Online-Relaunch in der Corona-Krise

"Freshness-Faktor" für den PAL Verlag

8. Oktober 2020
Sabine Cronau

Der Münchner PAL Verlag ist Spezialist für psychologische Lebenshilfe. Rat bietet er nicht nur in Büchern und Kalendern an – sondern auch auf vier reichweitenstarken Websites. Verleger Carlo Günther und Berater Michael Döschner-Apostolidis über Monetarisierung und einen Online-Relaunch in Krisenzeiten.

Das Thema Lebenshilfe müsste in der Pandemie bei vielen Menschen weit oben auf der Agenda stehen – was sich im Buchumsatz der Warengruppe bislang nicht widerspiegelt. Haben Sie online mehr Resonanz?

Günther: Ja, das haben wir. Die Corona-Pandemie hat viele Menschen in der Tat tief verunsichert. Durch das Social Distancing wurden sie während der Lockdown-Phase zudem in extremer Weise auf sich selbst zurückgeworfen, mussten allein oder nur im engsten Freundes- und Familienkreis mit ihren Ängsten und Sorgen zurechtkommen. In dieser Zeit gab es auf den PAL-Webites einen enormen Anstieg an Views zu Beiträgen über Zukunftsangst, Beziehungsprobleme und Einsamkeit. Wir haben darauf mit einem "Corona-Special" reagiert, das die Krise aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und bis heute viel genutzt wird. 

Waren Bücher auch gefragt?

Günther: Unsere Buchverkäufe sind nicht im gleichen Maße gestiegen. Vermutlich, weil die Menschen schnellen Rat suchten. Das hat uns einmal mehr vor Augen geführt, wie wichtig unser Engagement im Digitalbereich ist und dass wir hier noch handlungsfähiger werden müssen. Ein kurzes E-Book zum Umgang mit der Corona-Krise wäre sinnvoll gewesen. Aber so weit waren wir damals noch nicht.

Sie haben den vier PAL-Websites rund um die Themen Ängste, psychische Probleme, Partnerschaft und positives Denken gerade einen umfassenden Relaunch spendiert. Michael Döschner hat Sie beraten, die Agentur Wirth & Horn hat das Projekt umgesetzt. Dafür in der Corona-Krise Geld in die Hand zu nehmen, fällt gerade einem kleineren ­Verlag nicht leicht. Warum haben Sie es trotzdem gemacht?

Günther: Der Relaunch war lange geplant. Denn wir sind überzeugt, dass psychologische Lebenshilfe eines der großen Themen der nächsten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte ist. Wir haben seit Jahren viele Einzelthemen wie Depression, Ängste, Selbstvertrauen mit sehr hoch gerankten Beiträgen besetzt, mussten aber feststellen, dass diese mittlerweile auch von anderen Anbietern wie lernen.net oder netdoktor.de sehr zielgruppengenau bedient werden und wir an sie Klicks und User*innen verloren haben. Zudem wollten wir die Möglichkeit schaffen, schneller aus digitalen Inhalten physische Produkte zu entwickeln. Es galt also, keine Zeit zu verlieren. 

Wir sehen, dass sich die Gesellschaft von einem produktorientierten zu einem serviceorientierten Konsum entwickelt – und darauf reagieren wir.

Carlo Günther, seit Ende 2018 PAL-Verleger, vorher Verlagsleiter "Bewusst leben" und Geschenkbuch bei Droemer Knaur

An welchen Baustellen haben Sie gemeinsam besonders intensiv gearbeitet?

Döschner: Die alten Websites waren in die Jahre gekommen und konnten die Anforderungen der Suchmaschinen nicht mehr optimal bedienen, besonders hinsichtlich der mobilen Optimierung und Auffindbarkeit. Dadurch hatte die Sichtbarkeit in den vergangenen Jahren etwas gelitten. Auch die Informationsarchitektur, also die Organisation und Zugänglichkeit der Inhalte, war nicht mehr State of the Art. Diese beiden Baustellen hatten wir deswegen besonders im Blick. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die »Freshness« der Websites, also die ständige Aktualisierung und Neuerstellung von Content. PAL hat allein zum Relaunch­termin über 50 neue Beiträge, Podcasts und Videos online gestellt. Und auch den Kaufimpuls der User*innen, die soge­nannte E-Commerce-Conversion, wollten wir steigern.

Und, ist das geglückt?

Döschner: Oh ja, allein im ersten Monat nach dem Go Live Mitte August sind die Umsätze des Onlineshops um 92 Prozent nach oben geschnellt. 

Das dürfte den Buchhandel aber nur bedingt freuen ...

Günther: Wir bekommen aus dem Buchhandel sehr positive Rückmeldungen, denn dort fragen Kund*innen vermehrt nach Ratgebern und Kalendern, auf die sie auf unseren Websites aufmerksam geworden sind. Wir wollen den Buchhandel ja nicht ärgern oder überflüssig machen – im Gegenteil: Wenn wir Ratgeber online ins Bewusstsein der Kunden rücken, dann hoffen wir natürlich auch, dass sich das in der Nachfrage im Handel niederschlägt.

Sie betreiben gleich vier Websites. Überwiegt der Nutzen der schnellen Auffindbarkeit den Aufwand der vielfachen Seitenpflege?

