Interview mit Juliane Seyfarth-Schäfer, Vertriebskooperation artfolio

„So wird das `Schmerzzentrum´ der Kund:innen gar nicht erst berührt“

14. März 2022
Sabine Cronau

Ratgeber verabschieden sich vom Image der nützlichen Bücher – und feiern mit schönen Bildern und hochwertiger Ausstattung den Lifestyle. Juliane Seyfarth-Schäfer, Leiterin der Indie-Vertriebskooperation artfolio, über Preisstrategien, Käuferprofilierung und die Stärken eines Verbunds.

Vor allem Kochbücher werden schon seit Jahren immer aufwendiger gestaltet – und gerne verschenkt. Nach und nach scheint diese Welle viele weitere Ratgebersegmente zu erfassen, etwa Yoga- und Gartenbücher. Der richtige Weg aus Ihrer Sicht? Schließlich vertreten Sie mit Ihrer Vertriebskooperation artfolio neun Verlage, die auf Genussthemen spezialisiert sind...

In die Qualität und Ausstattung von Ratgebern zu investieren und damit zugleich im höherpreisigen Ratgebersegment unterwegs zu sein – das lohnt sich unbedingt! Wenn der Kunde ein Buch in den Händen hält und denkt: „Das ist toll, das will ich haben“, dann wird sein „Schmerzzentrum“ im Gehirn beim Blick auf den Preis gar nicht erst berührt. Und Umfragen haben ja ergeben, dass der Preis als Kaufkriterium nicht an erster Stelle steht.

Der Käufer wertschätzt sich mit dem Kauf eines solchen Buches selbst – wir “verkaufen” eben auch Emotionen. Wenn wir in der Branche von Geschenkbuch sprechen, denken wir ja eher an kleine Bücher für 4,99 Euro. Hier reden wir von Büchern, die 25 Euro und mehr kosten. Und sind nicht alle Bücher Geschenke – für andere oder für die Käufer:innen selbst?

Viele Buchhandlungen haben die Chance erkannt, die der Ratgeber als Coffee-Table-Book bietet – aber da geht sicher noch mehr.

Juliane Seyfarth-Schäfer, artfolio

Zieht der Buchhandel bei diesem Preislevel mit?

Viele Buchhandlungen haben die Chance erkannt, die der Ratgeber als Coffee-Table-Book bietet – aber da geht sicher noch mehr. Ich wünsche mir mehr Mut bei allen Buchhandelsgrößen, wenn es um die Platzierung von Ratgebern geht! Und mehr Lust, auch hochpreisige Titel auszuprobieren – trauen Sie Ihren Kunden die Kaufbereitschaft zu! Klar ist: Wenn ich auf einem Büchertisch nur Ratgeber für 14,99 Euro anbiete, fällt ein Titel für 28 oder über 30 Euro eher aus dem Rahmen als in einem Umfeld von 20-Euro-Titeln.

Auf welchem Preislevel bewegen sich die artfolio-Verlage im Moment mit ihren Koch- und Lifestyle-Bänden?

Der Durchschnittspreis liegt über alle neun Verlage hinweg bei einem Ladenpreis von rund 25 Euro pro verkauftem Buch – und damit etwa 10 Euro über dem Preislevel, das Media Control für die verkauften Bücher im gesamten Ratgebersegment meldet. Zugleich waren unsere Verlage 2021 laut Media Control mit einem Anteil von 8,3 Prozent Marktführer im Ratgeber-Premiumsegment über 20 Euro. Wir konzentrieren uns lieber auf wenige, qualitativ hochwertige Titel – die sich dafür aber durch die Bank gut verkaufen.

Eine schöne Ausstattung ist für Verlage mit höheren Kosten verbunden – gerade im Moment, wo das Papier knapp ist. Wie entwickeln sich die Herstellkosten bei den artfolio-Verlagen?

Unsere Verlage berichten zum Teil von Preissteigerungen von über 25 Prozent und mehr. Das ist schon heftig.

Der Austausch untereinander hat den neun artfolio-Verlagen gerade in der Corona-Zeit wahnsinnig geholfen. Aus "Konkurrenten" sind Partner geworden.

