Messetagebuch V

"Zwischen den Buchmessen 2019 und 2020 scheinen Jahrzehnte zu liegen"

19. Oktober 2020
Redaktion Börsenblatt

Kampa-Verleger Daniel Kampa wollte nach Frankfurt, musste dann aber in Zürich bleiben - und hat das Messefeeling arg vermisst. Zu gern hätte er diesmal beim Schlussgong am Sonntag dem Buchhandel und dem Messeteam applaudiert. 

Eigentlich wollte ich letzten Montag nach Frankfurt fahren, wenn auch, anders als die Jahre zuvor, nicht für eine Woche, sondern nur für ein, zwei Nächte, um an der Eröffnungsfeier teilzunehmen. Und vielleicht auch, um mitzuerleben, wie sich diese so sonderbare Buchmesse 2020 vor Ort anfühlt.

Doch dann kam die Meldung, dass auch die Eröffnung nur digital stattfinden werde, die Fallzahlen in Zürich stiegen derart rasant an, dass Zürich auf der roten Liste in Deutschland zu landen drohte (was dann auch passierte) – und ich bin in Zürich geblieben. Ganz ungestört konnte ich dem Livestream der Eröffnungsfeier nicht folgen, denn meine dreijährige Tochter wollte lieber eine Folge Peppa Wutz schauen, als Frau Grütters zuzuhören. Homeoffice hat auch Nachteile. 

Statt in Frankfurt zu sein, hatte ich Telefon- und Zoom-Termine. Der schönste war mit Herrn Borg von der Buchhandlung Ulenspiegel in Fulda, der mich eingeladen hatte, meinen Verlag vorzustellen. 

"Nach der Jagd trifft man sich am Lagerfeuer"

Die Buchmesse bedeutet jedem etwas anderes. Für Programmmacher ist sie der Höhepunkt der Jagdsaison, es geht um die Jagd nach neuen Autoren, neuen Geschichten. Das hört sich spannend an, heißt aber vor allem: endlos viele Termine im Halbstundentakt im Agents Centre und nächtliches Lesen im Hotelzimmer. Dafür muss man nicht unbedingt in Frankfurt sein. Und doch: Nach der Jagd trifft man sich am Lagerfeuer, noch Tage später erinnert der Geruch der Kleidung an die Zusammenkunft. Einiges mögen Computer und Handy ersetzen, aber persönliche Treffen wirken einfach länger nach.

Die Messe lebt genau davon, auch von den zufälligen Begegnungen irgendwo auf dem Messegelände, in einem Restaurant, einer Bar, einem Hotel. All das lässt sich nicht ins Digitale verlagern.

"Es ist jammerschade, dass der Hessische Hof ein Opfer der Coronakrise wird"

Als mich die Hiobsbotschaft von der Schließung des Hessischen Hofs erreichte, habe ich mich daran erinnert, dass meine Messewoche viele Jahre lang dort begonnen hat: Beim Frühstück mit Carol Janeway vom Knopf Verlag, am Montag vor Messebeginn, Punkt acht Uhr morgens, ging es immer erst einmal um Klatsch und Tratsch aus der deutschsprachigen Verlagswelt, ehe sie sich mit Geschichten aus New York revanchierte. Auch mein letzter Messetermin am Sonntagvormittag fand jahrelang im Hessischen Hof statt, bei einer Bloody Mary (später einer Virgin Mary) mit der Londoner Agentin Tanja Howarth, die unzählige deutschsprachige Bücher nach England vermittelt hat und bei der ich – lang, lang ist’s her – mein allererstes Praktikum gemacht habe. Wie vielen legendären, inzwischen längst verstorbenen Menschen hat sie mich im Hessischen Hof vorgestellt: Rainer Heumann von der Agentur Mohrbooks, Peter Mayer, damals CEO von Penguin, oder Inge Feltrinelli. Es ist jammerschade, dass dieser geschichtsträchtige Ort ein Opfer der Coronakrise wird. 

"Wie gern hätten wir gerade in diesem Jahr auf der Messe applaudiert"

Die Frankfurter Buchmesse 2019 bleibt für mich und meine Mitarbeiterinnen unvergesslich – als ein einziger Glücksrausch. Es gab den Verlag gerade mal zwei Jahre, wir waren das erste Mal mit einem eigenen Stand vertreten, und wenige Tage vor Messebeginn wurde eine meiner Autorinnen mit dem Literaturnobelpreis geehrt. Noch dazu war Olga Tokarczuk gerade in Deutschland auf Lesereise, und wir hatten sie zur Frankfurter Buchmesse eingeladen. Es war eine verrückte Woche, und sie endete im Hessischen Hof mit einem Abendessen zu Ehren der Nobelpreisträgerin. Der Barkeeper kreierte eigens für diesen Anlass einen Olga-Drink. Schon damals war uns klar, dass künftige Messen kaum an diese heranreichen würden. Aber dass 2020 so anders werden würde, haben wir nicht erwartet, hat wohl niemand erwartet. Jahrzehnte scheinen zwischen diesen beiden Messen zu liegen.

Eine der schönsten Traditionen ist für mich die Art und Weise, wie die Messe alljährlich zu Ende geht: Wenn am Sonntagabend um 18 Uhr der Schlussgong erklingt, beginnen alle Verlagsmitarbeiter an den Ständen zu klatschen.  

Wie gern hätten wir gerade in diesem Jahr auf der Messe applaudiert: für einmal in diesen Coronazeiten nicht den Ärzten und dem Pflegepersonal, sondern den Buchhändlerinnen und Buchhändlern, die in den Monaten des Lockdowns Unglaubliches geleistet und tatkräftig und ideenreich weiterhin Bücher verkauft haben. Und dem Team der Buchmesse, das nicht aufgegeben hat, sondern die Messe auch im Netz zum Treffpunkt der Branche und zu einem Medienereignis gemacht hat. Trotzdem hoffe ich natürlich, wie so viele, dass es nächstes Jahr wieder echten Applaus in den Hallen gibt!

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