Interview mit Andreas Schulz

Mit digitalem Baukasten auf die Reise gehen

1. April 2021
Matthias Glatthor

Andreas Schulz, Vertriebsleiter des Reiseverlags Vista Point, erzählt über den Wandel im Geschäft mit Inhalten für die Reiseindustrie. Zusammen mit Geschäftspartnern hat er einen verlagsübergreifenden Content-Aggregator entwickelt.

Was bedeutet die Corona-bedingte Krise der Reiseindustrie für ihren Verlag, für Reiseverlage überhaupt?
Noch vor einigen Jahren hatten wir bei Vista Point noch eine stabile Absatzbasis für Print-Reiseführer für zahlreiche Kunden aus der Reiseindustrie. In Spitzenzeiten machte das mehr als 60 Prozent unseres Gesamtumsatzes aus. Durch den Kostendruck und die einsetzende Digitalisierung bei den Veranstaltern haben sich diese Umsätze auch schon vor Corona deutlich abgeschwächt. Gefragt waren fast ausschließlich digitale Produkte, die weder Transaktionskosten verursachen noch feste Abnahmemengen nötig machten. Außer Apps und E-Books hatten wir aber keine relevanten Angebote für Anfragen dieser Art. Als kleinerer Verlag konnten wir auch nicht alle nachgefragten Ziele liefern. Bei anderen Verlagen sah und sieht das recht ähnlich aus.

Was müssen die Verlage jetzt tun, um sich für die Zukunft zu rüsten?
Da analoge Reiseführer zumindest in diesem Kundensegment immer weniger gefragt sind, gehen wir und auch einige andere Verlage jetzt einen neuen Weg. Wir bieten unsere Inhalte für individualisierte digitale Reiseführer über den neuen Content-Aggregator TourCont für Kunden der Reiseindustrie an. So können wir unsere digitalen Inhalte in einem neuartigen "hippen" Digitalprodukt verwerten. Die Reiseindustrie hat via TourCont Zugriff auf einen großen Pool mit digitalisierten Inhalten, unter anderem Texte, Bilder, Audios, die sie individuell für alle Ziele und für jede einzelne Reise ihrer Kunden zusammenstellen lassen können.

Wer steckt hinter TourCont, wer hat es entwickelt?
Die Idee, Reiseführer-Inhalte digital an die Reiseindustrie auszuspielen und dabei den Reiseverlauf zu berücksichtigen hat mich schon länger umgetrieben. Mit drei Geschäftsfreunden, die selbst technische Dienstleister in der Touristik sind und Software-Häuser und Webagenturen betreiben, ist daraus ein realisierbares Konzept entstanden. Im Februar 2020, noch vor der Pandemie-Welle, haben wir dann die TourCont AG gegründet. Vorstand der AG ist Markus Schreiber, der ein Software-Haus für Reiseveranstalter-Systeme in München betreibt.

Welche Kosten fallen für die teilnehmenden Verlage an?
Letztlich müssen alle zur Verfügung stehenden Inhalte oder Bücher der Verlage digitalisiert werden, damit sie in den TourCont-Datenbanken verarbeitet und an die Reiseindustrie geliefert werden können. Will oder kann ein Verlag das selbst nicht leisten, wird er von der TourCont dabei unterstützt. Fällt hier ein Aufwand an, kann er auch mit dem Content, den der Verlang liefert, verrechnet werden. Bei Vista Point sind keine Kosten angefallen, weil die Inhalte bereits digital vorliegen. Anschlussgebühren für Verlage fallen nicht an, da TourCont alle ausgewählten Verlage ins Boot holen möchte.

Was erhalten die Verlage für Ihre Inhalte?
In der Regel bezahlen die Kunden aus der Reiseindustrie diesen Service, die teilnehmenden Verlagen bekommen dann je nach ausgespieltem Content ihren vertraglich festgelegten Anteil ausbezahlt.

Wie hat man sich das Produkt genau vorzustellen?
Es werden Inhalte nur für die Ziele, die der Kunde während seiner Reise auch besucht, oder die seinen Präferenzen entsprechen, geliefert – dies aber je nach Reiseverlauf völlig flexibel. Veranstalter und Reisebüros können das Ganze noch zusätzlich mit eigenen Reise-Infos anreichern. Das TourCont-Projekt ist wie gesagt verlagsübergreifend angelegt, Vista Point hat jedoch den Vorteil, dass bereits viele Inhalte unserer Reiseführer bereits in digitaler Form vorliegen und der Content so feingranuliert je nach Kundenprofil ausgespielt werden kann.

Wie erhalten die Reisenden die digitalen Daten?
Die großen Veranstalter und Reisebüroketten verfügen inzwischen meist über eigene individualisierte Apps, die sie an ihre Kunden bei erfolgter Buchung ausliefern. Die in der App hinterlegten Reiseverläufe lassen sich dann einfach mit Hilfe der Geo-Codes um die passenden Reiseführer-Informationen anreichern. Die Reiseführer-Daten werden zentral über die TourCont-Datenbank erfasst und an Veranstalter und Reisebüros distribuiert. Zudem wird die TourCont-App auch als White-Label-Lösung angeboten, für Veranstalter ohne eigene Kunden-App. In der TourCont-App sind auch sämtliche Buchungsunterlagen enthalten. Die entsprechenden Reiseführer-Infos werden den Kunden anhand und entsprechend des Reiseverlaufsverlaufs angeboten.

Ihr Rat an andere Reiseverlage?
Ich kann meinen Kollegen in den Verlagen nur empfehlen, solchen digitalen Konzepten gegenüber künftig aufgeschlossen zu sein, da zum einen die Nachfrage der Reiseveranstalter nach gedruckten Reiseführern weiter sinken wird und sich zum anderen die Digitalisierung in der Corona-Zeit bei den Reiseveranstaltern noch einmal massiv beschleunigt hat und weiter ausgebaut wird.

Vista Point bleibt dennoch auch ein Printverlag, wie hat sich hier Corona bislang ausgewirkt?
In den ersten drei Monaten des Jahres 2020 lagen wir mit unseren Verkäufen zeitweilig sogar über den Print-Umsätzen von 2019. Das lag unter anderem an unserer Jubiläumsausgabe "1000 Places", die wir zum Sonderpreis angeboten haben. Insgesamt hatten wir dann im vergangenen Jahr einen Umsatzrückgang von knapp 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im Sommer und Herbst haben wir die neue Serie "1000 Places Städte-" und "-Regioguides" vor allem mit Deutschland-Titeln stark ausgebaut. Das kam sehr gut an. Ohne das wäre das Ergebnis schlechter ausgefallen.

https://www.tourcont.ag/

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