Schweizer Zwischenbuchhändlerin

Verena Gyr ist tot

12. August 2024
Redaktion Börsenblatt

Am 31. Juli ist Verena Gyr im Alter von 95 Jahren an den Folgen eines Oberschenkelhalsbruchs gestorben, den sie sich auf dem Heimweg von der Arbeit zugezogen hat. Das teilte die Zürcher Firma Dessauer mit, deren ehemalige Inhaberin Gyr war. 

Verena Gyr

Verena Gyr

Verena Gyr wurde am 11. April 1929 als Drittes von vier Kindern des Kaufmanns Alfred Dessauer und von Betty Kütt in Nürnberg geboren. Alfred Dessauer gelingt nach den Novemberpogromen 1938 die Flucht in die Schweiz. Die Mutter bleibt mit den vier Kindern zurück. 1950 gründet der Vater in der Schweiz seine Firma, nach seinem Tod (1954) führen sie Verena, ihre Schwester Brigitte und Mutter Betty fort. Im Herbst 1958 wird Dessauer in den Schweizerischen Buchhändler- und Verlegerverband aufgenommen, aber die aufenthaltsrechtliche Situation ist weiterhin unsicher. Nach Intervention beim Bundesrat und Adoption durch den Journalisten Charles Philippe Gyr erhält Verena Gyr im November 1958 eine Aufenthaltsgenehmigung, übernimmt die alleinige Geschäftsführung der Firma Dessauer. 1968 schließlich bekommt sie das Bürgerrecht der Stadt Zürich und die Schweizer Staatsbürgerschaft. 1991 wird sie als erste Frau Präsidentin des Zürcher Buchhändler- und Verlegerverbands.

Verena Gyr habe die Firma Dessauer mit ihrer unermüdlichen Schaffenskraft und ihrem visionären Geist entscheidend geprägt und fühlte sich mit ihr bis zuletzt verbunden, heißt es im Nachruf des Unternehmens. Bereits als sehr junge Frau habe sie unternehmerische Verantwortung übernommen und war in vielen Bereichen eine Pionierin. Zu Beginn der Mobil-Telefonie stattete sie sich mit einem Autotelefon aus, um ihre Firma auch von unterwegs führen zu können. "Sie war meinungs- und willensstark, durchsetzungsfähig und scheute nicht vor Konflikten zurück. Sie war immer bereit, ihre Visionen und Ideen innerhalb und ausserhalb der Branche, auch gegen Widerstände, zu teilen und sie möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen." Sie habe gerne junge oder unerfahrene Unternehmer:innen mit ihrer Erfahrung und ihrem Wissen unterstützt. Dies führte sie auch in die ehrenamtliche Verbandsarbeit. Ihr Leben widmete sie weitgehend der Firma, ihre Intuition für Trends und Veränderungen hätten maßgeblich zum Erfolg von Dessauer beigetragen. Dabei habe sie immer eine herzliche und hilfsbereite Art behalten. Die Wertschätzung, die sie den Menschen entgegenbrachte, hätte viele auf deren Lebensweg beeinflusst.

Sie führte ab 1954 die Zusammenarbeit mit den Verlagen fort, die ihrem Vater Alfred Dessauer beim Neustart in der Schweiz halfen, darunter die Verlagsgruppe Bertelsmann (heute Penguin Random House), und wuchs mit ihnen über die Jahre zu einer der großen Schweizer Verlagsauslieferungen. Sie arbeitete bis 1995 mit Gräfe & Unzer zusammen, vertrat die wissenschaftlichen Verlage aus Wiesbaden (Gabler, Vieweg und Westdeutscher Verlag, heute Springer Science+Business Media) und erweiterte das Portfolio früh um mittelständische Verlage aus den Warengruppen Ratgeber, Sachbuch und Esoterik. Darüber hinaus baute sie die Goldmann Taschenbuchauslieferung nach der Schliessung der AZED AG auf und übernahm die Auslieferungen Freihofer AG sowie die Neue Bücher AG.

Bereits in den 90er Jahren verkaufte sie Non-Books in den Buchhandel ein: Sie erweiterte das Angebot z. B. um ätherische Öle von Primavera Life und die energetischen Essenzen von LichtWesen und so war es nur eine logische Konsequenz, auch den damals frisch gegründeten moses. Verlag in der Schweiz zu vertreten. 2002 erfolgt die Auslagerung der Buch-Logistik an das Schweizer Buchzentrum. Dessauer konzentriert sich auf den Vertrieb und behält in Zürich die Auslieferung für spirituelle NonBooks bei. Zwei Jahre später, 2004, übernimmt ihre Tochter Claudia die Firma.

Ihre Gedanken und Lebenserfahrungen aus ihrem langen Berufsleben hielt Verena Gyr ab 2016 bis 2020 in einem Blog fest. Die Inhalte sind für alle online zugänglich unter https://www.dessauer.ch/blog-verena-gyr .