Börsenblatt Young Excellence Award 2021

Sebastian Guggolz: Klassiker mit Horizont

18. Dezember 2020
Christina Busse

Sebastian Guggolz hat mit dem Gewinn einer Quizshow sein Verlagsprojekt angeschoben – heute behauptet sich der Guggolz-Verleger erfolgreich in der Nische. Sebastian Guggolz ist der erste Nominierte für den Börsenblatt Young Excellence Award 2021.

 

 

Es war einer dieser Zufälle, von denen man im Rückblick feststellt, dass sie das Leben in eine besondere Richtung gelenkt haben. „Bei einem privaten Abendessen lernte ich Andreas Rötzer kennen“, erinnert sich Sebastian Guggolz, damals 25 Jahre alt. Die Begeisterung des Geschäftsführers des unabhängigen Berliner Verlags Matthes & Seitz für sein Tun wirkte im Tischgespräch derart ansteckend, dass Guggolz schon zwei Tage später bei ihm als Praktikant anheuerte: „Ich hatte vom ersten Moment an Feuer gefangen.“

Es folgte ein Volontariat, das schließlich nahtlos in eine Festanstellung als Lektor überging. Nach sechs intensiven Lehrjahren bei Matthes & Seitz, die ihm Erfahrungen in allen Arbeitsbereichen des wachsenden Verlags boten, wagte Guggolz 2014 den Schritt, selbst ein Unternehmen zu gründen, den auf Literatur aus Ost- und Nordeuropa spezialisierten Guggolz Verlag. 31 literarische Schätze hat er seither (wieder-)entdeckt und auch ästhetisch herausragend publiziert. Seit 2016 heimst er dafür alljährlich Auszeichnungen ein, in den Jahren 2019 und 2020 den Deutschen Verlagspreis. Auch das Publikum weiß das Programm zu schätzen, der Verlag ist solide aufgestellt – was auch wieder ein klein wenig mit Zufall - oder Glück? -, vor allem aber mit Kreativität und Leidenschaft zu tun hat.

Verlag statt Promotion

Dabei hatte Guggolz ursprünglich ganz andere Pläne: „Eigentlich wollte ich Kunsthistoriker sein, bin nach Berlin gekommen, um zu promovieren“, erzählt der gebürtige Schwabe, der in Hamburg Kunstgeschichte, Germanistik und Volkskunde studiert und daneben in der Hamburger Kunsthalle in der Provenienzforschung und in einem Programmkino gearbeitet hat. In der Hauptstadt verdiente er sich seinen Lebensunterhalt als freier Lektor und Redakteur, bis das Zusammentreffen mit Rötzer ihn zu neuen Erfahrungen inspirierte.

„Nach den intensiven Jahren bei Matthes & Seitz hatte ich dann den Wunsch, mich in einer eigenen Nische wieder mehr auf einzelne Bücher zu fokussieren. Und weil mich Osteuropa und Skandinavien faszinieren, stand dieser Schwerpunkt schnell fest“, berichtet Guggolz. Während er von der alltäglichen Verlagsarbeit ziemlich genaue Vorstellungen gehabt habe, so Guggolz, habe er die finanzielle Herausforderung unterschätzt: „Ich hatte zwar einen ausführlichen Businessplan erstellt und vorab Gespräche mit Verlegern geführt, die zu mindestens 100.000 Euro Startkapital rieten, habe aber meinen Verlag deutlich unterfinanziert nur mit einem Bankkredit über 30.000 Euro und weiteren 10.000 Euro, die ich in der Familie zusammengekratzt hatte, gegründet.“

Geld und Kreativität

Das reichte für den Anfang, doch schnell war klar: „Es muss Geld kommen, sonst ist das Projekt schon bald wieder zu Ende.“ Als Lektor mit großem Vertrauen in sein breitangelegtes Wissen sah Guggolz eine reale Chance als Kandidat in einer Quizshow. Ein satter Gewinn sollte das Unternehmen retten. Drei Monate lang investierte Guggolz in Anrufe bei Bewerbungs-Hotlines, bis eine Zusage für die Teilnahme beim ZDF-„Quiz-Champion“ kam. Seine aberwitzig anmutende Rechnung ging tatsächlich auf: Als Sieger und mit einer Viertelmillion Euro mehr auf dem Konto ging er im September 2015 aus dem TV-Studio raus. „Das Geld habe ich in die Verlagsstruktur und das Programm investiert, ich konnte Lizenzen kaufen, Übersetzern einen Vorschuss zahlen und den Vertrieb nach Österreich und in die Schweiz ausbauen. Es hat mir Freiheiten ermöglicht und weitere schlaflose Nächte erspart“, fasst es Guggolz zusammen.

