Interview

Pulitzer-Preisträger Nathan Thrall bei Pendragon

29. Juli 2024
von Börsenblatt

Nahostkonflikt mit Menschen im Mittelpunkt: Die deutsche Ausgabe des erzählenden Sachbuchs "Ein Tag im Leben von Abed Salama" von Pulitzer-Preisträgers Nathan Thrall erscheint am 7. August im Bielefelder Pendragon Verlag. Ein Glücksgriff? Lektorin Lea Dunkel und Verleger Günther Butkus über die Hintergründe. 

Lektorin Lea Dunkel und Autor Nathan Thrall bei seiner Lesung in Berlin. Am Abend der Lesung erfuhr Thrall, dass er den Pulitzer Preis erhalten würde.

Wie kam das Buch zu Ihnen?

Lea Dunkel: Wir haben es von einer Schweizer Agentin angeboten bekommen, die selbst sehr von dem Werk überzeugt war, es aber noch nirgendwo unterbringen konnte. Nach den ersten paar Seiten war ich direkt gefesselt von dem Buch und konnte es kaum aus der Hand legen.

Haben Sie sich über ihren Glücksgriff gefreut, als das Werk im Mai mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde?

Günther Butkus: Aber ja, denn als ich, bevor ich die Lizenz erworben habe, einige Journalist*innen und Buchhändler*innen gefragt habe, gab es Bedenken, ob das Buch nicht einen Shitstorm auslösen, ob sich das Buch überhaupt gut genug verkaufen könnte … aber ich habe die Lizenz trotz dieser Bedenken und trotz des großen finanziellen Risikos erworben. Von daher habe ich mich natürlich gefreut, als der Preis kam

Wie haben Sie selbst das Buch gelesen? Wieso haben Sie bei diesem Stoff zugegriffen?

Lea Dunkel: Es musste bei dem Buch recht schnell gehen, weil es natürlich auch an andere Verlage gegangen ist. Nachdem ich es komplett durchgelesen hatte, war ich sowohl vom Stil als auch vom Inhalt hellauf begeistert und wir haben lang im Verlag darüber geredet und diskutiert. Schlussendlich sind wir alle zu dem Schluss gekommen, dass das Buch es verdient, in Deutschland veröffentlicht zu werden.

Haben Sie den Autor schon einmal persönlich getroffen?

Lea Dunkel: Ja, ich war bei der Veranstaltung in Berlin, als er ein Gespräch zu dem Buch und dem Israel-Palästina-Konflikt hatte. Das war auch der Abend, an dem bekanntgegeben wurde, dass er den Pulitzerpreis gewonnen hat – eine einmalige Erfahrung.

Nathan Thrall ist eine sehr beeindruckende Persönlichkeit und hat gleichermaßen sachliches Wissen und emotionale Erfahrungen, was das Thema betrifft. Dabei ist er auch noch bodenständig und herzlich. Er wird im September erneut für verschiedene Veranstaltungen nach Deutschland kommen – unter anderem in Berlin, Frankfurt und Stuttgart – und es lohnt sich wirklich sehr, in live zu erleben.  

Warum war es Ihnen wichtig, dieses Buch in Ihr Programm aufzunehmen? Immerhin sagen Sie selbst, dass es das erste erzählende Sachbuch in Ihrem Programm ist.

Lea Dunkel: Ich persönlich finde, dass über das Thema hierzulande doch recht einseitig geredet wird bzw. wurde, und dass das Buch denjenigen eine Chance bietet, die sich aus anderen Blickwinkeln über den Konflikt informieren wollen. Alles, was in dem Buch steht, ist tatsächlich passiert, aber es wird nicht trocken berichtet, sondern literarisch erzählt. Dadurch hinterlässt es einen noch tieferen Eindruck. Es geht darum, wie es den „einfachen Menschen“ ergeht, deren Alltag für uns unvorstellbar ist. Das Buch ist sachlich und emotional zugleich und hat mir in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet.

In wie vielen und welchen Sprachen und Ländern ist das Buch bisher erschienen?

Günther Butkus: Portugal, England, Frankreich, Italien, Niederlande, Polen, Serbien, Spanien und Katalonien

Haben Sie die Rezeption des Werks in anderen Ländern verfolgt? Wie haben Sie diese wahrgenommen?

Günther Butkus: Wie haben die Rezeption in anderen Ländern nicht verfolgt, weil wir uns ganz auf unsere Ausgabe in Deutschland konzentriert haben.

Sind noch weitere Sachbücher bei Pendragon geplant, erzählend oder auch nicht erzählend?

Günther Butkus: Ich hatte schon seit Jahren den Wunsch ein erzählendes Sachbuch zu verlegen, aber es fehlt der richtige Stoff. Jetzt passte alles!

Falls noch weitere Sachbücher geplant sind, welche Themenfelder könnten Sie sich dafür vorstellen?

Günther Butkus: Bei Pendragon erscheinen schon immer Romane (u.a. „Der falsche Vermeer“ von Patrijck van Odijk) und Kriminalromane (u.a. „Wer das Schweigen bricht“ von Mechthild Borrmann) in denen die Geschichte des 20. Jahrhunderts als Subgeschichte eine wesentliche Rolle spielt. Hier bietet es sich an, unsere neue Sachbuchedition anzudocken.

Fragen: Sophie Schuster

Verleger Günther Butkus

"Ein Tag im Leben von Abed Salama" von Nathan Thrall erscheint am 7. August im Pendragon Verlag.

Der Amerikaner Nathan Thrall lebt bereits seit einigen Jahren in Jerusalem und wirkt dort in der International Crisis Group als Leiter des Arabisch-Israelischen Projekts mit. In seinem Buch erzählt er die Geschichte eines Schulbusunglücks vor den Toren Jerusalems, bei dem mehrere Palästinensische Kinder ums Leben kamen. Der Autor zeigt auf, dass ohne die "ungeklärten Zuständigkeiten" und "lähmende Bürokratie" des Grenzgebiets mehr von ihnen hätten gerettet werden können. Die israelischen und palästinensischen Menschen rund um den Unfallort herum hingegen versuchen gemeinsam, den Kindern zu helfen. Nathan Thrall zeigt, wie der Konflikt den Alltag der Menschen dort beeinflusst und erzählt ihre Lebensgeschichten. 

Cover zu "Ein Tag im Leben von Abed Salama" von Nathan Thrall