Frankfurt Rights Meeting

Steht der Buchmarkt am Wendepunkt?

5. September 2024
Sabine Cronau

Englischsprachige Bücher verkaufen sich im Moment blendend, vor allem im New Adult Segment. Welche Probleme dieser Trend für Verlage, Agenturen und Autor:innen nach sich zieht: Das hat die Frankfurter Buchmesse jetzt in einer digitalen Expertenrunde diskutiert - Auftakt des Frankfurt Rights Meetings, das bis zur Messe häppchenweise die Märkte ausleuchtet.

Tom Kraushaar fand im Juni in der „New York Times“ deutliche Worte zum Verkaufsboom englischsprachiger Bücher in Europa: Vor allem in den Niederlanden sei ein Kipppunkt erreicht, „where the things could really collapse“, so der Klett-Cotta-Verleger (hier geht es zum Artikel).

Droht den nationalen Buchmärkten wirklich der Kollaps angesichts der Übermacht des Englischen? Und mit welchen Strategien können Verlage den Markt für muttersprachliche Bücher stützen? Damit beschäftigte sich jetzt das Frankfurt Rights Meeting der Frankfurter Buchmesse in einer digitalen Gesprächsrunde, die von Barbara Geier moderiert wurde (B Connects). Zum kompletten Hybrid-Programm der kommenden Wochen rund um das Thema Rechte & Lizenzen geht es hier.

Der Trend zum englischsprachigen Original ist im Moment die größte Herausforderung auf dem niederländischen Buchmarkt.

Lisanne Mathijssen-van Hoorn, HarperCollins Holland

Facts & Figures

Enrico Turrin, Wirtschaftsexperte bei der Federation of European Publishers, legte zum Auftakt der virtuellen Kurzkonferenz einige Zahlen auf den Tisch.

  • Bei den Genres Young Adult und Fantasy ist der Trend zum englischsprachigen Original besonders ausgeprägt
  • Die stärksten Effekte zeigen sich aktuell in den Niederlanden, in Skandinavien, Deutschland und dem Baltikum
  • In den Niederlanden lag der Marktanteil englischsprachiger Bücher 2023 bei 25 Prozent (Vorjahr 22 Prozent laut Verleger-Verband), im Young Adult-Segment überschreitet der Anteil am Umsatz sogar die 60-Prozent-Marke (2023, GfK).
  • Im Süden Europas ist der Trend deutlich schwächer, in Frankreich oder Italien etwa liegt der Marktanteil englischsprachiger Bücher laut Nielsen gerade mal bei knapp einem Prozent.

Alles in allem fasst Enrico Turrin die Entwicklung bei englischsprachigen Büchern so zusammen:

  • Der Trend zur Originallektüre ist weitverbreitet, aber nicht überall gleichermaßen stark ausgeprägt.
  • Der Markt wächst – abhängig von den sprachlichen Fähigkeiten der jeweiligen Nation. Gerade in kleineren Sprachräumen wie den Niederlanden oder Dänemark sprechen viele Menschen sehr gut Englisch.
  • TikTok spielt bei dem Phänomen eine große Rolle: Young-Adult-Leser:innen wollen zur BookTok-Community dazugehören und die selbe Ausgabe in identischer Ausstattung in die Kamera halten wie alle anderen auch. Und nicht zuletzt: ein neues Buch ihrer Lieblingsautor:innen so schnell wie möglich lesen.

„Der Trend zum englischsprachigen Original ist im Moment die größte Herausforderung auf dem niederländischen Buchmarkt“: So brachte Lisanne Mathijssen-van Hoorn, Senior Commissioning Editor bei HarperCollins Holland die Lage auf den Punkt. Von einem drohenden Kollaps allerdings wollte sie nicht sprechen – die Debatte mit ihren düsteren Prognosen vom Aussterben der muttersprachlichen Bücher in den Niederlanden erinnert sie an den Anfangshype um das E-Book.

Autor:innen lieben es, wenn ihre Werke in andere Sprachen übersetzt werden. Für sie ist das extrem wichtig.

Marleen Reimer, Sourcebooks

Was können die Verlage tun?

Dennoch müssen die Verlage auf den veränderten Markt reagieren. Dazu gehört laut Mathijssen-van Hoorn:

  • Das Timing bei der Veröffentlichung eines Buches wird wichtiger, vor allem im New Adult-Segment. „Die Übersetzung eines englischen Romantasy-Titels in aller Ruhe ein Jahr später auf den Markt zu bringen – diese Zeiten sind in den Niederlanden vorbei“.
  • Im Gegenzug werde der abgestimmte, gleichzeitige Veröffentlichungstermin auf dem englischen und dem niederländischen Markt deutlich wichtiger.
  • Um die Wünsche der Community nach der einheitlichen Optik zu erfüllen, veröffentlichen die niederländischen Verlage übersetzte Young-Adult-Romane gerne mit dem englischen Originalcover und dem englischen Titel.
  • Einige Verlage würden mittlerweile auch eigene englischsprachige Ausgaben auf den Markt bringen, berichtete die Expertin von HarperCollins. Für ihren Verlag sei das jedoch schwierig. Denn als Teil eines internationalen Konzerns würde die niederländische Dependance von HarperCollins dann in Konkurrenz zu den Schwesterunternehmen in den USA und Großbritannien treten.
  • Weitere Option: Auf andere Sprachräume ausweichen – und beispielsweise auf deutsche New-Adult-Autor:innen setzen, so Mathijssen-van Hoorn. Oder besser gleich andere Genres bedienen. Thriller beispielsweise bleiben in den Niederlanden vom Englischboom weitgehend verschont.
  • Nicht zuletzt: Die Originalausgaben aus UK oder den USA sind nicht preisgebunden und deshalb oft billiger als die Übersetzung. Wer die höherpreisige, einheimische Ausgabe an die Leser:innen bringen will, muss also wenigstens mit einer besonderen Ausstattung punkten, vom Farbschnitt bis zum Lesebändchen. Wie sich das wirtschaftlich darstellen lässt, steht auf einem anderen Blatt.
  • Auch mit Bonus-Material lässt sich die Übersetzung aufwerten und zum Kultobjekt machen – etwa mit einem Extra-Kapitel der Autor:innen oder einem Brief an die Leser:innen im Übersetzungsland. Beispiele dafür gibt es unter anderem beim Bastei Lübbe-Label Lyx vor, wie Marleen Reimer, Associate Director Subsidiary Rights beim US-Verlag Sourcebooks, berichtete. Autorinnen und Autoren sind dazu offenbar gerne bereit. Denn auch wenn die Leser:innen immer öfter das Original lesen: „Autor:innen lieben es, wenn ihre Werke in andere Sprachen übersetzt werden“, so Reimer: „Für sie ist das extrem wichtig.“

Neue Lizenzmodelle zeichnen sich ab

Bilanz von Moderatorin Barbara Geier:  Für Verlage gehe es in Zukunft mehr denn je darum, neue Erlebnisse rund um das Buch zu kreieren und sich den direkten Weg in die Community zu bahnen – jedenfalls, wenn sie auch weiterhin Übersetzungen von New Adult- und Fantasy-Büchern verkaufen wollen.

Im März hatte sich Barbara Geier auf der London Book Fair für das Börsenblatt umgehört, ob die wachsenden Verkaufszahlen englischsprachiger Ausgaben in Europa auch neue Lizenzmodelle nach sich ziehen. Agenturen können sich das wohl durchaus vorstellen.

Nancy Yost etwa, die mit ihrer New Yorker Agentur einige New York Times- und USA Today-Bestsellerautoren u. a. im Historical Romance Segment vertritt und in Deutschland mit Verlagen wie Lyx, Blanvalet oder Goldmann arbeitet, machte damals in London deutlich: "Ich bin nicht abgeneigt, Rechte für englische Ausgaben in Europa zu verkaufen. In den Niederlanden diskutieren wir dies bereits." Zum kompletten Artikel geht es hier.

Thalias Bookshop in Berlin

Thalia eröffnet British Book Shops

Der Buchhandel hat auf den Trend längst reagiert, nicht nur in den Niederlanden. Aus kleinen Regalen mit englischsprachiger Lektüre sind mittlerweile auch in Deutschland oft ganze Abteilungen oder sogar eigene Läden geworden. Im August hat Thalia in den Münster Arkaden einen 110 Quadratmeter großen „English Bookshop“ eröffnet, als Pop-up-Fläche zunächst auf ein Jahr begrenzt. 2023 hat in Berlin bereits ein Thalia-Ableger mit ähnlichem Konzept eröffnet.

Warnung aus den Niederlanden

Wie stark der Trend zur Originalausgabe auch die deutschen Verlage beschäftigt, zeigte sich im Januar bei der Jahrestagung der Interessengruppe Belletristik und Sachbuch im Börsenverein. Dort berichtete die niederländische Verlegerin Eva Cossée als Gastreferentin von der Entwicklung im Nachbarland und warf dabei die Frage auf, wie wichtig „Territory Licence“ für Verlage werden könnte.

Die Verlagsbranche in den Niederlanden sei in den vergangenen Jahren von Umstrukturierungen und Entlassungen hart getroffen worden – und viele würden das auf den Zustrom englischsprachiger Ausgaben zurückführen. Lange habe man gelassen reagiert, nach dem Motto: Freuen wir uns doch, dass die jungen Leute wieder lesen. Das ändere sich gerade.

Der Haken für die Autor:innen

Der Schweizer Literaturagent Peter Fritz riet bereits im vergangenen November in einem Börsenblatt-Interview: „Deutsche Verlage müssen darauf bestehen, frühzeitig den Text zum Übersetzen zu bekommen, um nicht in Zeitnot zu geraten.“ (Zum Interview geht es hier)

Und er machte deutlich, dass die so genannten Export Sales auch für Autor:innen einen gravierenden Haken haben – sie werden nämlich in den USA und in Großbritannien gesondert und extrem niedrig honoriert.

Frankfurt Rights Meeting: Die nächsten Sessions

10. September, 16 bis 17 Uhr
Market Focus: Czech Republic, Poland and Romania
(mehr dazu hier)

17. September, 16 bis 17 Uhr
Unlocking the Future? The Role of AI for the Rights Business
(mehr dazu hier)

24. September, 16 bis 17 Uhr
Business as Usual or off to New Horizons? Current Trends in Audio
(mehr dazu hier)

15. Oktober, 17 bis 19 Uhr,
Frankfurt Pavilion auf der Buchmesse

Networking auf der Buchmesse - und eine Keynote von Madeline McIntosh, CEO & Publisher, Authors Equity (mehr dazu hier)