Dieses Jahr war für alle Besucher*innen alles unentgeltlich zu haben. Glauben Sie, eine ähnlich starke Resonanz wäre möglich, wenn im nächsten Jahr auch digitale Angebote mit Eintrittspreisen versehen werden?
Ich habe im Internet noch kein funktionierendes Geschäftsmodell für digitale Kulturveranstaltungen gesehen, ich habe noch niemanden gesehen, der bereit wäre, dafür zu zahlen. Deshalb sind mögliche Geschäftsmodelle immer indirekt: Entweder man arbeitet mit Sponsoren, oder man wird von der öffentlichen Hand unterstützt. Beides war für uns in diesem Jahr der Fall, und beide Wege möchte ich für unser Publikumsangebot weitergehen.
Den dritten Weg, Besucher*innen Geld abzuverlangen, wollen Sie nicht verfolgen?
Testweise durchaus. Wir werden das mit einzelnen Veranstaltungen ausprobieren, mit Premiumangeboten; vielleicht auch mit Modellen eines freiwilligen Beitrags, weil Besucher*innen etwas gut gefallen hat.
Im B2B-Bereich werden seit langem Eintrittspreise aufgerufen, zum Teil ganz happig. Und das funktioniert.
Ja, bei internationalen Fachkonferenzen sehen wir dies, aber auch hier überlegen wir künftig, mit Subskriptionsmodellen zu arbeiten, auch mit Dienstleistern als Sponsoren. Aber das wird ebenfalls ein Ausprobieren sein, und es muss nicht auf die wenigen Tage im Oktober limitiert bleiben.
Wie lief es denn mit den Fachkonferenzen letzte Woche?
Normalerweise haben wir bei stark fokussierten Fachveranstaltungen 200 bis 250 Teilnehmer*innen auf dem Messegelände. Wir hatten jetzt im Netz zwischen 600 und 800. Viele Veranstaltungen waren gesponsert, wir hatten Partner wie das Copyright Clearance Center, große Verlage wie Springer Nature oder Wiley, Beat Technology. Für die Zukunft stelle ich mir noch mehr hybride Finanzierungen vor, wo auch Werbung und Teilnahmegebühren eine Rolle spielen.
Wie bewerten Sie die Interaktionsqualität in den digitalen B2B-Formaten?
Wir haben gezielt einige interaktive Formate angeboten, haben mit dem Wechsel von Plenum und kuratierten Networking Sessions gearbeitet. Diese Formate haben sehr gut funktioniert, es gab viele positive Rückmeldungen. Uns ist es gelungen, das Fachprogramm noch internationaler aufzusetzen, wir haben mit dem Angebot viele verschiedenen Zielgruppen erreicht. Die Themen reflektierten, was die Branche gerade bewegt – Nachhaltigkeit, Diversität, Digitalisierung in Covid-Zeiten.
Das Problem sei die Buchmesse 2021, schrieb die Tage eine Zeitung. Wie bereiten Sie sich auf das nächste Jahr vor?
Zum einen steigen wir in Szenario-Arbeit ein, denn niemand kann wissen, unter welchen Voraussetzungen die nächste Messe stattfinden wird. Und zum zweiten gehen wir jetzt in die Kundengespräche. Wir brauchen das Feedback, wie die digitalen Angebote funktioniert haben, welche Erwartungen es an die physische Messe im nächsten Jahr gibt, wie die Präsenzen aussehen werden. All das müssen wir mit der gesamten Breite unserer Aussteller*innen gemeinsam erarbeiten.
Die FBM20 war eine Messe ohne Einnahmen, jedenfalls ohne Geld, das von Kunden kam. Wie stellt sich Ihnen die wirtschaftliche Lage dar?
Jeder kann sich ausrechnen, dass ein Jahr ohne Erlöse ein schwieriges Jahr ist, vor allen Dingen dann, wenn man noch mehr arbeiten muss als in normaleren Jahren. Wir müssen uns jetzt schnell mit unseren Kunden auf ein realistisches und machbares Szenario für die FBM21 verständigen und sofort in die Bewerbung gehen. Das wird nach der intensiven Messephase nun noch einmal sehr arbeitsintensiv.
Es war schon davon die Rede, dass die FBM nun sofort in einen „Winterschlaf“ geschickt werde und eine Restrukturierung quasi mit Tag eins nach der Messe starten soll. Was sind Ihre Pläne?
Zahlreiche Aktivitäten laufen weiter, die Präsenz der deutschen Verlage auf internationalen Messen, die Arbeit als Kulturmittler mit dem und für das Auswärtige Amt und mit den Goethe-Instituten. Die Evaluationsphase der digitalen Messe ist gerade angelaufen. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Aktivität, zumal wir die digitalen Angebote für unsere Kunden nahtlos weiterbetreiben wollen. Das gleiche gilt für unsere Partnerschaften, auch für die Public-Private-Partnerships wie die mit dem Auswärtigen Amt. All das läuft ja weiter.
Kurzarbeit wird es also nicht geben?
Auch Kurzarbeit ist für uns ein Thema. Von vielen Frühjahrsevents wissen wir noch nicht, ob sie stattfinden werden. Ich weiß nichts von London, ich bin mit den Kollegen in Bologna im Gespräch, Guadalajara findet Ende November nur digital statt, die Kinderbuchmesse in Shanghai dagegen schon, wo wir normalerweise präsent sind. Vermutlich werden viele Entscheidungen für die Teilnahme an einer physischen Messe nächstes Jahr erst spät getroffen. Das alles ist in die Personalplanung miteinzubeziehen, wenn man über Kurzarbeit nachdenkt.
In welche Richtung soll die Restrukturierung der FBM gehen?
Wir sind eigentlich in einem permanenten Restrukturierungs- oder Anpassungsmodus. Denken Sie nur an „9/11“, als viele Amerikaner nicht reisen durften und wir uns daran anpassen mussten. Im Grunde ist die Aufgabe jetzt ähnlich, aber in einer anderen Dimension. Der Kern unseres Auftrags bleibt bestehen: Bringt Buchmenschen zusammen!
Eine Ergänzung zum Thema Geschäftsmodelle für digitale Kulturveranstaltungen: Es gibt sie, z. B. „Bookstock“ von Hugendubel oder „HeldenstückeLIVE“ von Oetinger. Aber sie sind eben neu und müssen sich entwickeln, um später einmal als „funktionierend“ beschrieben werden zu können. Dieses digitale Feld aus der Buchbranche heraus aktiv mitzugestalten, erscheint mir strategisch wichtig. Und der richtige Zeitpunkt, damit zu beginnen, ist ziemlich sicher: jetzt.