Die Begründung der Jury:
"Saša Stanišić ist ein so guter Erzähler, dass er sogar dem Erzählen misstraut. Unter jedem Satz dieses Romans wartet die unverfügbare Herkunft, die gleichzeitig der Antrieb des Erzählens ist. Verfügbar wird sie nur als Fragment, als Fiktion und als Spiel mit den Möglichkeiten der Geschichte. Der Autor adelt die Leser mit seiner großen Fantasie und entlässt sie aus den Konventionen der Chronologie, des Realismus und der formalen Eindeutigkeit. 'Das Zögern hat noch nie eine gute Geschichte erzählt', lässt er seine Ich-Figur sagen. Mit viel Witz setzt er den Narrativen der Geschichtsklitterer seine eigenen Geschichten entgegen. 'Herkunft' zeichnet das Bild einer Gegenwart, die sich immer wieder neu erzählt. Ein 'Selbstporträt mit Ahnen' wird so zum Roman eines Europas der Lebenswege."
Stanišić war in diesem Jahr zum dritten Mal (nach 2006 und 2014) in der Juryauswahl für die Long- bzw. Shortlist des Deutschen Buchpreises. Die Kameras fingen Stanišić freudig überraschte Reaktion ein, als Heinrich Riethmüller den Namen des Preisträgers verkündete. Die Gratulationen von links und rechts erwiderte Stanišić noch strahlend, doch während Börsenvereinsvorsteher Riethmüller die Jurybegründung verlas, war schon die Anspannung spürbar, die den Autor neben ihm auf der Bühne erfasste. Denn Stanišić nutzte die Aufmerksamkeit des Publikums und der Kameras für eine ernste Botschaft: Sichtlich um Fassung bemüht, kritisierte er die Verleihung des Literaturnobelpreises an Peter Handke, der die Fakten des bosnisch-serbischen Krieges leugne. „Ich hatte das Glück zu entkommen“, sagte Stanišić, „und ich feiere mit Olga Tokarczuk die Literatur, die alles versucht, und die uns Leser nicht für dumm verkaufen will, indem sie das Poetische in Lüge verkleidet – und zwar freiwillig“.
Stanišić bedankte sich herzlich bei der Jury und bei seinem Verlag, insbesondere seiner Lektorin Katja Saemann, und, da er selbst gesundheitlich nicht in Form war, rief dem Publikum zu: „Lassen Sie sich nicht anstecken – außer von guter verkäuflicher und unverkäuflicher Literatur!“
Der Jury für den Deutschen Buchpreis 2019 gehören an: Petra Hartlieb (Hartliebs Bücher, Wien), Hauke Hückstädt (Literaturhaus Frankfurt am Main), Björn Lauer (Hugendubel Frankfurt), Jörg Magenau (freier Literaturkritiker), Alf Mentzer (Hessischer Rundfunk), Daniela Strigl (Literaturwissenschaftlerin) und Margarete von Schwarzkopf (Autorin und Literaturkritikerin).