Debatte um „Stella“

"Überbietungswettstreit": Buchhändler nehmen Takis Würger in Schutz

27. Februar 2019
Redaktion Börsenblatt
Der Autor und Journalist Takis Würger soll in seinem Roman „Stella“ die jüdische Gestapo-Kollaborateurin Stella Goldschlag verunglimpft haben. Der Anwalt der Erben drohte mit Klage, Kritiker griffen Roman und Autor im Feuilleton scharf an. Nun mischen sich Buchhändler in die Debatte ein. Sie nehmen Takis Würger in Schutz. boersenblatt.net veröffentlicht den Brief im Wortlaut.

„Literaturkritik und Feuilletons urteilen bisweilen weit entfernt von der Meinung der Leserschaft und der BuchhändlerInnen, das ist nichts Neues. Daran haben wir uns gewöhnt und gehen täglich damit um. 
Der Furor aber, mit dem das Buch 'Stella' von Takis Würger kritisiert wird, erscheint uns vollkommen unangemessen.
(Demgegenüber bemerkenswert, dass die 'Jüdische Allgemeine' den Roman positiv rezensiert, ihn als ein 'kleines, großartiges Buch' bezeichnet.)

Takis Würger wird von vielen RezensentInnen in einem Atemzug mit Claas Relotius genannt, jenem Spiegel-Reporter, der mit krimineller Energie Reportagen erfunden hat. Auch die Debatte um Robert Menasses inkorrektes Zitieren wird hinein vermengt, manche lassen sich bei dieser Gelegenheit – und die Gelegenheit ist ungeeignet - auch an der Serie „Babylon Berlin“ aus.

Takis Würger erhebt mit seinem Buch überhaupt nicht den Anspruch, die Lebensgeschichte von Stella Goldschlag in all ihrer Tragik und Ambivalenz nachzuerzählen. Sein Buch ist ein Roman, ein von der Historie inspiriertes, rein literarisches Erzählen.
Die Frage, ob man so über die Nazi-Zeit schreiben darf, drängte sich in den vergangen Jahren auch bei zahlreichen anderen Romanen auf - von Bernhard Schlink 'Der Vorleser' über Martin Amis 'Interessengebiet' , von Jonathan Littell 'Die Wohlgesinnten' bis Timur Vermes 'Er ist wieder da' -
allesamt sehr unterschiedliche Bücher, nicht alle muss man mögen, aber sie alle stellen Fragen, treiben uns um, lassen uns nicht kalt, verlangen eine eigene Auseinandersetzung, und das ist doch das beste, was erzählende Literatur leisten kann.
Der entscheidende Unterschied zu früheren Debatten aber ist, dass die Kritiker für sich beanspruchen, die Lufthoheit darüber zu haben, wie über die Zeit des Nationalsozialismus geschrieben werden darf. Und dabei den Begriff des Erzählens umdeuten und die Freiheit des literarischen Schreibens einschränken. Dieser Umgang mit Literatur verbietet sich. Zugleich, so scheint es, befinden sich die KritikerInnen längst in einem Überbietungswettstreit, denn nur der noch schärfere, noch überzogenere Beitrag wird gelesen.

Insgesamt drängt sich uns der Eindruck auf, dass es den KritikerInnen weniger um den Roman geht, sondern vor allem darum, dem zunehmenden Bedeutungsverlust der Feuilletons zu begegnen, indem sie selbst künstlich Debatten initiieren, die eigentllich keine Grundlage haben.

Die Brandrodungskritiken zu 'Stella' sind so tiefgreifend und persönlich diskreditierend, dass daraus die Gefahr entsteht, dass sich die Generation der Nachgeborenen kaum mehr schreibend an die Themen Nationalsozialismus und Shoa herantrauen wird. Um diese Zeit und dieses Unrecht nicht vergessen zu machen, brauchen wir aber das Erzählen, auch und besonders das der Nachgeborenen. Wir stellen uns deshalb explizit an die Seite des Autors Takis Würger und des Hanser Verlages, werden den Roman 'Stella' weiterhin anbieten, empfehlen, Lesungen veranstalten und mit Leserinnen und Lesern darüber im Gespräch bleiben.

Einzig erfreulich an dieser Diskussion ist, dass all jene, die behaupten, das Buch habe als Leitmedium ausgedient, mit dieser Debatte das Gegenteil bewiesen bekommen.
Die Literatur vermag es nach wie vor, die Kulturgemeinde ins Gespräch zu bringen, Orientierungen zu hinterfragen, Positionen neu zu definieren.
Das ist gut so. Auch deshalb sind wir gern BuchhändlerInnen.“

Unterzeichnet:

  • Uscha Kloke & Joachim Arlt - Botnanger Buchladen - Stuttgart
  • Anna Rahm -  Mit Büchern unterwegs - Ravensburg
  • Christoph Schneckenaichner - Buchhändler - Stuttgart
  • Antonia Schulze Hackenesch -  Buchhandlung Beidek - Müllheim/Baden
  • Ragna Lüders & Thomas Bleitner - Buchhandlung Lüders- Hamburg
  • Michael Riethmüller -  Ravensbuch - Ravensburg
  • Martina Kraus - Ravensbuch - Friedrichshafen
  • Martina Vielsmaier - Bücherstube Vielsmeier - Gottmadingen
  • Sabine Schlag -   Buchhandlung Am Obertor - Radolfzell
  • Uli Ormanns - Agnes Buchhandlung - Köln
  • Jörg Braunsdorf - Tucholsky-Buchhandlung - Berlin
  • Josua Straß -  Buchhandlung Straß - Baden-Baden
  • Jutta Leimbert - Buchhandlung Vaternahm - Wiesbaden
  • Jürgen Rieger - Buchhandlung Rieger - Balingen
  • Birgit Närger & Helke Stadelmeier - Vaihinger Buchladen - Stuttgart
  • Rosemarie Lux - Buchhandlung Moritz und Lux - Bad Mergentheim
  • Jutta Schultz & Katja Rabus - Bücherlurch - Kornwestheim
  • Beate Hiller - Buch im Süden - Stuttgart
  • Claudia Haas - Buchsalon Ehrenfeld - Köln
  • Sabine Behn-Bartl - Ehinger Buchladen - Ehingen