Es ist ein Streit, der Kreise ziehen könnte, weil er die Rechtmäßigkeit und Legitimität staatlich finanzierter Kulturförderung, insbesondere von Kultur- und Literaturzeitschriften, zur Diskussion stellt. Der Vorgang ist in der jüngeren Geschichte der Kulturpresse wohl einmalig: Frank Berberich, Herausgeber der international renommierten Zeitschrift "Lettre international", klagt gegen drei aus öffentlichen Mitteln geförderte Kulturzeitschriften, weil sie angeblich den Grundsatz der Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb verletzen. "Lettre international" hingegen habe zeit ihres Bestehens nie öffentliche Fördermittel erhalten.
Das Landgericht Berlin hat nun entschieden, dass die bereits gedruckte, aktuelle Ausgabe der Zeitschrift "Sinn und Form", bis auf Weiteres nicht ausgeliefert und vertrieben werden darf. Weitere Klagen betreffen die Zeitschrift "Kulturaustausch" des Instituts für Auslandsbeziehungen und das Online-Magazin "LCB diplomatique" des Literarischen Colloquiums Berlin, wie der "Tagesspiegel" berichtet.
Hintergrund der juristischen Intervention Berberichs ist unter anderem eine Auseinandersetzung mit der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) während der Corona-Zeit, in der es um die Bewilligung von Fördermitteln aus dem Programm "Neustart Kultur" ging. Im Gegensatz zu anderen Zeitschriften, die im Schutz ihrer Institutionen die Pandemie überstehen konnten, habe "Lettre International" keine finanziellen Hilfsmittel erhalten, gibt der "Tagesspiegel" Berberichs Position wieder. Der "Lettre"-Gründer hat die Korrespondenz mit dem BKM in einem Dossier auf seiner Website veröffentlicht ("Staatspresse oder Pressefreiheit"), in dem in einem weiteren Abschnitt auch die Berichterstattung des "Börsenblatts" über die Förderung von Kultur und Medienvielfalt zitiert wird.
In der Begründung seiner Position behauptet Berberich, dass die öffentliche Förderung von Presseerzeugnissen zur staatlichen Lenkung von Information und Meinungsbildung führen könnte: "Würde man derartige Interventionen des Staates in den Markt der unabhängigen Presse und die damit einhergehende Kolonisierung der Zivilgesellschaft widerspruchslos akzeptieren, nähme man in Kauf, daß sich Politik und Beamte zu Beherrschern des öffentlichen Raums erheben. Sie bestimmten dann entscheidend über Wohl und Wehe jener Presse, die als 'Vierte Gewalt' als Organ der Beobachtung, Kritik und Kontrolle der Staatsmacht gedacht ist. Von der kritischen Instanz würde die Presse zum zahnlosen Tiger."
Das auf presse- und wettbewerbsrechtlichen Argumenten basierende Gutachten zu allen drei Klagefällen gab Berberich bei der unter anderem auf Wettbewerbsrecht fokussierten Berliner Kanzlei Hertin & Partner in Auftrag. Es ist ebenfalls auf der Website von "Lettre international" dokumentiert und in seiner formaljuristischen Schlüssigkeit schwer zu widerlegen.
Der Beirat von "Sinn und Form" (Michael Krüger, Ingo Schulze und Cécile Wajsbrot) zeigt sich in einer Erklärung auf der Website der Zeitschrift schockiert: "Wir sind schockiert über diesen in der Geschichte der deutschen Literatur- und Kulturzeitschriften einmaligen Versuch, ein traditionsreiches, international hochangesehenes Periodikum auf diese Weise auszuschalten. 'Sinn und Form' wird seit über siebzig Jahren von der Akademie der Künste herausgegeben und gilt als eine der bedeutendsten deutschen Literaturzeitschriften. In der DDR fanden hier kritische, oppositionelle Stimmen Raum, die sonst nirgendwo erscheinen durften. Heute ist sie eines der ganz wenigen publizistischen Formate, die nicht aus der Bundesrepublik stammen und damit auch andere Traditionslinien weiterführen."
Der Angriff von "Lettre International" richte sich nicht nur gegen "Sinn und Form", sondern auch gegen alle Autoren und Autorinnen, Übersetzer und Übersetzerinnen, die ihre Erzählungen, Gedichte, Essays, Gespräche und Erinnerungen in der Zeitschrift veröffentlicht haben und weiterhin veröffentlichen wollen. Und er richte sich "gegen die Gattung als solche – auch andere Zeitschriften werden verklagt –, gegen die Vielfalt des literarischen Lebens, das nicht nur marktwirtschaftlicher Logik folgt, sondern auf privates und öffentliches Engagement angewiesen ist."
Im Interview mit dem Deutschlandfunk sprach "Sinn-und-Form"-Chefredakteur Matthias Weichelt von einem "absurden Vorgang". Berberich hätte keinen Gebrauch von der Möglichkeit gemacht, das Gespräch mit den nun verklagten Zeitschriften zu suchen – zumal sich diese durchaus solidarisch gezeigt hätten. Die Stellungnahme des Beirats haben inzwischen zahlreiche Schriftsteller:innen, Publizist:innen und Kritiker:innen unterzeichnet.
Die Frage, inwieweit der Staat durch finanzielle Zuwendungen die publizistische Vielfalt sichern darf, die kulturellen Erzeugnisse eben nicht dem "Markt" allein überantworten will – diese Frage wird durch die Entscheidung der Wettbewerbskammer beim Berliner Landgericht nicht geklärt sein. Man darf sich auf einen Rechtsstreit gefasst machen, der wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung die höchsten deutschen Gerichte, letztlich das Bundesverfassungsgericht, beschäftigen dürfte. Und die Leitsätze, die die Verfassungshüter aufstellen, würden dann für die Zukunft der Maßstab sein, an dem sich die Rechtmäßigkeit staatlicher Kulturförderung messen lassen wird.
https://www.tagesspiegel.de/kultur/lettre-international-feiert-30-jubilaum-3959968.html
Es ist auch kein Angriff gegen eine andere Zeitschrift, sondern die in meinen Augen berechtigte Forderung nach Gleichbehandlung bzw. einer anderen Form der Förderung. Und ein Angriff auf die Autoren oder die Tradition oder was auch immer ist das auch nicht.
BKM ist (liebe Redaktion) kein Bundesministerium für Kultur und Medien sondern die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Das ist verfassungsrechtlich auch eine sehr wichtige Differenzierung.
Ich finde Frank Berberichs Klage gut und wichtig. Denn was, wenn irgendwann die AfD am Ruder ist? Wie werden die Inhalte von "LCB diplomatique" oder "Kulturaustausch" dann aussehen? Es geht ja nicht nur um "Sinn und Form". Eine freie und unabhängige Presse ist wichtig. Auch und gerade im Kulturbereich!
wir haben die BKM-Stelle korrigiert.
Beste Grüße,
die Redaktion