Ist den Bonnier-Verlagen die Leipziger Buchmesse nicht mehr das Geld wert, das sie bisher Jahr für Jahr kostet?
Doch. Wir machen keine Abstriche. Das haben wir auch in den Jahren vor der Pandemie nicht getan. Carlsen beispielsweise hatte für Leipzig 2022 und für den Manga-Bereich geplant wie sonst auch. Es ging bei der Entscheidung in diesem Jahr überhaupt nicht um Kosten. Da läuft eine absurde Diskussion. Wir sehen Leipzig nach wie vor als eine extrem wichtige Publikumsmesse. Hier bekommen unsere Autoren im Frühjahrsgeschäft die Möglichkeit, sich zu präsentieren; und die große Heerschar von Lesern, die es in Leipzig immer gibt, hat die Möglichkeit, den Autoren und den Büchern zu begegnen. Darauf wollen wir nicht verzichten.
Bekennt sich Bonnier, wie es Penguin Random House und Holtzbrinck getan haben, klar zu Leipzig 2023?
Ich halte wenig von solchen Credos, weil sie eine falsche Sicherheit suggerieren. Wenn es im nächsten Jahr Gründe geben sollte, weshalb man nicht kommen kann, dann kann man nicht kommen. Aber ich bin optimistisch. Es wird nächstes Jahr wieder klappen, weil uns diese Pandemie nach Omikron aus ihren Klauen lässt. Nur: Ganz sicher weiß das einfach keiner. Auch in diesem Jahr wollten wir ja teilnehmen und hatten alles auf Leipzig ausgerichtet – nicht kleinere Stände, sondern die volle Kapelle. Aber wenn die Kapelle nicht spielen kann, weil die Hälfte der Musiker in Quarantäne steckt, in Familienbetreuung eingebunden oder selbst krank ist, wird das Musizieren schwierig.
In der Debatte nach der Absage der Messe bricht jetzt der alte Ost-West-Konflikt wieder auf: Die westdeutsch dominierte Buchbranche lässt den Osten hängen. Verstehen Sie die Gefühlslage vieler Menschen, vor allem in Sachsen?
Diese Ost-West-Debatte ist grober Unfug. Und sie ist brandgefährlich. Da wird wieder ein Spaltungskeil in die Gesellschaft getrieben, den irgendjemand plötzlich ausfindig macht. Wir alle wissen, dass wir dreimal Leipzig absagen mussten. Das waren doch keine Entscheidungen, die wir Verlage auch anders hätten treffen können! Bei den ersten beiden Absagen waren wir ohnehin nicht gefragt, und in diesem Jahr haben wir absagen müssen, weil wir noch nie so hohe Infektionszahlen hatten wie im Moment. Und weil es erstmals unsere Einheiten konkret betrifft. Ich habe selbst gerade eine Quarantäne-Situation und betreue unsere Kinder. Wir kommen dreimal aus der Winter-Infektion, das ist einfach das Problem mit dem März-Termin. Mit Ost-West-Fragen hat das überhaupt gar nichts zu tun. Wir haben alle bis zuletzt gehofft, dass die Messe stattfinden kann. Ich finde es schade, dass Leipzig sich selbst mit diesem Ost-West-Thema unnötig klein macht.
auch wenn man etwas lautstark als "groben Unfug" beklagt, muss es dennoch kein grober Unfug sein - alles eine Frage der Perspektive. Wer die Leipziger Buchmesse im letzten Vierteljahrhundert verfolgt hat, weiß, dass Ost-West-Gegensätze immer eine anfangs große, dann unterschwellige Rolle gespielt haben - vor allem in den Köpfen derjenigen, die die Verlagskonzerne im Westen leiten. Und natürlich hätten sich die Großkonzerne, auch der von Ihnen verantwortete, anders verhalten, wenn es um die Frankfurter Buchmesse gegangen wäre.
Und apropos Corona: Sie werden sehen, was in den nächsten Tagen an Lockerungen in Deutschland kommen wird - Lockerungen, die es unter klaren Auflagen mühelos erlaubt hätten, eine kleine Leipziger Buchmesse durchzuführen. Und Sie werden ebenso sehen, was von denjenigen, die sich mit dieser schnöden Messeabsage nicht zufriedengeben, in den nächsten Tagen an Alternativen für Leipzig auf die Beine gestellt werden wird, auch ohne Zutun der Großkonzerne.
Herzlich Rainer Moritz
Dass solche Erinnerungen angesichts der wirklich schwer zu verstehenden aktuellen Absage wieder hochkommen und - da hat Rainer Moritz vollkommen recht - diese Entscheidung dubios und tendenziös erscheinen lassen, ist ja klar. Und angesichts der gegenwärtigen .Corona-Entwicklungen und Normalisierungsoptionen erscheint sie jetzt auch noch als falsch und kurzsichtig.