Auftakt der Frankfurter Buchmesse

"Starker Kostendruck gefährdet gesellschaftlichen Auftrag der Buchbranche"

18. Oktober 2022
von Börsenblatt

Die Auftakt-Pressekonferenz zur Frankfurter Buchmesse stand auch im Zeichen der Politik. Steigende Kosten setzten die Buchbranche unter Druck und gefährdeten ihren gesellschaftlichen Auftrag, so Börsenvereinsvorsteherin Karin Schmidt-Friderichs. Kurzfristige Entlastung und langfristige Förderung der Betriebe seien unabdingbar. Gastredner Mohsin Hamid fand beeindruckende Worte.

Karin Schmidt-Friderichs und Juergen Boos bei der Eröffnungspressekonferenz

Gut gelaunte, erwartungsfrohe Menschen, die in Gruppen beieinanderstanden und sich austauschten, hatten sich gegen 11 Uhr im Frankfurt Pavillion zur Eröffnungs-Pressekonferenz der Frankfurter Buchmesse 2022 versammelt. Viele Kamerateams und Fotografen, die sich in Stellung brachten, unterstrichen die Bedeutung für die Öffentlichkeit. 

Weltweit größter Marktplatz für Bücher, der Start in den Leseherbst und ein bedeutendes Kulturereignis für die Völkerverständigung – das alles sei die Frankfurter Buchmesse, die morgen startet, sagte Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins. "In einer Welt, in der zwischen politischen, kulturellen und ideologischen Haltungen immer tiefere Gräben entstehen, schafft die Buchmesse Raum für den friedlichen, demokratischen Austausch", so Schmidt-Friderichs. "Wir reden miteinander, hören einander zu." Die Buchbranche nehme ihren gesellschaftlichen Auftrag sehr ernst: "Verlage und Buchhandlungen wollen gerade in diesen unsicheren Zeiten eine umfassende Versorgung mit Literatur, Sach- und Fachinformationen gewährleisten." Bücher würden "Denktiefe" in eine Gesellschaft bringen. Es gebe einen Programmschwerpunkt Ukraine, aber auch russischen Dissidenten würden zu Wort kommen. Und Schmidt-Friderichs weiter: "Wir sollten auch andere Krisenherde nicht vergessen". Sie nannte Afghanistan und den Iran. Den Menschen dort, gerade den Frauen, zollte sie größten Respekt für ihre Demonstrationen gegen das Regime. 

Gleichzeitig betonte sie, wie steigende Energiekosten, Ressourcenengpässe und eine spürbare Kaufzurückhaltung Verlage, Buchhandlungen und die Branchenlogistik erheblich unter Druck setzten. Buchhandlungen rechneten mit einem Anstieg der Energiekosten von bis zu 300 Prozent. Verlage, die schon im laufenden Jahr rund 50 Prozent mehr für Druck und Produktion ihrer Bücher bezahlen müssten, gingen von weiteren Steigerungen um 20 bis 30 Prozent im kommenden Jahr aus. Der Branche stehe, so Schmidt-Friderichs, ein frostiger Herbst und Winter bevor. 

Wenig Frequenz in den Innenstädten, schlechtes Konsumklima: Dies beginne sich auch im Buchhandel niederzuschlagen. Der September war für den Buchmarkt der fünfte Monat mit Umsatzrückgängen in Folge. Nach neun Monaten liegt das Ergebnis in den zentralen Vertriebswegen laut Media Control um 2 Prozent unter dem eines normalen, also Nicht-Corona-Jahres wie 2019. Im Buchhandel vor Ort ist die Lücke deutlich größer: Hier beträgt der Umsatzrückstand zum Vor-Pandemie-Niveau nach drei Quartalen 8,7 Prozent.

Jetzt sei Unterstützung vonseiten der Politik gefragt, so Karin Schmidt-Friderichs. Denn nur wenn die Branche wirtschaftlich stabil sei, könne sie auch weiterhin zur inneren Stabilität der Gesellschaft beitragen. "Die Buchbranche hat sich in den letzten beiden Jahren als bemerkenswert widerstandsfähig erwiesen. Doch die instabile Welt- und Marktlage stellt sie vor neue große Herausforderungen. Die Branche braucht dringend ausgleichende Maßnahmen durch die Politik, damit sie ihrem gesellschaftlichen Auftrag weiterhin in gewohnter Weise nachkommen kann", sagte Schmidt-Friderichs.

Konkret fordert die Buchbranche:

  • die im Koalitionsvertrag vereinbarte Verlagsförderung schnell auf den Weg zu bringen,
  • die Aktivitäten des Buchhandels für Kulturveranstaltungen und Leseförderung finanziell abzufedern,
  • die von den EU-Finanzminister*innen eröffneten Mehrwertsteuerreduzierungen auszuschöpfen
  • und insgesamt Entlastungspakete und Unternehmenshilfen so zu schnüren, dass auch krisengebeutelte Verlage und Buchhandlungen darauf zugreifen können.

