INTERVIEW DER WOCHE: Henning Lobin zum politischen Kampf um die deutsche Sprache

"Wir alle können schon einmal üben, uns nicht über den Genderstern aufzuregen"

27. April 2021
Torsten Casimir

Kaum etwas kann Menschen so in Rage bringen wie der Streit über die Sprache und ihren Gebrauch. Warum ist das so? Ein Interview mit dem Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim.

Warum wird die deutsche Sprache – zuletzt wieder verstärkt – zum Gegenstand und Mittel politischen Kampfes?
Sprache ist schon immer ein Mittel der politischen Auseinandersetzung gewesen - denken wir nur daran, wie man während der Flüchtlingskrise durch Wörter wie "Seenotrettung" oder "Shuttleservice" den jeweiligen Auffassungen einen ganz bestimmten Dreh verliehen hat. Die sprachpolitische Auseinandersetzung hat jedoch in Deutschland keine sehr lange Tradition. Vor allem der Streit um die Rechtschreibreform wurde in den 1990er Jahren auch politisch und juristisch ausgetragen. Die aktuelle Debatte um gendergerechte Sprache unterscheidet sich davon deutlich: Hier prallen grundlegende Überzeugungen zu sprachlicher Identität aufeinander, die kaum zu einer einvernehmlichen Lösung geführt werden können.

Eignet sich Sprache als ein Feld politischer Ersatzhandlungen? Nach der Devise: Wer tüchtig für das Gendern kämpft, muss sich um die sonstige Ungleichbehandlung von Frauen nicht mehr kümmern.
Sprachliche Gleichstellungsbemühungen wirken sich selbstverständlich nicht kausal auf andere Bereiche der Gleichstellung aus, etwa im beruflichen Bereich. Ist einem Gleichstellung ein Anliegen, dann kann die sprachliche Gleichstellung allenfalls ein Teil eines größeren Pakets sein. Allerdings wäre es auch nicht sehr überzeugend, wenn dieser Bereich völlig ausgeklammert bliebe. Die Konzeptualisierung von Sachverhalten, die wir in und mit der Sprache vornehmen, beeinflusst nämlich die Wahrnehmung der Welt. Zudem wird das sprachliche Verhalten oft als ein Indikator für die Einstellung zu einer Sache gewertet. Da kommt die Sprache also wieder schnell ins Spiel.

Ist Sprachpolitik ein spezifisches Merkmal der Neuen Rechten? (Man erlebt ja auch den Sprachkampf der LGBTQ-Bewegung(en), ebenso den eines neuen Feminismus, anti-rassistische Sprachpolitiken dringen vor bis in die Literatur-Lektorate der Verlage und wollen literarische Figurenrede säubern…)
Nein, definitiv nicht. Zweifellos werden in den verschiedenen Varianten linker Identitätspolitik auch sprachpolitische Ziele verfolgt; Entwicklungen, die etwa auf eine gendergerechte oder diskriminierungsfreie Sprache abzielen, waren es ja gerade, die die aktuelle Debatte in Gang gesetzt haben. Diese wird aber von ihren Kritikern oft so dargestellt, als ob wir es hier mit Umtrieben kleiner Gruppen ideologisch verblendeter Aktivisten zu tun haben, denen es gelingt, der wehrlosen Mehrheit der Bevölkerung ihren Willen aufzuzwingen. Eine solche Vorstellung zu vermitteln ist jedoch schon ein Teil des Sprachkampfs, denn statt solcher radikaler Gruppen handelt es sich heute vielmehr um Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft, denen solche sprachlichen Veränderungen ein wichtiges Anliegen sind und die sie dezentral und ungesteuert einbringen. Auf der Seite der Neuen Rechten, namentlich der AfD, ist die deutsche Sprache hingegen als ein Thema entdeckt worden, mit dem die eigene politische Agenda für politisch gemäßigte Wählerinnen und Wähler anschlussfähig gemacht wird. Dies lässt sich mit Blick auf das Grundsatzprogramm der AfD und ihre Anträge und Initiativen in den Landesparlamenten und im Bundestag belegen.

Sprachstreit wirkt oft stark emotional, leidenschaftlich, wütend. Woher kommt die Brisanz, der schrille Ton?
Ich denke, dass einem Menschen kaum etwas anderes außer dem eigenen Körper als so etwas Eigenes, Vertrautes und Intimes erscheint wie die Sprache. Wir sind kulturelle Wesen und leben in der Sprache wie Fische im Wasser. Solange alles unverändert bleibt, fällt uns das kaum auf. Haben wir aber den Eindruck, dass sich an unserer Sprache, unserem ureigensten Besitz, etwas ändert, was wir nicht wollen, nicht verstehen oder was unseren Sprachgebrauch entwertet, dann kann leidenschaftlicher und zuweilen wütender Widerstand freigesetzt werden. Und das ist auch ein ernstzunehmender Teil der gegenwärtigen Debatte um die deutsche Sprache.

