Hier die Stellungnahme im Wortlaut:
Viele berichten, dass die Krise bei KNV „hausgemacht“ sei, dass sie eben nicht Ausdruck einer allgemeinen Krise der Buchbranche ist. Das stimmt. Auch zeigt sich der vorläufige Insolvenzverwalter, Tobias Wahl, zuversichtlich, die Unternehmensgruppe weiterführen zu können. Dennoch könnte diese Insolvenz eine allgemeine Krise der Buchbranche auslösen.
Schon jetzt zieht diese Insolvenz bedrohlich weite Kreise. Viele Buchhandlungen, die direkt an den Logistiker KNV und an das zugehörige Barsortiment angeschlossen sind, erleiden plötzlich Lieferengpässe, da viele Verlage die Belieferung von KNV aus Selbstschutz eingestellt haben. Dabei agiert KNV seit Jahrzehnten als eines der wichtigsten Bindeglieder zwischen mehreren tausend Verlagen und mehreren tausend Buchhandlungen und Buchverkaufsstellen. Die flächendeckende Über-Nacht-Belieferung von Buchhandlungen wird vor allem durch KNV und seine beiden Mitbewerber, Libri und Umbreit, garantiert. Nun jedoch schwinden die KNV-Lagerbestände, die nicht mehr aufgefüllt werden. Umbreit und Libri sind ihrerseits nicht in der Lage, die Aufgaben von KNV kurzfristig zu übernehmen.
Darum kann ein großer Teil der Buchhandlungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz eine immer größer werdende Menge an Titeln nicht mehr liefern. Wer sollte die Kundinnen und Kunden dieser Geschäfte davon abhalten, sich andernorts umzusehen?
Auch die Verlage sind betroffen. Einerseits werden die Bücher großer Unternehmen wie dtv, Piper oder Suhrkamp von KNV direkt an den Buchhandel vertrieben. Andererseits sind durch die Insolvenz die Forderungen vieler unabhängiger Verlage an KNV bedroht. Eine erste Umfrage im Freundeskreis der Kurt Wolff Stiftung hat gezeigt, dass KNV einigen Verlagen allein aus diesem Kreis schon jetzt Summen bis hin zu 100.000 Euro schuldet, die Gesamtsumme beläuft sich momentan bereits auf weit mehr als 1 Million Euro. Sollten diese Summen nicht bald ausbezahlt werden, droht einigen dieser Verlage ebenso die Insolvenz. Zumal nun zukünftige Bestellungen wegfallen, auch dieser Zahlungsausfall muss berücksichtigt werden.
Bei KNV sind über 1500 Arbeitsplätze in Gefahr, durch die Konsequenzen, die eine langanhaltende Insolvenz des Unternehmens mit sich brächte, wäre es schnell eine fünfstellige Zahl an Arbeitsplätzen — Verlage und Buchläden müssten Entlassungen vornehmen oder gleich schließen, der Schaden in der Buchbranche wäre immens.
Sicherlich kann man kritisieren, dass der Buchhandel vor allem durch die zunehmende Konzentrierung in der Buchbranche und durch übermäßigen ökonomischen Druck in diese Situation geraten ist — unabhängige Buchhandlungen und Verlage jedoch konnten und können diesem Branchentrend nichts entgegensetzen.
Genau diese unabhängigen Buchhandlungen und Verlage sorgen allerdings seit Jahrzehnten für die große Vielfalt des Buchmarktes, sie entdecken junge Talente, publizieren und verbreiten Ungewöhnliches, sind voller Enthusiasmus und Begeisterung und prüfen nicht immer zuerst die Gewinnerwartungen, wenn sie sich für ein Buch einsetzen.
Genau diese unabhängigen Buchhandlungen und Verlage geraten nun unverschuldet in Not, jetzt, da ein Branchenriese in die Knie geht. Daher ist es an den Länderregierungen und an der Bundesregierung zu handeln, es ist die Aufgabe der ganzen Gesellschaft, wenn ihr an ihrer Buchkultur etwas liegt.
Die Buchkultur prägt das kulturelle Selbstverständnis, trägt immer auch zur Selbstvergewisserung einer Gesellschaft bei. Den Buchhandlungen und Verlagen, die jetzt bedroht sind, verdankt das literarische Leben im deutschsprachigen Raum unendlich viel. Die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft dürfen nicht zulassen, dass ein Riese fällt und in seinem Sturz eine ganze Branche nachhaltig beschädigt. Schnelle, unbürokratisch geregelte finanzielle Hilfen für die Buchbranche sind daher nicht nur nötig, sondern auch dringend erforderlich.
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