Initiative "Fair Lesen"

Bibliotheksverband gibt Kontra

18. Oktober 2021
Redaktion Börsenblatt

Der Deutsche Bibliotheksverband wendet sich in einer Stellungnahme gegen die Initiative "Fair Lesen" und spricht von Falschinformationen.

Die Debatte um "Fair Lesen" geht weiter. Autor*innen und Verleger*innen würden den Öffentlichen Bibliotheken unterstellen, dass diese mit dem Verleih von E-Books den E-Buch-Markt zerstören und dadurch Kreativität sowie freie Meinungsäußerung massiv beeinträchtigen würden, klagt der Deutsche Bibliotheksverband (dbv). Zugleich werde vor einer politischen Zwangslizensierung gewarnt, durch die E-Books zum Nulltarif angeboten würden.

Aus Sicht des dbv beruht der Appell der Autor*innen und Verleger*innen "auf Falsch- und Fehlinformationen". Er nimmt dazu wie folgt Stellung:

 

  • "Für jedes E-Book, das eine Bibliothek verleihen möchte, muss sie eine Lizenz erwerben. Zum Schutz des Buchmarktes gilt wie bei gedruckten Büchern: 'eine Kopie, ein Ausleiher'. Das stellt sicher, dass ein E-Book zeitgleich nur von einer einzigen Person gelesen werden kann. Alle anderen Nutzer*innen können sich auf eine Warteliste setzen lassen.
  • Bei einer üblichen Ausleihfrist von zwei bis drei Wochen kann ein E-Book daher höchstens 18- bis 26-mal im Jahr ausgeliehen werden.
  • Bibliotheken zahlen für die Lizenzen deutlich mehr als private Käufer*innen, da in den Lizenzen das Recht zum Verleih mitbezahlt wird.
  • Die Lizenzen, die Bibliotheken erwerben, sind zeitlich befristet, auch um die Abnutzung von Büchern zu simulieren.
  • Die Ausleihe von E-Books ist strikt begrenzt auf Bibliothekskund*innen mit einem Bibliotheksausweis, den sie nur in der Bibliothek ihrer eigenen Kommune erwerben können. Dies stellt sicher, dass die Nutzer*innen nur in ihrer jeweiligen Kommune E-Books leihen können.
  • 7,4 Mio. Menschen in Deutschland besitzen einen Leseausweis für eine Öffentliche Bibliothek. Das sind, da es einen Ausweis erst ab sechs Jahren gibt, ca. 10 % der Bevölkerung. Jährliche Ausleihen belaufen sich auf insgesamt ca. 340 Mio. Bücher und Medien aller Art (Quelle: Deutsche Bibliotheksstatistik).
  • 1,9 Mio. Menschen liehen sich in 2018 E-Books in Öffentlichen Bibliotheken aus. (Quelle: GfK-Studie zur Onleihe im Auftrag des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V., 2019). 
  • Über 3,6 Mio. Menschen, die laut den Zahlen des Börsenvereins im Jahr 2018 E-Books gekauft haben, stehen damit 1,9 Mio. Entleihende gegenüber. (Quelle: GfK-Studie zur Onleihe, 2019).
  • 43 % der Bevölkerung sind Buchkäufer*innen, der Umsatz der E-Book-Downloads am Publikumsmarkt stieg im letzten Jahr um 16,2 %. Der Umsatz bei E-Book Einzelkäufen ist von 204 Mio. auf 238 Mio. im Jahr 2020 gestiegen.
  • Die Zahl der kommerziellen Flatrate-Angebote für E-Books und Hörbücher verzeichnete mit 28,4 Prozent ebenfalls einen deutlichen Zuwachs (Quelle: Börsenverein des Deutschen Buchhandels, 08.07.2021)
  • Die Gfk-Studie zur Onleihe zeigt, dass Entleihende diejenigen sind, die am häufigsten E-Books kaufen. (Quelle: GfK-Studie zur Onleihe, 2019)."

 

Der Deutsche Bibliotheksverband habe sich seit 2012 dafür eingesetzt, dass die Ausleihe von E-Books gesetzlich geregelt werde, der Bundesrat habe kürzlich dazu einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorgelegt, "den die Autor*innen vehement ablehnen", so der dbv. "Aber nur auf dieser gesetzlichen Grundlage lassen sich überhaupt die notwendigen 'angemessenen Bedingungen' für den E-Book Verleih zwischen Autor*innen, Verlagen und Bibliotheken verhandeln, denn das Bundeskartellamt hat kürzlich erneut bestätigt: Über Lizenzbedingungen für den digitalen Verleih dürfen keine Rahmenvereinbarungen zwischen dem Bibliotheksverband und dem Börsenverein ausgehandelt werden." Das Gesetz solle zum einen Bibliotheken ermöglichen, E-Book-Lizenzen auch für Neuerscheinungen käuflich zu erwerben; zum anderen die Autor*innen fair zu vergüten.

 

"Die Kampagne 'Fair Lesen' vermittelt den definitiv unzutreffenden Eindruck, dass die Öffentlichen Bibliotheken allein für Autorenvergütung und Marktentwicklung von E-Books verantwortlich sind", sagte der Bundesvorsitzende des dbv, Prof. Andreas Degkwitz. Jahr für Jahr verausgabten Öffentliche Bibliotheken über 110 Millionen Euro für den Kauf von Medien, um allen Bürger*innen ihrer Kommunen – unabhängig von deren finanziellen Möglichkeiten – Zugang zu E-Books zu bieten; dies betreffe auch die aktuellen E-Books. Die Versorgung mit Informationen und Literatur gehört zum Auftrag der Öffentlichen Bibliotheken. "Durch das Zurückhalten des Verkaufs aktueller E-Book-Veröffentlichungen (Windowing) - von teilweise bis zu einem Jahr - werden die Infrastrukturen zur Literaturversorgung der Bürger*innen regelrecht ausgetrocknet", erklärte Degkwitz. "Die Bereitstellung aktueller E-Books in Bibliotheken ist dann komplett abhängig von Marktentwicklungsprognosen der Autor*innen und Verlage. Die damit absehbar einhergehende Spaltung in informierte und nicht informierte Mitglieder unserer Gesellschaft kann niemand akzeptieren oder wollen."

Da Autor*innen, Bibliotheken und Verlage bisher keinen Weg gefunden hätten, um zu einer Lösung ihrer Interessenkonflikte zu kommen, plädiere der dbv dafür, dass die Gespräche und Verhandlungen zu einer Lösung dringend fortgesetzt werden müssen. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Lösung eines Pflichtangebots aktuell erscheinender E-Books zu angemessenen Bedingungen biete aus Sicht des dbv einen diskussionswürdigen Ansatz.