Studienergebnisse veröffentlicht

Wie sich das E-Lending in öffentlichen Bibliotheken auf den Buchmarkt auswirkt

5. September 2024
Redaktion Börsenblatt

Welche Wirkung hat das E-Lending in öffentlichen Bibliotheken auf den Publikumsmarkt? Das hat eine von Kulturstaatsministerin Claudia Roth in Auftrag gegebene Studie untersucht. Die Ergebnisse wurden heute veröffentlicht.

Seit Jahren wird das E-Lending in öffentlichen Bibliotheken diskutiert. Autor:innen, Übersetzer:innen und Verlage sehen ihre wirtschaftliche Grundlage, eine angemessene Vergütung gefährdet, Bibliotheken wollen ihrem Kultur- und Bildungsauftrag nachkommen. 

Die Studie "Die wirtschaftlichen Auswirkungen des E-Lending in öffentlichen Bibliotheken auf den Publikumsmarkt", die von Kulturstaatsministerin Claudia Roth in Auftrag gegeben wurde, zeigt nun erstmals auf, wie sich die Ausleihe von E-Books in öffentlichen Bibliotheken auf den Buchmarkt auswirkt. Sie gibt Aufschluss über die Nutzungsintensität von E-Books sowie die Soziodemografie und das Kaufverhalten von Bibliotheksnutzenden. 

"Wir haben uns im Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt, faire Rahmenbedingungen für das E-Lending zu schaffen", sagt Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Bibliotheken seien wichtige Orte für Bürger:innen, zu denen ein noch besserer digitaler Zugang ermöglicht werden soll.

"Dabei müssen wir aber die soziale Lage der Kreativen im Blick behalten und eine angemessene Vergütung für Autoren- und Übersetzungsleistungen sowie die Verlagsarbeit gewährleisten", so Roth weiter. "Mit der E-Lending-Studie haben wir nun erstmals eine wissenschaftlich fundierte Basis, um gemeinsam mit den unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren der Branche Lösungsansätze für das E-Lending zu erarbeiten.“

Mit der E-Lending-Studie haben wir nun erstmals eine wissenschaftlich fundierte Basis, um gemeinsam mit den unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren der Branche Lösungsansätze für das E-Lending zu erarbeiten.

Claudia Roth

Nina George für das Netzwerk Autorenrechte, Lena Falkenhagen vom Verband deutscher Schriftsteller:innen und Ingo Herzke für den Verband deutschsprachiger Übersetzer:innen danken Claudia Roth und machen in ihrem Statement darauf aufmerksam, dass Autor:innen und Übersetzer:innen "als Quellen der gesamten Buchwertschöpfungskette maßgeblich von den wirtschaftlichen Auswirkungen und Umsatzverlusten der steigenden elektronischen Leihe durch Öffentliche Bibliotheken betroffen sind."

Man sei zuversichtlich, dass sich auf Basis der Studie nun Lösungsansätze finden, die Bund und Länder überzeugen würden, sich für nachhaltigere Lizenzmodelle einzusetzen, "die die Lage der Urheber:innen verbessern und zugleich den Interessen der lesenden Öffentlichkeit dienen". 

Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, begrüßt es, dass nun belastbare Zahlen zu den Auswirkungen des E-Lending auf den Buchmarkt vorliegen. "Die Ergebnisse der Studie bieten eine gute Grundlage, um faire Lizenzverträge auszuhandeln, die den Interessen der jeweils Beteiligten gerecht werden."

Für Volker Heller, Bundesvorsitzender des Deutschen Bibliotheksverbandes, gelte es nun zu schauen, wie sich die von der Studie bezifferten Unterschiede in der Nutzung von gedruckten Medien und E-Books in neuen Lizenzmodellen widerspiegeln könnten. 


"Denn klar ist, dass Autor:innen und Verlage fair vergütet werden müssen. Klar ist aber auch, dass Bibliotheken ihrem Kultur- und Bildungsauftrag ungehindert nachkommen müssen." Man sei zuversichtlich, dass nun kulturpolitische Rahmenbedingungen gefunden würden, "die sowohl die wirtschaftlichen Interessen der Verlage und Autor:innen berücksichtigen, als auch den kulturpolitischen Auftrag der Bibliotheken sichern". 

Als Quellen der gesamten Buchwertschöpfungskette sind wir maßgeblich von den wirtschaftlichen Auswirkungen und Umsatzverlusten der steigenden elektronischen Leihe durch Öffentliche Bibliotheken betroffen.

Nina George, Lena Falkenhagen, Ingo Herzke

Die Ergebnisse der E-Lending-Studie im Überblick

Frage 1: Gibt es einen Unterschied in der titelbezogenen Nutzungsintensität zwischen Exemplaren der Print-Leihe und der E-Leihe?

Die Studie kommt zunächst zu dem Ergebnis, dass die E-Leihe pro Exemplar deutlich intensiver genutzt wird als die Print-Leihe. Während Print-Bücher im Jahr der Veröffentlichung 5,8-mal pro Exemplar ausgeliehen werden, werden E-Books 14,1-mal ausgeliehen. Im zweiten und dritten Jahr verstärken sich die Unterschiede. Bereinigt um die unterschiedliche Leihdauer werden E-Books im Veröffentlichungsjahr 70 % öfter als Print-Bücher ausgeliehen. 

