Protest-Aktion gegen dtv- und Hanser-Titel

„Anleitung zu psychischer Gewalt darf nicht im Bücherregal stehen!“

22. Dezember 2020
Charline Vorherr

Das Buch "24 Gesetze der Verführung" von Robert Greene entfachte in der letzten Woche eine Protestaktion auf Instagram - das Buch gebe Anleitung zu psychischem Missbrauch. Die Verlage dtv und Hanser haben inzwischen reagiert. Ist der Protest bloß ein weiterer Akt der "Cancel Culture" oder müssen Verlage neu über ihre Buchinhalte nachdenken?

Ein Beitrag auf dem Instagram-Account der Radiosendung „Schwester Suffragette“ hat in der vergangenen Woche eine Protestwelle gegen das Buch „24 Gesetze der Verführung“ von Robert Greene ausgelöst (Hanser, im Taschenbuch bei dtv). Tenor: Das Buch liefere eine Anleitung zu psychischer Gewalt.

Der Titel, 2002 erstmals auf Deutsch erschienen, zeige, „wie man mit Charme und Überzeugungskraft andere Menschen beeinflussen und auf Abwege bringen kann“, wirbt Hanser auf seiner Website für das Werk. Doch Flirttipps und Kommunikationsstrategien finden die Protestierenden in dem Buch nicht, stattdessen, so ihre Position, zeige der Autor, wie man in „24 Gesetzen“ sein „Opfer“ in psychische Abhängigkeit dränge.

„Es gibt dem ‚Täter‘ eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, wie die begehrte Person manipuliert, isoliert und gefügig gemacht werden kann; kurz gesagt: wie man psychische Gewalt ausübt“, heißt es auf dem Blog „Feministisches Lesen“, der die Protestaktion initiierte und von dem der Artikel-Titel zitiert wird. Hanser und dtv haben mittlerweile reagiert - und angekündigt, das Buch nicht weiter verkaufen zu wollen.

Einige Textstellen sind den Protestierenden besonders aufgestoßen:

  • "Schüren Sie Angst und Unzufriedenheit [...] Angespannte Disharmonie müssen Sie dem Geist Ihres Opfers einpflanzen."
  • "Isolieren Sie das Opfer - Eine isolierte Person ist schwach. Indem Sie Ihr Opfer nach und nach absondern, machen Sie es Ihren Einflüssen leichter zugänglich. Führen Sie es aus seinem vertrauten Milieu heraus, entfremden Sie es von Freunden, Familie, Heimat. Geben Sie Ihm ein Gefühl im Niemandsland zu sein. Im Zustand der Isolation und ohne Konfusion von außen können Sie es leichter bringen, wohin Sie wollen. Locken Sie ihr Opfer in Ihr Lager, wo alles unvertraut ist.“
  • "Mischen Sie Lust und Schmerz - Der größte Fehler beim Verführen ist, zu nett zu sein. [...] Lassen Sie das Opfer sich unsicher und schuldig fühlen. Zetteln Sie einen Streit, gar eine Trennung an - wenn Sie nach der Versöhnung wieder zu Ihrer früheren Freundlichkeit zurückkehren, wird Ihr Opfer Ihnen auf Knien danken. Je abgrundtiefer die Qualen, umso himmelhöher die Freuden. Erzeugen Sie Angst, um die Erotik zu steigern."

Die Protestaktion auf Instagram wurde durch reichweitenstarke Persönlichkeiten wie Silvi Carlsson und Ines Anioli, aber auch durch die junge feministische She Said Buchhandlung verbreitet.

„Damit wollen wir Aufmerksamkeit für das Thema psychische Gesundheit schaffen und die Verlage und Buchhandlungen im Idealfall dazu bringen, das Buch aus dem Programm zu nehmen - zumindest aber zum Nachdenken anregen", heißt es auf dem Blog „Feministisches Lesen“ weiter: "Es ist wichtig, dass dieses Buch nicht in falsche Hände gerät - am besten wäre es, es würde in niemandes Hände geraten. Jedes "Opfer", das wir dadurch schützen und dem wir eine solche Beziehung ersparen können, ist den Aufwand wert“. 

Im Rahmen der Protestaktion wurde dazu aufgerufen, negative Bewertungen für das Buch zu schreiben, Nachrichten an die Verlage dtv und Hanser zu schicken, eine Petition zu unterzeichnen sowie die Kritik an dem Buch weiter zu teilen.

Nach einer internen Prüfung des Titels meldeten sich die Verlage dtv und Hanser mit dieser Stellungnahme zu Wort:

"In den vergangenen Tagen haben uns Zuschriften erreicht, die sich an dem erstmals im Jahr 2002 in deutscher Übersetzung erschienenen Buch „Die 24 Gesetze der Verführung“ stoßen. Der Band ist seinerzeit bei Hanser und dtv als Kulturgeschichte publiziert worden, die mit Beispielen aus der Literatur eine Phänomenologie der Verführung entwickelt. Zwischengeschaltet sind Ansprachen im Ton eines Ratgebers. Das war als Spiel mit der Form gemeint, das Buch wurde wohlwollend aufgenommen.

Zeiten ändern sich. Die gesellschaftliche Debatte zu toxischen Beziehungen und psychischem Missbrauch hat zu Recht zugenommen, ebenso die Erforschung dieser Felder. Damit einher geht eine gestiegene Sensibilität – die einen solchen Umgang mit dem Gegenstand fragwürdig macht. Das geht auch uns so. Wir haben das Buch nun erneut betrachtet, in beiden Verlagen diskutiert und werden es nicht weiter verkaufen."

Daraufhin entfernten die Verlage dtv und Hanser das Buch von ihren Websites, auch im VLB ist das Buch nicht mehr vorzufinden. Thalia hat das Buch ebenfalls aus seinem Katalog gelistet.

Die Protestierenden, allen voran Schwester Suffragette und Feministisches Lesen, freuten sich über den Verkaufsstopp und den Erfolg des Protests.

Für die Buchbranche wirft diese Debatte Fragen auf. Ein weiterer Baustein der verschrienen „Cancel Culture“ oder doch eher ein wichtiger Schritt in Richtung einer internen Reflexion? Muss alles veröffentlicht werden, was gesetzlich erlaubt ist? Muss alles weiter verlegt werden, was in der Vergangenheit in Ordnung war und mit der gesellschaftlichen Weiterentwicklung nicht mehr in Ordnung ist und eigentlich noch nie war? Und welchen potenziellen Schaden können Bücher eigentlich anrichten, wenn Sie in die falschen Hände geraten? Muss die Moral wieder zurück ins Buch finden?