Reinhold Joppich zum Buchmesse-Gastland Italien

Schlaflose Nächte und ein in Luft aufgelöster Autor

11. Juli 2024
Reinhold Joppich

Im Oktober ist Italien Gastland der Frankfurter Buchmesse. Bereits 1988 hatten die Italiener dort einen furiosen Auftritt. Reinhold Joppich, ehemals Vertriebs-und Verkaufsleiter bei KiWi und großer Freund italienischer Literatur, schwelgt in Erinnerungen an 1988 und schaut voraus auf Italien 2024.

Reinhold Joppich

In den 1980er-Jahren erlebten wir in der BRD einen wahren "Italienboom". Es verging kaum ein Tag, an dem im Radio nicht die Canzoni der italienischen Cantautori zu hören waren (Gianna Nannini, Fabrizio d’Andre, Lucio Dalla und vor allen Dingen erstmals Paolo Conte). 

Nach dem überraschenden, sensationellen Erfolg von "Der Name der Rose" sprach die Buchbranche vom "Eco-Effekt". Auf den Bestsellerlisten behaupteten sich neben Eco die Romane von Italo Calvino, Carlo Fruttero, Franco Lucentini, Luciano de Crescenzo und viele andere mehr.

Bei Kiwi sorgte ich für die Auflage des Werks von Ignazio Silone. Kreierte die Idee des italienisch-literarisch-musikalischen Auftritts im Buchhandel. Von 1985 bis 1999 allein mit diesem Programm über 500 Auftritte. Mittlerweile über 1.000 mit dem Cantautore Mario Di Leo. Sehr aktuell unser derzeitiges Programm "Viva la Liberta".

Italienischer Abend.

Als 1988 erstmals ein Gastland zur Buchmesse Frankfurt eingeladen wurde, traf die Wahl Italien. Der perfekte Zeitpunkt. Eine Vielzahl an deutschsprachigen Verlagen (ca. 20!!!) tat sich zusammen, um dem Gastland Italien einen gebührenden Auftritt zu bereiten. 

Felicitas Feilhauer (Hanser) war perfekt für die Marketing- und Werbekampagnen. Ich wurde für die Koordination und Organisation der Veranstaltungen während der Messe und darauffolgender Lesungen erkoren. Meine Rom-Zeit (1977/78, u.a. Libreria Herder) kam mir dabei zugute. Im März 1988 flog ich nach Mailand, erklärte den dort zahlreich anwesenden italienischen Verleger:innen ihre Möglichkeiten, Autor:innen in Frankfurt zu präsentieren. Ein wohlwollendes und begeistertes Publikum. 

Nun begann für mich die lange und intensive Zusammenarbeit mit der italienischen Botschaft und allen italienischen Kulturinstituten in der Bundesrepublik. Bruno Mocci, Botschaftsrat für Kultur (ein feiner, kluger Mensch), koordinierte das kreative Chaos, das bei mir anfänglich für schlaflose Nächte sorgte. Die letzten Wochen vor der Buchmesse war ich jeden Abend Gast in der Botschaft. Es wurde ein berauschender Auftritt und ein grandioses Programm.

Felicitas Feilhauer verlegte bei Hanser einen kongenialen Almanach zur italienischen Gegenwartsliteratur unter der vorzüglichen Herausgeberin Viktoria von Schirach. Die eindrucksvolle Arena in der Halle 5 war ein Publikumsmagnet. Und sie kamen alle: Dacia Maraini, Luigi Malerba, Fruttero & Lucentini, Lydia Ravera, Camilla Cederna, Luciano de Crescenzo, Fulvio Tomizza und natürlich Umberto Eco. Ich durfte sie alle begrüßen, willkommen heißen und teilweise moderieren, den deutschen Text lesen. Eco, freundlich, distinguiert und beeindruckend. Malerba wünschte gleich ein Glas Rotwein, um dann mit mir über Silone zu plaudern. Wunderbare und kluge Damen, voller Charme: Maraini und Cederna. Provokativ und mit viel Witz und Ironie: Lydia Ravera (profitierte immer noch vom Ruhm ihres Bestsellers „Schweine mit Flügeln).

Ein Höhepunkt dieser Buchmesse war die italienische Literaturnacht, übertragen vom HR3-Fernsehen. Viktoria von Schirach und ich moderierten und lasen die deutschen Texte. Es war ein besonderes Erlebnis, denn einige Autoren kamen nicht, hatten sich verlaufen oder ihren Auftritt vergessen (ich nenne keine Namen). Der letzte Gast auf der Bühne war ein Lyriker, dessen Name mir entfallen ist. Er rezitierte ohne Pause, ließ die arme Viktoria nicht zu Wort kommen. Als sie ihn sehr freundlich bat, die Bühne zu verlassen, schrie er, stampfte mit den Füßen und weigerte sich, die Bühne zu verlassen. Der HR brach die Übertagung ab, alle anderen Gäste begaben sich zum Büfett. Der Autor hatte sich in Luft aufgelöst. 

Mir fielen noch zahlreiche Erlebnisse, Begegnungen dieses legendären Gastauftrittes ein, aber das würde den Rahmen sprengen. Es war ein rauschendes Fest der italienischen Kultur und Literatur.

Mit Freude gehe ich der Buchmesse 2024 entgegen, allerdings mit leicht unwohlem Gefühl. Werden die Postfaschisten Zensur ausüben wollen? Es scheint wohl abgewendet. 

Con grande gioa werde ich mich nach Frankfurt begeben.