelte hier gleich einige Tabuthemen, die Kritik schoss sich, wie so oft, auf die offensichtlichsten ein: Sex mit einem Wildfremden und ganz einfach, diese beschriebene, animalische Lust der Protagonistin wurde von manch kritischer Stimme als regelrechter Schlag gegen die gutbürgerlichen (Familien-)Werte empfunden.

Der im Buch genannte Begriff des »zipless fuck«, Synonym für Sex des Verlangens willen, fand Eintrag ins Wörterbuch. Jong schreibt in diesem Zusammenhang unter anderem, dass man für den ultimativen »zipless A-1 fuck«, den Mann, mit dem man Sex hat, nicht zu gut kennen sollte. Der republikanische Senator Jesse Helms sagte empört über das Buch, dass öffentliche Gelder dazu verwendet wurden – Jong erhielt für ihren Debütroman einen Verlagsvorschuss von 5000 US-Dollar –, etwas dermaßen »Schlüpfriges und Obszönes« zu veröffentlichen. Zahlreiche Demonstrationen fanden statt und das Buch wurde von der Staatsanwaltschaft nun »näher untersucht«, zu einem Verbot kam es allerdings nicht. Henry Miller zeigte sich begeistert von dem Roman und bezeichnete ihn als »legitimes Gegenstück« zu seinem Wendekreis des Krebses (siehe Kapitel, S. 89).

Die Öffentlichkeit fragte sich zudem alsbald, ob das, worüber Jong da schrieb, Fiktion oder Realität war. Wie viel Autobiografie steckt in Angst vorm Fliegen? Es gab durchaus triftige Gründe, warum man annahm, dass da die Autorin aus dem eigenen Nähkästchen plauderte. Im Buch hat Isadora eine Schwester, deren libanesischer Ehemann eines Tages zu ihr ins Bett steigt und um Fellatio bettelt. Brisant, denn Erica Jong hatte tatsächlich eine Schwester, die mit einem Libanesen verheiratet war. Die Schwester ging nach Erscheinen des Buches auf Distanz und äußerte sich öffentlich erst 2009, meinte dabei, ihrer berühmten Schwester niemals verzeihen zu können, Derartiges geschrieben zu haben.

Einige Stimmen warfen Erica Jong nach der ganzen Causa vor, eigentlich kein literarisches Talent zu besitzen, sondern einfach nur Reales literarisch zu verwursten, denn die Nachfolgebücher lasen sich alle mehr oder weniger gleich und besaßen ebenso mehr oder weniger autobiografische Details aus Jongs Leben. Sie erfand das Rad nicht mehr neu. 2015, über vierzig Jahre nach dem Skandal von einst, verfasste Jong ihren mittlerweile neunten Roman. Er war eine lose Fortsetzung ihres großen Erfolgsromans. Darin thematisierte die inzwischen 76-jährige Autorin ein weiteres Tabuthema, das auch titelgebend wurde: Angst vorm Sterben (OT: Fear of Dying).

Literarisches Genre: Roman (1973)
Herkunftsland: USA
Originaltitel: Fear of Flying

Dieser Text stammt aus dem Buch "Skandal. Die provokantesten Bücher der Literaturgeschichte! von Clemens Ottawa. 

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