Juliane Seyfarth-Schäfer, artfolio

Lassen sich diese Mehrkosten durch Preisanhebungen abfedern? Oder schlägt dann doch irgendwann das Schmerzzentrum an?

Wir schauen uns sehr genau an, wo sich Preise nach oben anpassen lassen. Der Buchhandel fordert ja schon lange Preiserhöhungen auf breiter Basis. Nun müssen die Verlage gezwungenermaßen auf die erhöhten Produktionskosten reagieren. Die Margen werden dadurch leider nicht größer.

Mit einer geschenkfähigen Ausstattung spielen die Verlage nicht zuletzt die Vorteile des Haptischen gegenüber den vielen kostenlosen Rezepten und DIY-Tipps im Netz aus. Gehört dem schönen Ratgeber die Zukunft?

Wenn es darum geht, einen gewissen Lifestyle zu transportieren, ist das Buch kaum zu schlagen. Deshalb ist es der richtige Weg, den Coffee-Table- und Verschenkbuch-Aspekt herauszustellen. Viele Menschen machen sich solche Bücher selbst zum Geschenk, weil die Käuferin, der Käufer gewissermaßen „mitaufgeladen“ wird und sich selbst profilieren kann.

Ein Beispiel: Zu artfolio gehört der Löwenzahn Verlag, der sein gesamtes Programm im Cradle-to-Cradle-Verfahren drucken lässt. Das ist teuer, auch für den Verlag, aber Löwenzahn liefert den Kunden damit auch ein weiteres Argument, genau dieses Buch zu kaufen. Wer ein Löwenzahn-Buch auf dem Couchtisch liegen hat, positioniert sich damit selbst – er zeigt, dass er sich Gedanken über nachhaltigen Konsum macht.

Schöner Schein ist nicht alles. Welche Rolle spielt der Nutzwert einer Warengruppe, die früher vor allem „nützliche Bücher“ stand?

Nutzwert: Das klingt sehr trocken verglichen mit den Glückshormonen, die ausgeschüttet werden, wenn ich ein schönes Buch mit nach Hause nehme. Denken Sie an Theresa Baumgärtners Buch „Frühlingserwachen“ bei Brandstätter – da muss ich gar kein Gericht nachkochen. Das Buch macht mich schon glücklich, wenn ich auf dem Sofa sitze und darin blättere. Aber natürlich müssen die Rezepte und DIY-Tipps trotz allem funktionieren. Ein guter Ratgeber sollte nicht nur Spaß machen, sondern immer auch für die Kompetenz-Weiterentwicklung bei den Leser:innen sorgen.

Vor allem Kochbücher waren in der Pandemie gefragt – ein Schwerpunkt Ihrer neun Verlage. Wie hat sich der Umsatz der artfolio-Partner in der Corona-Krise entwickelt?

Wir haben 2021 ein deutliches Plus verzeichnet. Die 40-Millionen-Marke zu Ladenpreisen haben wir laut Media Control zum ersten Mal geknackt – da war die Freude groß! Wenn man bedenkt, dass artfolio 2007 mit einem Verlag und einem Netto-Umsatz von rund einer Million Euro angefangen hat, dann sind wir sehr stolz darauf, wie sich die Vertriebskooperation in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Der Austausch untereinander hat den neun Verlagen gerade in der Corona-Zeit wahnsinnig geholfen. Aus "Konkurrenten" sind Partner geworden.

artfolio Vertriebskooperation

  • Gründung: 2007
  • Partnerverlage: ars vivendi, at Verlag, Becker Joest Volk, Brandstätter, Copress, Kneipp Wien, Löwenzahn, LV.Buch, Stiebner
  • Koordination: Agentur Seyfarth
  • Ziel: ein starker Auftritt im Handel – für unabhängige, inhabergeführter Ratgeberverlage mit Schwerpunkt im Kochbuchsegment, dazu Erfahrungsaustausch, Benchmarking & mehr
  • Marktanteil: 8,3 Prozent im Premiumsegment ab 20 Euro
  • Projekte: gemeinsame Buchhändlerveranstaltungen, Messepräsenz, gemeinsamer Vorschauversand und vieles mehr 
  • Website: www.artfolio-vertriebskooperation.de und www.seyfarth-agentur.de