Döschner: Diese Frage haben wir uns natürlich auch gestellt und immer wieder intensiv diskutiert. Unsere Beobachtung ist, dass Menschen mit ganz unterschiedlichen psychischen Problemstellungen auch ganz unterschiedliche Angebote und Antworten brauchen. Jemand, der unter einer Angstkrankheit leidet, braucht – wie PAL es nennt – erste Hilfe für die Seele und wäre von einem Optimismus-Training eher vor den Kopf gestoßen. Es geht also weniger um Auffindbarkeit, als darum, dass die vier Webseiten in der Tat unterschiedliche Zielgruppen mit unterschiedlichen inhaltlichen Bedürfnissen bedienen. Insofern haben wir uns dazu entschieden, trotz des hohen redaktionellen Aufwands mit den vier Websites weiterzugehen.

Günther: Im Übrigen gelingt es uns, die vier unterschiedlichen Webseiten mit unserem kleinen Team auch deswegen erfolgreich zu betreiben, weil wir im Hintergrund ein einheitliches Redaktionssystem verwenden und unsere Abläufe bestmöglich optimiert haben – etwa die Redaktionsplanung für die digitalen Distributionskanäle Website, Newsletter und Social Media Kanäle.

Auch der PAL Verlag will seine Produkte verkaufen. Aber über seine Websites, umso mehr nach dem Relaunch, lernt er Klick für Klick, für welche Themen sich User interessieren.

Michael Döschner-Apostolidis, seit 2020 Berater für Digitalisierung, vorher Geschäftsführer bei Holtzbrinck ePublishing

Newsletter, Podcasts, Videos, Persönlichkeitstests, PDFs, Bücher, Kalender: Sie bieten viele Medien und Formate an. Welche Rolle spielen da noch Bücher?

Günther: Wenn wir Produkte entwickeln, denken wir nicht mehr allein an das Buch, sondern an eine zielgruppengerechte Aufbereitung der PAL-Inhalte in verschiedenen Medien. So ist unser Best- und Longseller zum Thema Lebensfreude natürlich "Der Lebensfreude-Kalender". Aber zugleich ist Lebensfreude ein übergreifendes Thema, das wir mit verschiedenen Produkten über alle Kanäle hinweg bespielen.

Döschner: Gerade für einen kleinen Verlag ist es heute unerlässlich, über eine ganzheitliche Endkund*innenstrategie zu verfügen und Medien, Kanäle und Formate optimal zu verschränken und inszenieren – so wie PAL das eben tut. Die Marke muss dabei aber klar erkennbar bleiben. Deshalb hat das Team parallel zum Relaunch der Websites auch intensiv an der Markenführung gearbeitet.

Was wird online am meisten geklickt?

Döschner: Die mehr als 100 Persönlichkeitstests, die pro Monat tausendfach genutzt werden, waren und sind sicher ein Markenkern der PAL-Websites – und werden bei Google vor so reichweitenstarken Portalen wie brigitte.de gelistet. Wichtigste Säule für die Kundenbindung ist der Newsletter "Vitamine für die Seele". Er geht alle 14 Tage an mehr als 40 000 Abonnent*innen, mit hoher Öffnungsrate.

Günther: Dass wir auch Videoberatung anbieten, ist übrigens ein visionäres Erbe des PAL-Verlagsgründers Dr. Rolf Merkle, der sehr früh erkannt hat, welche Möglichkeiten im Bewegtbild für das Internet liegen. Seine Videos mögen heute etwas in die Jahre gekommen wirken, werden aber nach wie vor sehr oft aufgerufen. Wir wollen Videoberatung und Videotipps in Zukunft besonders in den Social-Media-Kanälen noch intensiver mit neu produzierten Filmen nutzen. 

Viele Ratgeberverlage setzen ihre Website vor allem dafür ein, Bücher zu vermarkten. Ein Fehler?

Günther: Das ist ein Weg – aber nicht unserer. Wir sehen, dass sich die Gesellschaft von einem produktorientierten zu einem serviceorientierten Konsum entwickelt, und darauf reagieren wir.

Döschner: Auch der PAL-Verlag will seine Produkte verkaufen. Aber über seine Websites, umso mehr nach dem Relaunch, lernt er Tag für Tag, Klick für Klick, für welche Themen und Angebote sich die User interessieren, und kann seine Produkte danach ausrichten.

Online ist also doch Geld zu verdienen?

Döschner: Wenn Sie über Reichweite bei klar umrissenen Zielgruppen verfügen, dann lässt sich das auch monetarisieren. Das sehen Sie an den Fachverlagen. Ratgeberverlage haben hier ebenfalls große Chancen. Vielleicht waren sie bei der digitalen Produktentwicklung bislang einfach noch zu defensiv. Viele schrecken davor zurück, Reichweite über kostenlose Inhalte aufzubauen. Clevere Blogs haben sich dann in die Nische gesetzt. Denken Sie nur an den jungen Verlag Smarticular, der seine Nachhaltigkeitsratgeber aus Online-Inhalten und Community-Beiträgen entwickelt und damit in den Bestsellerlisten landet.

Günther: Die Monetarisierung muss ja nicht immer direkt per Paywall erfolgen, wir sind ja ebenso glücklich, wenn diese Menschen am Ende ein Buch kaufen. Neben dem Buch lassen sich aber eben auch weitere digitale Produkte entwickeln und verkaufen. So wollen wir das Erbe der beiden PAL-Gründer Doris Wolf und Rolf Merkle kreativ in die Zukunft führen.

Der PAL Verlag