Aufgewachsen in einer Familie, „in der es nie Geld gab“ – mit seinen Eltern, Logopädin und Lehrer von Beruf, und vier Schwestern wurde er in einem ehemaligen Bauernhaus in einem 300 Seelen-Dorf am Bodensee groß – ist es für ihn ein Mittel zum Zweck. „Mich interessiert, was man damit gestalten kann, nicht der Besitz“, betont der 38-Jährige, der seinen Lebensunterhalt nach wie vor über seinen Nebenjob als Korrektor verdient, unter anderem für das Philosophie Magazin, woraus sich wiederum interessante Synergien für den eigenen Verlag ergeben. Dort verantwortet er in Personalunion die Verlagsleitung, Lektorat, Satz, Vertrieb und Pressearbeit. „Ich bin der Verlag“, stellt Guggolz fest. Dazu kommt ein kleiner „Unterstützerkreis“: Sein Partner, ein Drehbuchautor, mit dem er in Berlin-Schöneberg zusammen lebt, betreut die Social Media-Kanäle. Eine Freundin hilft auf Messen und beim Versand der Vorschauen. Auch die Gestaltung – „ein Aspekt, den ich besonders liebe“, so Guggolz – findet mit Profis aus dem privaten Netzwerk statt.

Die zwei bis drei neuen Titel pro Saison wählt er aus seiner persönlichen Leseliste aus: „Ich habe mich schon immer für diese Regionen und Literatur aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts interessiert, doch es gab und gibt große Lücken in der Verfügbarkeit. Diese will ich füllen und viele Leser dabei mitnehmen, denn aus diesen Klassikern kann man für die Gegenwart lernen“, beschreibt er, was ihn antreibt.

Ein Beispiel ist der Titel „Zwei Seelen“, 1917/1918 von Maxim Harezki inmitten der Wirren der russischen Revolution geschrieben. „Zur diesjährigen Wahl in Belarus wurde dieses „alte“ Buch als sehr erhellende Lektüre wahrgenommen, denn es liefert Einblicke in die Vorgeschichte und hilft, unsere Nachbarn besser zu verstehen“, erläutert Guggolz. Gerade ist er auf der Suche nach einem bulgarischen Autor. „Ich brauche das Entdecken und merke, wie mich weg von ausgetretenen Pfaden das Fieber packt“, beschreibt er seine Lust am Heben vergessener Werke. Diese stellt er mit großer Freude persönlich im Buchhandel vor. Der direkte Draht zum Sortiment ist ihm grundsätzlich ein großes Anliegen. Mit 15 Depotbuchhandlungen arbeitet er besonders eng zusammen. Im Gegenzug freut er sich, dass sein Erhalt des Deutschen Verlagspreises auch die Buchhändler darin bestätige, „auf das richtige Pferd gesetzt zu haben“.

Kultur gilt Guggolz als Lebensmittel. „Ohne Kino, Museum und Literatur würde ich eingehen“, sagt er. Um auch anderen diese Tür zu öffnen, engagiert sich in seiner Freizeit an der Spreewaldgrundschule in seinem Heimatkiez als Lesepate für Kinder aus Familien, die nach Deutschland geflüchtet sind. „Es ist großartig, ihre Entwicklung zu verfolgen“, nimmt Guggolz als bereichernden Eindruck aus der gemeinsamen Lesezeit mit.

Auf ein Wort:

Lockdown: „Die Leute suchen vermehrt nach Büchern mit Gewicht. Und wer seinen Blick von der Autobahn ab- und den Nebenwegen zuwendet, kommt schnell auf Guggolz-Titel. Aktuell lasse ich aus der Backlist bis 2014 nachdrucken.“

Quizkandidatur: „Ich dachte, ich könnte meinen Gewinn in der Literaturszene geheim halten. Aber die Sendung hatte fünf Millionen Zuschauer, sogar im Bus wurde ich erkannt und angesprochen und es gab viele Interviewanfragen – nur der Bild Zeitung habe ich abgesagt.“

Feierlaune: „Ich habe schon früher am Wochenende lieber Korrektur gelesen als Party zu machen. Für mich ist das keine Pflichtarbeit. Wenn ich einen Tag nicht lesen kann, werde ich unruhig. Auch den Jahreswechsel verbringe ich schon immer Corona-tauglich am liebsten lesend zuhause.“

Zur Person

Sebastian Guggolz, 1982 in der Nähe von Ravensburg geboren, studierte Kunstgeschichte, Germanistik und Volkskunde an der Uni Hamburg. Nach dem Magisterabschluss ging er im Jahr 2005 nach Berlin und begann seine Tätigkeit als freier Lektor, Redakteur und Korrektor bei Buch- und Zeitschriftenverlagen. 2007 startete er ein Volontariat im Verlag Matthes & Seitz, dem eine Anstellung als Lektor folgte. Im Anschluss gründete er 2014 den Guggolz Verlag mit Schwerpunkt Literatur aus Nord- und Osteuropa, der bereits mehrfach ausgezeichnet wurde. Sebastian Guggolz ist im Vorstand des Vereins der Freunde und Förderer des Literaturhauses Berlin e.V. und engagiert sich als ehrenamtlicher Lesepate an einer Grundschule.

Börsenblatt Young Excellence Award 2021

Bewerbungen und Nominierungen beim Börsenblatt Young Excellence Award 2021 sind noch möglich. Alle Informationen zum Preis der Börsenvereinsgruppe in Kooperation mit future!publish gibt es hier.

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