Taugt Sprache als Erkennungszeichen? Für ein Wir-Gefühl, sei es ein nationales, eines von Peer Groups, oder als Ausweis eines mit anderen geteilten Lebensstils?
Wir sind sogar anthropologisch ganz und gar darauf trainiert, Sprache als Erkennungszeichen heranzuziehen! Denken Sie nur daran, wie genau wir dialektale Nuancen in der Sprache mit der Herkunft einer Person verbinden können. Das gilt auch für sprachliche Register und Soziolekte. Sprache wird in Gruppen zur Erzeugung und Bestätigung eines Wir-Gefühls herangezogen. Dies mit der Standardsprache auf der nationalen Ebene ins Zentrum der Identitätsbildung zu stellen, wie es die AfD versucht, überdehnt in meinen Augen allerdings diesen Mechanismus und lädt die deutsche Sprache mit einer Werthaltigkeit auf, die ihr nicht zukommt. Nicht in der Sprache selbst sind die "deutschen Werte" kodiert, wie es die AfD behauptet, sondern in den sprachlichen Werken, die mit ihr geschaffen wurden.

Sprache ist fast so etwas wie gelebte Demokratie: Jeder entscheidet durch sein persönliches Sprachverhalten mit über die Entwicklung der deutschen Sprache.

Henning Lobin

Sie beschäftigen sich in Ihrem neuen Buch (s. unten) auch mit dem Verein Deutsche Sprache, gegründet nicht etwa von einem Ihrer Kollegen, sondern von einem Wirtschaftsstatistiker. So wie Deutschland über rund 80 Millionen Fußballbundestrainer verfügt, scheinen sich im Lande ähnlich viele Linguisten ohne Lizenz zu tummeln. Wie kommt es, dass ausgerechnet die Sprache sich so gut für Laienbewegungen eignet?
Die Parallelität zum Fußball ist bestechend! Es gibt aber einen großen Unterschied: Während kaum einer der 80 Millionen Bundestrainer einen Trainerschein hat, sind die ca. 100 Millionen Muttersprachler des Deutschen tatsächlich alle Experten ihrer Sprache. Und das berechtigt jeden und jede Einzelne, sich auch dazu zu äußern. Für uns in der Sprachwissenschaft sind die Deutschsprecherinnen und -sprecher ja eine ganz wichtige "Datenquelle", und auch die Einstellungen und Meinungen zu sprachlichen Themen erheben wir im Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim regelmäßig. Für uns kommt es also darauf an, die professionelle Sprachbetrachtung mit der von Laien abzugleichen und bestenfalls zu kombinieren, denn Sprache ist fast so etwas wie gelebte Demokratie: Jeder entscheidet durch sein persönliches Sprachverhalten mit über die Entwicklung der deutschen Sprache.

Welche Rolle spielen Rechthaberei und Besserwisserei dabei?
Hoffentlich keine große! Allerdings ist in Vereinen wie dem VDS die Tendenz zu verzeichnen, irgendwann sämtliche Differenzierung und Abwägung aufzugeben. Dem ist dann nur noch schwer mit wissenschaftlichen Argumenten beizukommen.

Wo Instrumentalisierung von Sprache im Spiel ist, kann Aufklärung helfen. Haben Sie Aufklärungsstrategien? Kann man lernen, Sprachpolitiken zu erkennen? Kann man sich gegen manipulative Sprachpolitik impfen lassen?
Mein Rezept lautet Differenziertheit dem Gegenstand Sprache gegenüber, Erklärungen auch da, wo man eingefahrenen Meinungen begegnet, und Austausch im Gespräch, wo sonst die Positionen nur aufeinanderprallen. Im politischen Raum sollte man davon ausgehen, dass dort Äußerungen zur Sprache niemals nur Äußerungen zur Sprache sind, sondern immer darüber hinausweisen – das jüngste Beispiel dazu sind die Bemerkungen von Friedrich Merz, der sich vehement gegen das Gendern ausspricht und sogar ein Verbot ins Spiel bringt. Wenn man sich das vergegenwärtigt, kann man versuchen herauszufinden, worum es eigentlich geht. Der Impfstoff gegen manipulative Sprachpolitik kann allerdings nur Toleranz sein, denn so wie in unserer Gesellschaft insgesamt so werden wir auch in der Sprache weiterhin mit Vielfalt konfrontiert sein. All das, worüber heute gestritten wird, wird ja nicht einfach per Dekret entschieden, die verschiedenen Auffassungen bleiben. Wir alle können also schon einmal üben, uns nicht über den Genderstern aufzuregen, auch wenn wir dessen Verwendung selbst nicht für richtig halten.

BUCHTIPP

Von Henning Lobin ist im März im Duden-Verlag das Buch „Sprachkampf: Wie die Neue Rechte die deutsche Sprache instrumentalisiert“ erschienen. 192 Seiten, ISBN: 978-3-411-74004-8, Reihe: Duden-Sachbuch, 15 Euro.

Der Autor ist Linguist und Wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim.

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