In der E-Leihe werden Bücher mit Windowing, einer Sperrfrist für die E-Leihe, nach Ablauf der Windowing-Frist intensiver genutzt als Bücher ohne Windowing. Das kann aber auch daran liegen, dass das Windowing für populärere Bücher angewandt wird.

 

Frage 2: Wie beeinflusst die E-Leihe den Kaufmarkt von E-Books und Print-Büchern? Was ist der Effekt von Windowing?

Die ökonometrische Analyse der Studie hat gezeigt, dass Windowing einen signifikanten, positiven Effekt auf die Verkaufszahlen und den Verkaufserlös im Publikumsmarkt hat - sowohl im E-Book. als auch im Print-Markt. Schätzungen zufolge steigert das Windowing den Verkaufserlös von E-Books um 9,9 % und von Print-Büchern um 3,5 %. Bei Bestsellern und in der Belletristik sind die Effekte besonders stark. 

 

Frage 3: Was sind die wirtschaftlichen Auswirkungen der E-Leihe bzw. des Windowing auf die Marktteilnehmenden?

Auf Basis der Ergebnisse aus Frage 1 und 2 wird geschätzt, dass eine Aufhebung des Windowing den E-Book-Umsatz in der aktuellen Situation (Stand 2022) um -4,6 % bis -9,2 %, bzw. -11,1 bis -22,5 Mio. Euro senken würde, während der Umsatz am umsatzstärkeren Printmarkt schätzungsweise um -0,7 % bis -3,5 % bzw. -27,0 bis -131,3 Mio. Euro sinken würde. 

Durch eine Aufhebung des Windowing würden sich laut Studie für die Marktteilnehmenden folgende Umsatzveränderungen ergeben:

  • Autor:innen: -3,2 bis -13,6 Mio
  • Verlage: -17,6 bis -76,2 Mio. Euro
  • Buchhandel: -13,8 bis -53,2 Mio. Euro
  • Aggregatoren: +0,3 Mio. Euro

Die Mehreinnahmen durch den Verkauf zusätzlicher E-Book-Lizenzen könnten die Verluste insgesamt nicht kompensieren. Nach Berechnungen würden sich mit Aufhebung des Windowing ein Umsatzverlust von -37 bis 152,7 Mio. Euro pro Jahr für den Buchmarkt ergeben. 

In zwei Szenarien sollte außerdem die zukünftige Entwicklung bis 2027 geschätzt werden - bei konstanter und bei steigender E-Leihe. In beiden Szenarien steigen die Umsatzverluste im Vergleich zum Ausgangsszenario an. Bei steigender E-Leihe könnten die Umsatzverluste nach Schätzungen im E-Book-Markt -13,7 bis -27,4 Mio. Euro und im Print-Markt -33,6 bis -161,7 Mio. Euro betragen, was einen Anstieg von etwa 23 % im Vergleich zum Ausgangszenario 2022 entspricht. 

 

Frage 4: Wie unterscheiden sich der soziodemografische Hintergrund der E-Leihe-Nutzenden und Print-Leihe-Nutzenden von der gesamten Bevölkerung und den Käufer:innen am Buchmarkt?

Die Analyse zeigt, dass Bibliotheksnutzende im Vergleich zur gesamten deutschen Bevölkerung überdurchschnittlich oft ein hohes Einkommen und einen höheren Bildungsabschluss haben. Dies trifft auf Buchkäufer:innen ebenso zu. Print-Leihe- und E-Leihe-Nutzende hätten noch häufiger ein überdurchschnittlich hohes Einkommen und eine hohe Bildung als Käufer:innen. 

E-Leihe-Nutzende und Print-Leihe-Nutzende kaufen außerdem öfter Bücher als die gesamte Bevölkerung in Deutschland. Außerdem gibt es in einer Analyse des sich verändernden Kaufverhaltens Hinweise darauf, dass Leser:innen mit Beginn der E-Leihe weniger am Buchmarkt ausgeben. Diese Hinweise sind aufgrund der geringen Stichprobe und der Pandemie jedoch nicht als kausale Effekte zu interpretieren, merkt die Studie an. 

Zur Studie

Für die Untersuchung hat das Forschungsteam der DIW Econ eine umfassende Datenbasis mit titelspezifischen Informationen zu Verkaufszahlen, Leihzahlen und Windowing-Informationen von knapp 15.000 Titeln analysiert sowie Daten des GfK Consumer Panel Media*Scope ausgewertet.

Parallel zur Studie hat das Bundesministerium der Justiz (BMJ) eine Befragung zum E-Lending durchgeführt, um ein möglichst umfassendes Bild über den aktuellen Status quo zu erhalten. Im Rahmen des von Kulturstaatsministerin Claudia Roth initiierten Runden Tisches E-Lending werde man nun Studie und Befragung auswerten und gemeinsam Lösungsansätze im Herbst 2024 vorlegen.

Zum Runden Tisch E-Lending hatte Kulturstaatsministerin Claudia Roth im Herbst 2022 erstmals eingeladen. Dieser tagt seither in regelmäßigen Abständen.

Teilnehmer des Runden Tisches E-Lending sind der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Verlagsvertreter, der Deutsche Bibliotheksverband, der Verein Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare, das Netzwerk Autorenrechte, der Verband deutscher Schriftsteller*innen (VS in Ver.di), der Verband deutschsprachiger Übersetzerinnen und Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke, sowie das Bundesministerium der Justiz und das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

Die vollständige Studie gibt es hier.