Interview mit Martin Baltscheit

"So wunderschön die Kinderbuchwelt auch ist, so erbärmlich bezahlt ist sie auch"

30. Juni 2023
von Börsenblatt

Ist uns das Bilderbuch weniger Wert als andere Kunstformen? Der Autor und Illustrator Martin Baltscheit fordert im Gespräch mit der Kinderbuchpraxis eine staatliche Unterstützung. Seine Warnung: Ohne Förderung wandern junge Illustrator*innen in die Werbebranche ab. 

Martin Baltscheit mit Brille vor schwarzem Hintergrund

Bilderbuch-Aficionado: Martin Baltscheit

"Verlage wie Filmproduktionen behandeln"

Stefan Hauck
Wir kennen dich als Kinderbuchillustrator, als Autor und als Lesekünstler. Jetzt hast du die die Idee für was ganz Neues: eine Stiftung für Bilderbücher. Was genau hat es damit auf sich?

Martin Baltscheit
Ich arbeite ja mit vielen Illustratoren zusammen, ich habe auch Filme gemacht, Hörspiele und Theater, kurz: Ich habe schon in ganz viele Bereiche reingeschnuppert. Eins muss man sagen: So wunderschön die Bilderbuch-Welt ist, so erbärmlich bezahlt ist sie auch. Also wenn du ein junger Illustrator bist, du willst Geld verdienen, dann machst du Layouts für Autos. Du verdienst nicht mit der Kunst, sondern du verdienst mit dem flachen Mainstream. Künstler wie ich leben überwiegend von den Vorschüssen und wenn so ein Vorschuss für ein Buch 3.000, 4.000 oder 5.000 Euro beträgt, dann ist das wirklich sehr viel – und dann brauchst du entweder einen zweiten Beruf oder eine Partnerin oder Partner, der mehr Geld nach Hause bringt. Da setzt meine Idee an, Verlage wie Filmproduktionen zu behandeln: Es gibt in vielen Ländern eine Filmförderung. Filmproduktionen beantragen dort Geld für die Erstellung von Filmprojekten. Wenn der Film erfolgreich ist und eine bestimmte Menge an Zuschauern hat eine bestimmte Zahl an Lizenzen in die ganze Welt verkauft, dann zahlen die Filmproduktionen das Geld zurück. Dadurch haben wir eine ganz lebendige Kinofilmlandschaft. Ich habe mich gefragt: Warum geht das nicht fürs Bilderbuch? Das Bilderbuch ist so wichtig. Es ist der allererste Einstieg in die Kultur! Ich rede jetzt nicht davon, dass Verlage oder Illustratoren aufgrund einer Stiftung irgendwie Unsummen kriegen, sondern einfach nur davon, dass man für seine Arbeit fair bezahlt wird. Warum kriegen so tolle Läden wie der Kibitz Verlag, der so eine tolle Qualität liefert, keine Kultur-Unterstützung, so wie der Tanz, die Musik, die Oper, der Film?

Stefan Hauck
Also eine staatliche Förderung?

Martin Baltscheit
Im Bereich der Kulturförderung läuft ja, soweit ich informiert bin, erstmal wenig staatlich, es gibt ja Länderhoheiten, das müssten also die Bundesländer selbst machen, jedes einzelne Bundesland. Aber die Idee, dass wir sagen: Gerade heute, im digitalen Zeitalter, gibt es neben allen tollen Apps auch Geschichten, und die sind uns so wichtig und teuer, dass wir sie fördern wollen, so wie wir als Demokratie auch andere Künste fördern, darum geht’s. Denn ohne das Bilderbuch lassen wir so viele Möglichkeiten liegen, Möglichkeiten des Lernens, des Begreifens und des Miteinanders. Ich glaube, so eine Stiftung wäre eine sehr wichtige Anerkennung für das Bilderbuch als Kunstform und würde auch viele junge Künstlerinnen und Künstler dazu animieren, nicht in andere Bereiche abzuwandern.

Ralf Schweikart
Na ja, es gibt in anderen Ländern ja ähnliche Förderungen im Bereich der Übersetzungen, etwa in Norwegen und in Frankreich. Das klingt doch nach einer ähnlichen Idee, nämlich dass ein Verlag oder ein Illustrator sagt: „Ich möchte jetzt etwas Unterstützung für ein Bilderbuch- Projekt, von dem ich noch keine Ahnung habe, wie groß der wirtschaftlich Erfolg am Ende sein wird. Aber das Risiko minimiere ich ein Stück weit, in dem ich eine Förderung von außen kriege. Und mit dem Deutschen Verlagspreis gibt es ja auch eine bundesweite Verlagsförderung durch eine Fachjury. Wäre das ein Vorbild?

Martin Baltscheit
Genau! Wenn du mich so fragst, würde ich mir natürlich auch eine Bundesinitiative wünschen. Nimm einmal den Comic-Bereich oder das Bilderbuch: Verlage könnten so auch mal ein Buch machen, dass eben nicht in drei Wochen illustriert ist, sondern mit Künstlerinnen oder Künstlern, arbeiten, die sehr viel länger brauchen bei ihren Bildern, die eine große Kunstfertigkeit haben und eine große Detailgenauigkeit zum Beispiel. Wenn Verlage oder Künstler, die hier Fördermittel erhalten, dieses besondere Buch wie Bolle verkaufen, dann zahlen sie diese Anfangsunterstützung wieder zurück.

Stefan Hauck
Und im anderen Fall halt nicht.

Martin Baltscheit
Und im anderen Fall halt nicht. Aber so versetzt du einen Verlag in die Lage, dass er auch mal etwas wagen kann.

Stefan Hauck
Du bist mit Gott und der Welt vernetzt. Hast du schon mal deine Fühler in die Politik ausgestreckt mit dieser Idee?

Martin Baltscheit
Nun, das ist schwierig. In der Politik musst du jemanden kennen, der das Thema von sich aus vorantreibt. Du müsstest also einen Politiker kennen, der sagt: „Bilderbücher haben mein Leben gerettet! Ich habe vier Kinder und immer wenn ich nach Hause komme und mich über die Opposition ärgere, dann finde ich Zeit und Frieden und Nähe bei meinen Kindern. Und zwar über Bilderbücher. Du brauchst jemand, der sagt: „Ich habe das gelebt, und ich will, dass die anderen das auch haben!“ Dazu kommt – ich glaube, dass das jetzt kein Stereotyp ist –, dass Politiker natürlich auch immer gucken, womit man sich profilieren kann. Und das muss ein Thema sein, mit dem sie selbst zu tun haben. Auf der anderen Seite: Jedes Jahr werden in Deutschland 700.000 bis 800.000 Kinder geboren, eine unglaubliche Menge an Kindern, denen man mit so einer Stiftung etwas ermöglichen würde.

Mehr in der Kinderbuchpraxis

Das Interview ist ein Auszug aus einem Gespräch mit Dr. Stefan (Stefan Hauck) und Mr. Ralf (Ralf Schweikart) im Börsenblatt-Podcast Kinderbuchpraxis. Dort erklärt Baltscheit sehr ausführlich, wie er zum Bilderbuch-Aficionado geworden ist, warum er in Düsseldorf ein Bilderbuchfestival gegründet hat und sein Wissen inzwischen auch in einer Bilderbuchakademie weitergibt.