Das Bundesjustizministerium hat bis heute keinen Referentenentwurf für das Erste Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes vorgelegt, in dem es auch um die Beteiligung der Verlage an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften geht. Weshalb verzögert sich das Verfahren so?
Für mich gibt es keinen nachvollziehbaren Grund. Die EU-Richtlinie wurde im Frühjahr 2019 verabschiedet und soll innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden. Nachdem im Januar 2020 ein Diskussionsentwurf zum ersten Teil des Gesetzes vorgelegt worden war, hofften wir auf einen Referentenentwurf und die rasche Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht. Stattdessen hat Ministerin Lambrecht jetzt einen weiteren Diskussionsentwurf zum zweiten Teil des Gesetzes vorgelegt, in dem unter anderem die Plattformen in die Verantwortung genommen werden sollen für die hochgeladenen Inhalte, für die sie Lizenzen mit den Rechteinhabern abschließen sollen. Statt gleich einen Referentenentwurf vorzustellen, hat sich das Ministerium bei beiden Gesetzen für dieses vorgeschaltete Verfahren entschieden, das viel Zeit kostet.
Meinen Sie, das Ministerium spielt auf Zeit?
Ich befürchte, dass das Ministerium beide Diskussionspapiere in einen Referentenentwurf packen will und damit die Grundsatzdebatte um Artikel 17 der EU-Urheberrechts-Richtlinie wieder neu entfacht wird – was den Prozess der Umsetzung in nationales Recht verlangsamen könnte. Für die Verlage dagegen ist es ein wichtiges Anliegen, dass die strittigen Fragen schnell geklärt werden und sich Parlament und Länderkammer noch in diesem Jahr mit dem Gesetzentwurf zur Verlegerbeteiligung befassen.
Was gab den Ausschlag für den Brief der 100 Verlage?
Es war an der Zeit, die Politik an ihre Zusicherungen zu erinnern, die sie den Verlagen auf verschiedenen Ebenen gegeben hat. Und gerade in einem Jahr wie diesem, in dem die Corona-Krise die Umsätze der Verlage schmälert, spürt man den jahrelangen Wegfall der VG-WORT-Beteiligung doppelt hart. Deshalb habe ich einige Kollegen anderer Verlagshäuser angeschrieben und so innerhalb von fünf Tagen 100 Verlage aus allen Sparten mobilisiert, die den Brief unterschrieben haben.
Was erwarten Sie von der Ministerin?
Dass sie dazu beiträgt, den ersten Teil der Urheberrechtsnovelle, der die Beteiligungslösung regelt, jetzt zügig umzusetzen.
Haben Sie schon eine Reaktion aus Berlin erhalten?
Ich gehe davon aus, dass die Ministerin sich mit unserem Brief befasst, und ich dann hoffentlich zeitnah vom Ministerium hören werde. Inzwischen melden sich immer noch weitere Verlage, die unser Anliegen ebenfalls aktiv unterstützen möchten.
Nadja Kneissler ist Verlagsleiterin Buch bei Delius Klasing und Vorsitzende des Verleger-Ausschusses des Börsenvereins.