Mein Lieblingsbuchhändler weiß nicht, dass er mein Lieblingsbuchhändler ist. Ich habe es ihm nie gesagt. Erstens bin ich ein bisschen schüchtern. Und zweitens hat er keine Ahnung, wer ich bin. Er kennt zwar meinen Namen, seit er den Büchertisch gemacht hat bei der ersten Lesung aus meinem ersten Roman in einem Abrisshaus in Zürich. Und er sagte damals auch, dass ihm gut gefallen habe, was er gehört hatte, auf diese leicht widerwillige, zerstreute Art und Weise, die Komplimente für mich besonders glaubwürdig macht.
Aber ich wette 100 Franken, dass er mich nicht erkennen würde, wenn ich jetzt zu ihm in den Laden ginge, unter den herrschaftlichen Rundbögen im Volkshaus am Zürcher Helvetiaplatz, wenige Meter neben der Steintafel, die an die Schweizer erinnert, die ihr Leben ließen in Diensten des republikanischen Spanien. Ich möchte betonen, dass es mir nichts ausmacht, von ihm nicht erkannt zu werden, vor allem seit ich weiß, dass ich nicht der einzige bin, den er manchmal nicht erkennt, nur am Anfang war es ein bisschen komisch, als ich die ersten vier, fünf Male dachte, seine freundliche, verbindliche Art gälte nur mir und nicht allen Menschen, die nach obskuren Büchern fragen und denen egal ist, wie lange es dauert, bis die dann da sind, und was es kostet, und dann fragte er mich zur Erfassung meiner Bestellung, wie ich heiße, ich zuckte zusammen, sagte meinen Namen und dann zuckte er.
Aber natürlich, Herr Helle, erwiderte er dann jedesmal ausgesprochen herzlich, und die ersten drei oder vier Mal hat er mich noch gefragt, ob ich mich rasiert hätte oder eine neue Frisur oder einen neuen Kleidungsstil. Ich habe mich dann eine Weile tatsächlich jedes Mal ein bisschen anders angezogen, wenn ich zu ihm in den Laden ging, oder wartete, bis mein Bart wieder länger war oder mein Haupthaar, und noch heute nehme ich manchmal extra meine Tochter mit, um ihn zu verwirren, aber die lässt sich nicht einspannen für so einen Blödsinn, die geht immer gleich in den Keller und setzt sich vor das Regal mit den Graphic Novels, den zauberhaft illustrierten Tierbüchern, mit dem Bildband über Sportfotografie.
An Tagen, an denen es mir wichtig ist, sofort von ihm erkannt und mit Namen angesprochen zu werden, bitte ich meine Frau, mich zu begleiten, sie erkennt er immer, und neben ihr dann auch mich, und dann stehen wir bei ihm an der Kasse und reden ein bisschen zu dritt, das Autorenpaar und der Buchhändler ihres Vertrauens, über Aglaja Veteranyi oder Natalia Ginzburg oder Robert Müller oder wieso das Ende das beste am neuen DeLillo ist, und es ist in diesen Momenten, wenn er mit seiner Brille die ganze Last seiner Branche und die Verantwortung für sein Unternehmen, seine Mitarbeiter, die Literatur und die Sprache für einen Augenblick ablegt, wenn sich seine gefurchte Stirn entspannt und er breit und gelöst lächelt durch seinen grauen Bart, dass ich denke, ich möchte ihm eigentlich gern einmal sagen, dass ich es wunderbar finde, was er tut und wie er es tut.
Irgendwann fällt uns dann nichts mehr ein, worüber wir reden könnten, also geht er zurück an den Computer, Julia geht zu den Poetiken und Feministinnen und ich stehe immer zuerst eine Weile still am Tisch mit den Empfehlungen, ohne wirklich etwas wahrzunehmen, streiche mit der Hand über den einen oder anderen Stoß, dann gehe ich plötzlich die Treppe hoch in die Galerie, zu den englischsprachigen Büchern, komme dann schnell wieder runter, hänge ein bisschen bei der Geistesphilosophie herum und lande am Ende wie immer bei der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur. Und dann sehe ich meine Bücher in seinem Regal, unter H, genau da, wo sie hingehören, und ich weiß, so lange die da stehen, ist mir egal, ob jemand sich an mein Gesicht erinnert.
Dann beginne ich nach einem Buch zu suchen, von dem ich später zu Julia sagen werde, dass ich deswegen heute hierhergekommen bin. Ich finde immer eins.
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