Deutscher Verlagspreis

Preisverleihung mit shabby chic

22. September 2023
Nils Kahlefendt

Die Teams von 64 unabhängigen Verlagen wurden zur Feier ihrer Auszeichnung mit dem Deutschen Verlagspreis nach Berlin eingeladen und waren zu Gast an einem besonderen Ort. Bericht von der Preisverleihung. 

Wer als Preisträger in spe, die Kippe in der Hand und 24.000 Euro Minimum im Kopf vorm ehemaligen Stummfilm-Kino Delphi in Berlin Weißensee stand, erinnerte sich womöglich an das berühmte Wort eines früheren regierenden Bürgermeisters, nach dem Berlin „arm, aber sexy“ sei. Das Delphi macht, mit großen Flächen abgeplatzten grauen Putzes, von außen den Eindruck, als sei das Ende des letzten Kriegs nur Stunden her. Drinnen ist das 1929 erbaute Kino, das zu DDR-Zeiten als Gemüselager, Wäschereistützpunkt, Briefmarkengeschäft, Schauraum für einen Orgelbauer oder Lagerhalle der Zivilverteidigung zweckentfremdet wurde, ein Augenschmaus, shabby chic vom Feinsten. Im Zuschauerraum des Delphi, der in der TV-Serie „Babylon Berlin“ den Innenraum des Kult-Cafés Moka Efti darstellt, standen, zur Bühne leicht abfallend, lange eingedeckte Tische, bald summte und brummte es unter der hohen, gewölbten Decke in froher Preiserwartung.

Claudia Roth verriet Moderatorin Miriam Zeh nicht, wo sie Bücher einkauft, lediglich, dass „Brecht auf dem Nachtkäschtle“ nie fehle, ließ die gebürtige Ulmerin durchblicken. Roth lobte die versammelten Verlegerinnen und Verleger („liebe Demokratinnen und Demokraten“) in ihrem Grußwort als Lordsiegelbewahrer von kultureller Breite und Vielfalt, beides Markenzeichen „unserer offenen und lebendigen Demokratie“. Roth benannte jedoch auch unumwunden, dass ihr Haus, so wie die Bundesregierung und die Parteien der Ampelkoalition, für die Sicherung der Rahmenbedingungen verantwortlich sind, unter denen Bücher entstehen. Der Deutsche Verlagspreis, der nun zum fünften Mal verliehen wurde, will dazu einen Beitrag leisten – doch, auch das weiß Roth: ein Preis reicht nicht. „Ich bin mir bewusst, dass der Schuh bei Ihnen an ganz vielen Stellen zwackt“, gestand die Kulturstaatsministerin, und zählte die Plagen und Schrecknisse her, von Papierpreis und Energiekrise bis zum digitalen Wandel und Leserschwund. „Sie tragen sehr große eigene Verantwortung und gehen oft hohe finanzielle Risiken ein. Deshalb setzen wir uns seitens der Bundesregierung mit verschiedenen Ideen und Konzepten zu möglichen Fördermodellen intensiv auseinander und prüfen diese gemeinsam mit den Ländern.“ Und noch etwas sagte Roth, die den von ihrem Haus ins Werk gesetzten Kulturpass als Erfolgsstory fürs Buch feierte: „Wir hören Ihnen zu, was Ihre Vorschläge, Wünsche und Bedürfnisse sind.“  

Sie tragen sehr große eigene Verantwortung und gehen oft hohe finanzielle Risiken ein. Deshalb setzen wir uns seitens der Bundesregierung mit verschiedenen Ideen und Konzepten zu möglichen Fördermodellen intensiv auseinander und prüfen diese gemeinsam mit den Ländern.

Claudia Roth, Kulturstaatsministerin

Die Verleihung der 60 dotierten Preise, insgesamt 1,6 Millionen, wurde diesmal – wohl auch aufgrund der engen Bestuhlung des Saals – einigermaßen schmucklos, mit Berliner Lässigkeit, durchgezogen, in drei Blöcken à Zwanzig: Die aufgerufenen Preisträger:innen blieben am Platz, standen kurz auf – und durften sich beim Nachhauseweg ihre alphabetisch geordneten Urkunden vis-à-vis der Garderobe abholen. Kein Gruppenfoto, nirgends.  

Die Urkunden für die Preisträger:innen

Je eine Kurz-Laudatio und am Ende sogar einen gemeinsamen, vom Saal bejubelten Bühnenauftritt gab es für die Gewinner der drei Spitzenpreise.

Rotopol, gegründet von einem Kollektiv um Rita Fürstenau an der Kunsthochschule Kassel, verlegt großartige Comics, Graphic Novels und Bilderbücher. Rita Fürstenau zum Namen: „Roto von Rotation. Ein Ort, bei dem viel in Bewegung ist. Und Pol – ein Zentrum, in dem vieles zusammenfließt.“ Auch sichtbar in der Verlagsbuchhandlung, die zum Szenetreffpunkt in Kassel und weit darüber hinaus wurde.

Der Wunderhorn Verlag, 1978 von Angelika Andruchowicz, Manfred Metzner und Hans Thill in Heidelberg gegründet, spürt die Poesie „auf der Straße und an den Peripherien“ auf. Er entwickelte über Jahrzehnte eine feinsinnige Mischung aus internationaler Lyrik, Kunst, literarischen Reihen wie „VERSschmuggel“ oder „Poesie der Nachbarn“ und wissenschaftlichen Publikationen. „Die Philosophie von Wunderhorn ist mutig und nach wie vor wegweisend“, so das Urteil der Jury.

Seit 2019 begibt sich der Zuckersüß Verlag, gegründet von Anna und Lukas Kampfmann, auf die Suche nach Büchern, die Kinder stark machen, sie ermutigen und inspirieren. Preiswürdig und einzigartig findet die Jury nicht nur das Bemühen des Verlags um „Diversität, Antirassismus und Nachhaltigkeit“, sondern auch die Tatsache, dass er, nicht zuletzt dank seiner Präsenz in den sozialen Medien (45.000 Insta-Follower können nicht irren), „50 Prozent seiner Verkäufe im direkten Kundenkontakt“ tätigt. Sollten Buchhändler:innen im Saal gewesen sein, dürften ihnen an dieser Stelle die Ohren geklingelt haben wie weiland den Swing-Tänzern im Moka Efti.  

  

Über den Deutschen Verlagspreis

Partner des Deutschen Verlagspreises sind die Kurt Wolff Stiftung und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Die Auszeichnung wird vom Deutschen Bundesministerium für Kultur seit 2019 vergeben. 
Drei Verlage erhalten ein Preisgeld von 60.000 Euro, weitere 60 Verlage erhalten eine Prämie von jeweils 24.000 Euro, in Summe Preisgelder in Höhe von 1.620.000 Euro. Für die Auszeichnung bewerben können sich unabhängige Verlage. Kriterien für die Preisvergabe sind ein innovatives Verlagsprogramm, die Qualität ihrer verlegerischen Arbeit, die Umsetzung außergewöhnlicher Projekte, eine besonders ansprechende Gestaltung der Bücher sowie besonderes kulturelles Engagement, beispielsweise zur Förderung der Lesekultur.

Die Liste der Preisträger 2023 mit Links zu ihrem Verlagsprogramm steht auf der Website des Verlagspreises bereit.