Die Sonntagsfrage

Gedichte statt „Brigitte“ – ist die Zeit reif für ein Lyrik-Magazin, Herr Wurm?

19. September 2021
Redaktion Börsenblatt

Der Hamburger Verleger Oliver Wurm setzt nach einem Magazin zum Grundgesetz nun auf Lyrik. Unter dem schlicht sachlichen Titel „dreizehn + 13 Gedichte“ gibt es 13 Klassiker und 13 zeitgenössische Gedichte samt Interpretation. Passen Gedichte besser in ein Magazin als zwischen zwei Buchdeckel? War es schwer, mit „dreizehn Gedichte“ in den Bahnhofsbuchhandel zu kommen? Wie gut muss sich das Heft verkaufen, damit es eine Fortsetzung gibt? Oliver Wurm hat Antworten.

Um gleich mal die letzte Frage zu beantworten: Selbst wenn wir kein einziges Heft verkauft hätten, würde es am 21. März 2022, pünktlich zum „Welttag der Poesie“ den zweiten Teil geben! Denn schließlich haben wir mit der Erstausgabe von „Dreizehn +13 Gedichte“ einen Kanon eröffnet, der vom Zeitalter des Barock (Andreas Gryphius: „Es ist alles eitel“) den Bogen spannt bis ins Jahr 1932, in dem Erich Kästners Gedicht „Keiner blickt dir hinter das Gesicht“ erschien. In der zweiten Ausgabe führen wir die Reihe fort – bis ins Jahr der Wiedervereinigung. Beide Magazine werden im Stil und Aufbau nahezu identisch sein. Das heißt: Die „dreizehn“ von Katharina Pütter kuratierten „Klassiker“ werden wieder durch „+13“ zeitgenössische Werke, ausgewählt von Barbara Heine, ergänzt.

Ideen für weitere Oneshots gibt es bereits reichlich. Wir werden rund um „Dreizehn +13“ eine Welt aufbauen: Newsletter, Social Media, Lesungen – das ganze Programm. Um mal einen berühmten Song der Band „Beginner“ abzuwandeln: „Wir packen Lyrik wieder auf die Karte.“ 

Für jede Woche ein Gedicht

Da sich viele LeserInnen fragen: Warum eigentlich 13? Das ist die Hausnummer gegenüber meinem Büro. Als ich die Anzahl der Gedichte festlegen musste, schaute ich genau dort hin. Erst im Anschluss fiel mir auf, dass sich daraus auch eine Strategie ableiten lässt. Zweimal 13 pro Heft, zwei Ausgaben im Jahr – ergibt 52 Werke. Oder kurz: „Für jede Woche ein Gedicht.“

Wir haben 20.000 Hefte gedruckt. Ganz bewusst bin ich zum Start damit sehr gezielt nur in den Bahnhofsbuchhandel gegangen. Aber das Magazin hat auch eine ISBN-Nummer und ist inzwischen auch im Buchhandel über die klassischen Wege (u.a. Libri) beziehbar.

Ohne Verfallsdatum

Die wunderbare Rezension von Nils Minkmar im Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung" hat vom Start weg für großes Interesse und damit auch Nachfrage gesorgt.  Seitdem ist eigentlich kein Tag vergangen, an dem wir nicht irgendwo besprochen wurden: ob im "Hamburger Abendblatt", im NDR oder in diversen Blog- und Podcastformaten. Das führt dann zu einem „Luxusproblem“, klar. Eine flächendeckende Verfügbarkeit hätte bei der medialen Beachtung sicher zu immensen Verkäufen geführt. Da man das vorher nicht weiß, ärgere ich mich aber nicht darüber. Wir haben Zeit. Das Magazin und die Texte darin haben kein Verfallsdatum.

Mit "Herbsttag" von Rilke begann die Reise...

Die Schauspielerin und Autorin Katharina Pütter hat bei der Auswahl der Klassiker darauf geachtet, dass es ein guter Mix aus unbekannten Texten und populären Gedichten ist. Wie schrieb Minkmar so treffend: „Jede und jeder findet mindestens eine bekannte Zeile und kann sie als Faden nutzen, um sich zurechtzufinden.“ Bei den zeitgenössischen Gedichten kann und soll man sich inspirieren und auch überraschen lassen. Für mich war nur wichtig, dass „Herbsttag“ von Rainer Maria Rilke mit dabei ist. Denn damit begann ja die ganze Reise.

Auf dem Instagram-Kanal seiner Ehefrau Soyeon Schröder-Kim rezitierte Altkanzler Gerhard Schröder das Werk im Oktober 2020 – bei einem Teller Erbsensuppe und einem Glas Rotwein an einem mit Blumen geschmückten Holztisch. Das hat mich damals wirklich erwischt. Ich war von Rilkes Zeilen total berührt. Wenn man so will, ist Schröder der Ursprung des Projekts. Natürlich habe ich ihm bereits eine Kiste mit Magazinen in sein Büro nach Hannover geschickt.

Gedichte auswendig lernen - kann Spaß machen

„Lesen. Hören. Verstehen“ ist die Leitidee von „Dreizehn +13 Gedichte“. Deshalb gibt es zusätzlich zu den Werken und Einordnungen auch QR Codes, die zu Audiofiles führen. Katharina Pütter hat alle Klassiker in einem Tonstudio eingesprochen. Herman Hesse‘s „Stufen“ schaffte bereits nach wenigen Tagen als erstes Gedicht den Sprung in die dreistelligen Abrufzahlen. Ich bin gespannt, wie sehr diese Option genutzt wird.

Es geht übrigens nicht darum, die Gedichte nun alle auswendig zu lernen. Aber, und das schreibe ich auch im Editorial: Das ein oder andere zu lernen, macht tatsächlich großen Spaß. Ich kann bereits vier auswendig. Ich kann also versichern: Es geht (noch).