Jürgen Boos: "Als offener Diskursraum sind wir wichtiger denn je"

"Sie kennen mich", hob Messedirektor Juergen Boos seine Rede an, "rechtzeitig zur Buchmesse verliere ich meine Stimme". Auch diesmal war es zu hören. Die Frankfurter Buchmesse sei für ihn wie ein Familientreffen mit Verlagen und Buchhandlungen – auch die Leser:innen würden dazu gehören. Nach zwei Jahren Pandemie sei die Messe in voller Größe zurück, die politische und literarische Prominenz werde vor Ort sein. Boos verwies etwa auf die internationalen Austauschprogramme der Buchmesse, die "ein Netz der Verständigung rund um den Globus" geschaffen hätten, lobte die wichtige Rolle der Übersetzer:innen als eine Grundlage dafür. "Als internationaler, offener Diskursraum sind wir wichtiger denn je", betonte auch Boos, etwa angesichts des Kriegs in der Ukraine. In Bezug auf den Ukraineschwerpunkt führte der Messedirektor aus: "Wir wollen Öffentlichkeit schaffen, Bewußtsein schaffen für das, was auf dem Spiel steht." Aber die ganze Welt sei verrückt. Auch der Himmel über Teheran habe sich verdunkelt. Gesellschaftliche Entwicklungen und Spannungen differenziert aufzuzeigen, sei Kern der Buchbranche, umriss er den Auftrag, "nur so können wir einer vergifteten Debattenkultur entgegenwirken". 

Rückblickend befand Boos, die Pandemie habe zwar einiges durcheinandergebracht, aber er sei sehr zuversichtlich, was die Zukunft der Messe angehe. "Wir brauchen die Frankfurter Buchmesse als Ort des Austausches", als Gegenbild zu einer "Echokammer".

Angesichts der wirtschaftlichen Lage der Buchbranche meinte Boos später in Bezug auf Bücher, "es würde nicht schaden, keine Mehrwertsteuer zu haben."

Autor Moshin Hamid

Mohsin Hamid: "Schriftsteller schreiben Halb-Romane"

Als Kind in Kalifornien in den 1970er-Jahren habe er geglaubt, dass die Welt stetig besser werde, begann Gastredner Mohsin Hamid, der erst tags zuvor aus Lahore angereist war, seine denkwürdigen Ausführungen. Diesen Glauben habe er nach einem Umzug in den 8oer-Jahren in Pakistan beibehalten, trotz schrecklicher Diktatur dort, ebenso in seiner Zeit an einer Elite-Universität in den USA in den 90ern oder Anfang des Jahrtausends in London und später wieder in Pakistan. Bei schlechten Zeiten ging er davon aus, das diese vorübergehen würden und wieder bessere kommen würden. Er habe gedacht, es gebe nichts, was Technologie und Markt nicht lösen könnten. Bis dann 2020 Corona kam. "Meine Stadt mit 12 Millionen Einwohnern stand still." Der britisch-pakistanische Autor beobachtete in der Folge eine Abkehr der Zusammenarbeit unter den Menschen, die Welt zerfiel für ihn wieder in Stämme und Clans. Dabei sei die Zusammenarbeit essentiell für die Zukunft der Menschheit – nur so könne etwa etwas gegen den Klimawandel oder die Verschwendung von Ressourcen erreicht werden. "Wir haben gestohlen, und jetzt sind wir erwischt worden." Wir seien furchtbaren Risiken ausgesetzt, mahnte Hamid, die unsere Vorfahren nicht kannten, müssen gegen den Strom schwimmen, zurück zur Zusammenarbeit.

Eine entscheidende Rolle komme dabei Büchern zu: Schriftsteller würden Halb-Romane schreiben, die Leser:innen machen sie dann durch ihre Erfahrungen zu ganzen Romanen. Durch Romane werden wir in eine Welt der Fantasie geführt, die wir seit der Kindheit verlassen hätten. Da sich unsere Welt von der Zusammenarbeit weg bewege, seien Romane umso wichtiger – wegen der Inhalte und ihrer Form (Buchstaben, Wort, Sätze, die Lesen voraussetzen). "Romane können Potentiale schaffen in einer Welt, die sich scheinbar ins Dunkle bewegt." Sie können uns zeigen, wie es auch anders geht. In der Fragerunde im Anschluss sagte Hamid, ein Buch zu lesen, sei wie eine Meditation, weil Lesen die ganze Aufmerksamkeit verlange. Die Frankfurter Buchmesse wird sicher viel Stoff für "Meditationen" bieten.

Download der kompletten Rede.

Blick in den Ehrengast-Pavillon

Der Ehrengast-Pavillon ist bereit

Der sich anschließende Rundgang durch den Ehrengast-Pavillon Spaniens machte Lust auf weitere Besuche während der Messe. Vor den interaktiven Displays werden sich sicher Menschentrauben bilden. In den Regalen finden sich mehr als 600 Bücher, die im Rahmen der Übersetzungsprogramme aus dem Spanischen in andere Sprachen übertragen wurden. Auf Englisch hieß es zum Konzept: "This is the place to stay, is the place to read". 

Beim Design hat man auf Nachhaltigkeit gesetzt. Alles werde nach der Messe erneut genutzt (etwa für die Buchmesse in Kalkutta) oder Recycled. 

Programmtipps des Börsenvereins

DISKUSSION | Zur Lage der russischen Opposition 
Donnerstag, 20.10., 14.30 Uhr | Frankfurt Pavilion, Agora
Mit: Irina Scherbakowa (Publizistin, Menschenrechtsaktivistin der mit den Friedensnobelpreis 2022 ausgezeichneten Organisation Memori), Leonid Wolkow (Nawalny-Vertrauter und Autor), Michail Schischkin (Autor)

PRESSEKONFERENZ | Friedenspreisträger Serhij Zhadan
Freitag, 21.10., 10 Uhr | Raum Fantasie 1+2, Congress Center Ebene 3, Anmeldung unter presse@boev.de

VERLEIHUNG | CONTENTshift Accelerator 2022 – Wer wird das Content-Start-up des Jahres?
Donnerstag, 20.10., 11 Uhr | Frankfurt Studio, Halle 4.0, Saal Europa

VERLEIHUNG | Gütesiegel Buchkita für frühkindliche Leseförderung
Freitag, 21.10., 17.30 Uhr | Bühne Rheinland-Pfalz, Halle 3.1, G 84