"Die Aufmerksamkeitsspanne von Kindern nimmt mehr und mehr ab"
Wenig Text, viel Bild – dieser Trend ist im Kinderbuch nicht aufzuhalten. Illustrierte Doppelseiten, Lektürehäppchen und ein aufgelockertes Satzbild setzen sich durch. Das hat Gründe.
Wenig Text, viel Bild – dieser Trend ist im Kinderbuch nicht aufzuhalten. Illustrierte Doppelseiten, Lektürehäppchen und ein aufgelockertes Satzbild setzen sich durch. Das hat Gründe.
352 Seiten umfasst Johanna Spyris ungekürzter Roman »Heidi«. Carole Aufranc kürzt den Text radikal auf 64 Sätze und schafft so eine Light-Version (Bergli Books) mit ganzseitigen Bildern für Kinder ab 4. »Schweizer Klassiker, ganz einfach«, titelt der Verlag. Der Plot der Geschichte ist holzschnittartig vorhanden, doch die Pausen, Veränderungen, Entwicklungen fehlen, sodass die Gefühlslagen der Figuren nur rudimentär erfassbar sind.
Im Vergleich zur Bildmenge kommt auch Amélie Javaux’ »Der Tag, an dem ich den bösen Wolf verjagte« für Selbstleser mit wenig Text aus. »Den bewegenden Inhalt der Geschichte kann man aber durch Annick Massons Illustrationen wunderbar greifen. Das heikle Thema Mobbing wird dabei von den Bildern geleitet, der Text wirkt quasi ergänzend dazu«, erklärt Verlegerin Anna Kindermann. »Es funktioniert also sehr gut, wenig Text zu nutzen, wenn die kongenialen Bilder im Vordergrund stehen und aussagekräftig genug sind.«
Das gilt nicht minder für Hiroshi Itos »Kind zu verschenken« (Moritz Verlag), ein Kinderbuch, das erstmals 1991 in Japan erschien und seitdem jedes Jahr nachgedruckt wird. Mit wenigen Strichen zeigt Ito, wie unzufrieden ein Mädchen ist, weil der neugeborene Bruder die komplette Aufmerksamkeit der Mutter bekommt. Die große Schwester will sich deshalb eine neue Familie suchen. Die Betrachterinnen sehen sie in einem Karton auf der Straße sitzen und von einer besseren Familie träumen, ein Hund, eine Katze, eine Schildkröte kommen dazu, und auch sie träumen von einem besseren Zuhause – nur sind die Vorstellungen höchst unterschiedlich. Mitunter steht nur ein Satz auf der Seite, manchmal gar keiner, aber die Geschichte lässt genügend Raum für Gedanken.
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